Wenn die Panik kommt: „Es ist ein Gefühl, als wäre dein Hals abgeschnürt“

Tabu-Thema Angststörung


  • Kreis Olpe, 24.03.2024
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Tabu-Serie, LokalPlus bricht Tabus, Darüber spricht man nicht von STUDIO GRAND WEB, Adobe Stock, Grafik: Ralph Schneider
Tabu-Serie, LokalPlus bricht Tabus, Darüber spricht man nicht © STUDIO GRAND WEB, Adobe Stock, Grafik: Ralph Schneider

Finnentrop. Wie eine dunkle Regenwolke, die ständig über ihr schwebt, beschreibt Lena T. (Name von der Redaktion geändert) ihre Situation. Sie leidet unter Angststörungen einhergehend mit Panikattacken. „Es ist ein Gefühl, als wäre dein Hals abgeschnürt und du musst die Flucht ergreifen.“


Es gibt kaum eine Situation, die nicht eingeschränkt ist von ihrer Angststörung. Essen gehen, einkaufen, Bus fahren, ja einfach vor die Tür gehen sind Dinge, die für Lena T. nicht einfach sind und die ständig umschlagen könnten. Umschlagen in eine Panikattacke. Schon beim Betreten des Redaktionsbüros für das Interview schaut die 25-Jährige, wo sie sitzen kann, wo die nächste Toilette ist, und möchte am liebsten in der Nähe des Fensters sein.

Panikattacken können vorkommen, seien aber nicht alltäglich. Heute weiß die Studentin, wie sie damit umzugehen hat. „Es zeichnet sich wie ein mathematischer Graph ab“, sagt sie. Erst wird man nervös, die Hände schwitzen, das Herz rast und man denkt, man könne nicht mehr richtig atmen. „Der Höhepunkt ist der Moment, wenn du denkst, ich muss hier raus, sonst sterbe ich.“ Lena T. weiß immer, wo ein Fluchtweg ist, und hat ein Notfall-Set dabei. „Ich muss wirklich extrem vorsichtig sein, was ich mache“, sagt sie.

„Kind, erzähl' das keinem.“

Unter Angststörungen leiden so viele Menschen, erzählt die junge Frau. Nur spreche niemand darüber. Ihre Oma habe damals nach Lenas Diagnose gesagt: „Kind, behalt' das bloß für dich und erzähl' das keinem.“ Deswegen wolle sie das Thema nun in die Öffentlichkeit bringen. Denn die psychische Krankheit sei nichts Erfundenes, sei nicht wie eine Angst vor Spinnen. Im Gegenteil, ihr Körper und Kopf denken wirklich: Es passiert etwas, ich muss hier weg.

Bei Lena T. entsteht die Angststörung im Alter von 17 Jahren. Schlagartig kann sie nach den Sommerferien morgens nicht mehr in den Schulbus steigen, wochenlang. Sie bleibt zu Hause, meidet die Schule, igelt sich ein, ihr Freundeskreis wendet sich ab, keiner versteht, was mit ihr los ist. Der Marathon an Arztbesuchen beginnt.

Symbolfotos Depression, Einsamkeit, Angst von Pixabay.com
Symbolfotos Depression, Einsamkeit, Angst © Pixabay.com

„Keiner wusste, was ich habe. Irgendwann merkst du selbst, dass es nur die Psyche sein kann.“ Lena T. kommt mit 17 Jahren das erste Mal in eine psychiatrische Klinik.

Während in der Therapie immer nach der Kindheit gefragt wird, weiß Lena, das ist es nicht. Erst später, nach langer Selbstreflexion, wird der damaligen Schülerin der Auslöser bewusst. Im Gespräch erzählt sie von einer Busreise, auf der sie statt Kaffee neun Espressi getrunken hat.

„Danach ging es bergab. Ich war aufgedreht, hatte Herzrasen, bin zur Toilette, die ja im Bus bekanntlich sehr eng ist“, erinnert sich Lena T. „Ich wollte nur noch raus. Habe mich aber damals nicht getraut, den Fahrer anzusprechen. Ich hielt die Situation aus und war völlig fertig.“

Angst vor dem Erbrechen

Dieses Gefühl wie in diesem Reisebus sei sie nicht mehr losgeworden. „Im Nachhinein weiß ich, dass das meine erste Panikattacke war.“ Einige Wochen zuvor erleidet die damalige Schülerin eine Lebensmittelvergiftung, die in ihr Emetophobie (die Angst vor dem Erbrechen) auslöst.

Lena T. bekommt die Diagnose: Angst, die Kontrolle zu verlieren, Angst vor dem Erbrechen und Platzangst.

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© Pixabay

„Ich bin eine Kämpfernatur“, sagt die 25-Jährige inbrünstig. „Ich wollte mir von der Angst nichts verbieten und mein Leben kontrollieren lassen.“ Der einzige Weg: Umgang statt Vermeidung. „Du darfst Situationen nicht vermeiden, sonst wird deine Angst noch stärker.“

Die junge Frau übt fast täglich. Setzt sich Horrorszenarien wie dem Busfahren aus. Bekommt auch dort Panikattacken, aber steht diese durch. „Das ist das beste Gefühl danach, du machst wirklich Freudensprünge“, erzählt sie.

Lena T. geht auf Konfrontation

Durch viel Konfrontationstraining, zahlreiche Therapien und Gruppengespräche lernt die junge Frau Techniken, mit ihrer Angststörung umzugehen. Aber dann gebe es immer mal wieder Phasen, die die Störung wieder auslösen – so wie aktuell.

„Eigentlich hatte ich alles gut im Griff, konnte sogar in ein Flugzeug steigen, aber durch einen Kreislaufzusammenbruch hat die Angst wieder gewonnen und wird stärker“, sagt die 25-Jährige. Jetzt müsse sie alles wieder von vorne lernen. „Ich hatte eigentlich so viel erreicht, aber ich lasse mir das nicht gefallen und zeige meiner Angst den Mittelfinger“, lächelt sie.

Info

LP-Serie „Darüber spricht man nicht“:

Montag, 18. März: Drogensucht

Dienstag, 19. März: Depression

Mittwoch, 20. März: Unerfüllter Kinderwunsch

Donnerstag, 21. März: Häusliche Gewalt

Freitag, 22. März: Essstörung

Samstag, 23. März: Wechseljahre

Sonntag, 24. März: Angststörung

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