Neuere Rechtsprechung zur Entgeltfortzahlung

Ratgeber Steuern widmet sich zwei aktuellen Urteilen


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Der Ratgeber Steuern mit Diplom-Betriebswirt Peter Vogelsang. von privat
Der Ratgeber Steuern mit Diplom-Betriebswirt Peter Vogelsang. © privat

Kreis Olpe. Arbeitgeberfreundliche Rechtsprechung zum Arbeitsrecht ist eher selten. Daher sind zwei aktuelle Urteile des Bundesarbeitsgerichts zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bemerkenswert:


Im ersten Urteilsfall ging es um die Frage, ob der sechswöchige Entgeltfortzahlungszeitraum bereits überschritten ist und der Arbeitnehmer deshalb keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung mehr hat. Ist ein Arbeitnehmer länger als sechs Wochen aus demselben Grund arbeitsunfähig erkrankt, so endet die Pflicht des Arbeitgebers, das Entgelt fortzuzahlen.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einer nicht mehr ganz jungen Entscheidung (Urteil vom 11.12.2019 - 5 AZR 505/18 -) den Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers abgelehnt. Es ging um Folgendes:

Zurückweisung mit interessanter Begründung

Eine Mitarbeiterin war bereits mehrere Monate wegen eines psychischen Leidens arbeitsunfähig krank. Diese Krankheit bestand bis zum 18.05. Am 19.05. unterzog sich die Mitarbeiterin einer Operation. Die behandelnde Ärztin bescheinigte ihr daher mit einer Erstbescheinigung vom 18.05. Arbeitsunfähigkeit vom 19.05. an.

Die Mitarbeiterin verlangte unter Hinweis auf eine neue, andere Erkrankung Entgeltfortzahlung vom Arbeitgeber für sechs Wochen. Das Arbeits- und Landesarbeitsgericht gaben der Mitarbeiterin Recht. Das Bundesarbeitsgericht wies ihre Klage allerdings mit einer ganz interessanten Begründung zurück:

Wenn sich an eine erste Arbeitsverhinderung in engem zeitlichen Zusammenhang eine dem Arbeitnehmer im Wege der Erstbescheinigung attestierte weitere Arbeitsunfähigkeit dergestalt anschließt, dass die bescheinigten Arbeitsverhinderungen zeitlich entweder unmittelbar aufeinanderfolgen oder dass zwischen ihnen lediglich ein für den erkrankten Arbeitnehmer arbeitsfreier Tag oder ein arbeitsfreies Wochenende liegt, besteht in der Regel ein gewichtiges Indiz für das Vorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalles.

Damit bestand nach Ansicht des BAG im Fall der Mitarbeiterin kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung, weil eine einheitliche Erkrankung vermutet wurde und der sechswöchige Entgeltfortzahlungszeitraum bereits seit geraumer Zeit abgelaufen war.

Entscheidung erstaunlich arbeitgeberfreundlich

Die Entscheidung ist für die Praxis sehr bedeutsam und erstaunlich arbeitgeberfreundlich. Allerdings ist dabei auch auf Folgendes zu achten: Immer wieder geschieht es, dass nach längerer Krankheit einem Arbeitnehmer, der behauptet, wieder arbeitsfähig zu sein, erst einmal Urlaub gewährt wird. Nach diesem Urlaub ist der Arbeitnehmer dann direkt wieder mit einer neuen Krankheit arbeitsunfähig krank. In diesem Fall greift die angeführte Rechtsprechung nicht, weil es an dem engen zeitlichen Zusammenhang fehlt.

Einer weiteren Entscheidung (Urteil vom 08.09.2021 – 5 AZR 149/21 -) lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Eine Arbeitnehmerin kündigte von sich aus am 08.02. ordentlich, fristgerecht zum 22.02. Noch am selben Tag kündigte sie an, nicht