Kämpferin mit unerfülltem Kinderwunsch: „Es gibt so viele von uns“

Tabu-Thema ungewollte Kinderlosigkeit


  • Kreis Olpe, 20.03.2024
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 von STUDIO GRAND WEB, Adobe Stock, Grafik: Ralph Schneider
© STUDIO GRAND WEB, Adobe Stock, Grafik: Ralph Schneider

Altenhof. Den Traum von der eigenen Familie haben viele Menschen. Doch nicht bei allen wird er wahr. Ein unerfüllter Kinderwunsch lässt betroffene Paare nicht nur mit Ratlosigkeit zurück. Viele schämen sich, trauen sich nicht, darüber zu reden. Diese Erfahrung hat auch Jennifer Sahin aus Altenhof gemacht. Nun möchte sie jenen Mut geben, die dasselbe durchmachen.


Jennifer Sahin ist 40 Jahre alt, ihr Mann Sinan ist 44. Die beiden sind seit 2016 ein Paar und seit 2018 ein Ehepaar mit eigenem Haus in Altenhof. Urlaubserinnerungen schmücken die Wände in der Küche, lachend an unterschiedlichen Orten, die Silhouetten wogender Palmen an einem Abend in der Türkei. Durch die Fenster fällt das warme Licht der ersten, zögerlichen Frühlingssonne, im Wohnzimmer zetern die Wellensittiche.

Heiraten, Haus und… Kinder. Das ist für viele dann der nächste Schritt. Auch Jennifer und Sinan hatten diesen Traum. Nach vielen kräftezehrenden Jahren mussten sie lernen, ihn loszulassen.

Jennifer Sahin (40) setzt sich für einen offenen Umgang mit dem Thema unerfüllter Kinderwunsch ein. von Lorena Klein
Jennifer Sahin (40) setzt sich für einen offenen Umgang mit dem Thema unerfüllter Kinderwunsch ein. © Lorena Klein

Kurz nach der Hochzeit scheint das Familienglück perfekt. Jennifer wird zum ersten Mal schwanger – und das direkt mit Drillingen. „Wir dachten, wir sind dann fertig“, scherzt ihr Ehemann Sinan. In der elften Woche erhält das Paar die erschütternde Nachricht: Fehlgeburt.

Vier Monate später ist Jennifer erneut schwanger. Sie verliert den Embryo in der sechsten Woche. Das Paar versucht es weiter. „Da war dieser große Traum vom Baby“, beschreibt Jennifer. Auch wenn nach diesen belastenden Erfahrungen jede neue Schwangerschaft, jeder Termin beim Gynäkologen mit Angst behaftet gewesen sei.

Bis an die äußersten Grenzen

Nach den ersten beiden Fehlgeburten folgen zwei Eileiter-Schwangerschaften. Letztendlich sei ein Eileiter operativ entfernt worden, erzählt die 40-Jährige. Vier fehlgeschlagene Schwangerschaften innerhalb von anderthalb Jahren – das sei „einfach großes Pech“, so die erste unbefriedigende Antwort der Ärzte.

Jennifer und Sinan Sahin haben kräftezehrende Jahre hinter sich. Die Zeit hat sie noch näher zusammenwachsen lassen. von privat
Jennifer und Sinan Sahin haben kräftezehrende Jahre hinter sich. Die Zeit hat sie noch näher zusammenwachsen lassen. © privat

Als sich Jennifer und Sinan 2020 in einer Kinderwunschklinik in Siegen Hilfe suchen, erfahren sie: Im Weg steht Jennifers „kaum messbare“ Eizellenreserve. Von diesem Zeitpunkt an lässt sie sich zunächst mit einer Höchstdosis an Hormonen stimulieren, nimmt starke Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen in Kauf: „Man wird auf den Kopf gestellt.“ Die Auswirkungen spüre sie noch heute.

2021 wechselt das Paar zu einer Kinderwunschklinik in Köln. Insgesamt starten sie in beiden Kliniken sechs Versuche. Warten auf die nächste Kontrolluntersuchung, das nächste Laborergebnis, einen Hoffnungsschimmer. Beim sechsten Versuch gelingt ein Embryo-Transfer. Zwei Wochen später nimmt ein Bluttest auch diese letzte Hoffnung: Der Embryo hat sich nicht eingenistet. Für das Paar ist klar: Das war es jetzt.

Einen Großteil der Spritzen hat Jennifer im Laufe der Hormonbehandlung in einem Glas gesammelt. von Lorena Klein
Einen Großteil der Spritzen hat Jennifer im Laufe der Hormonbehandlung in einem Glas gesammelt. © Lorena Klein

„Die Nerven machen nicht mehr mit und mein Körper war einfach nur am Ende“, erinnert sich Jennifer. Mehr hätte sie nicht geschafft. Und sie merkt: Für die meisten ist ein unerfüllter Kinderwunsch ein absolutes Tabu. „Es gibt kein Auffangnetz, keine Anlaufstelle. Du musst dir selbst helfen.“ Sogar Freundschaften seien daran kaputt gegangen, doch mit ihrem Mann habe sie immer offen sprechen können. „Jeder war für den anderen stark“, erzählt die 40-Jährige.

Offen sprechen

Auf der Suche nach einer Selbsthilfegruppe gründet sie in Zusammenarbeit mit der DRK-Selbsthilfekontaktstelle schließlich selbst ein Angebot für Kinderlose mit unerfülltem Kinderwunsch. Sie setzt sich für einen offenen Umgang mit dem Thema ein. „Es gibt so viele von uns – aber keiner weiß es“, ist Jennifer überzeugt.

Schwärmend blickt sie auf das erste Treffen zurück, das Anfang Februar stattgefunden hat. Einige hätten zuerst gezögert. „Es muss sich niemand schämen. Es hilft, wenn man spricht“, betont die 40-Jährige. Niemand solle sich so allein fühlen, wie sie es damals getan habe.

„Ohne Wolken keinen Regenbogen - ICSI-Kämpferin“ steht auf einem T-Shirt, das Sinan für seine Frau designt hat. ICSI ist eine Art der künstlichen Befruchtung. von Lorena Klein
„Ohne Wolken keinen Regenbogen - ICSI-Kämpferin“ steht auf einem T-Shirt, das Sinan für seine Frau designt hat. ICSI ist eine Art der künstlichen Befruchtung. © Lorena Klein

Eine Adoption ist für das Ehepaar keine Option. Zu groß ist der Wunsch nach einem leiblichen Kind. Tief im Inneren werde dieser Wunsch auch immer bleiben, weiß Sinan. „Man muss versuchen, damit zu leben.“ Dass die Beziehung daran scheitert, das steht für ihn die ganze Zeit außer Frage. Stattdessen fängt er an, kreativ zu werden, designt positive Motive für T-Shirts rund um das Thema Kinderwunsch.

Das Paar hat für sich einen klaren Schlussstrich gezogen: „Wir müssen jetzt lernen, ein Leben ohne Kind zu führen“, betont Jennifer. Ein Leben zu zweit. Und so ist diese Grenzerfahrung auch eine Liebesgeschichte.

Selbsthilfegruppe

Weitere Infos zu Jennifer Sahins Selbsthilfegruppe für Kinderlose mit unerfülltem Kinderwunsch erhalten Betroffene per E-Mail an Clara.kreisolpe@gmx.de.

LP-Serie „Darüber spricht man nicht“:

Montag, 18. März: Drogensucht

Dienstag, 19. März: Depression

Mittwoch, 20. März: Unerfüllter Kinderwunsch

Donnerstag, 21. März: Häusliche Gewalt

Freitag, 22. März: Essstörung

Samstag, 23. März: Wechseljahre

Sonntag, 24. März: Angststörung

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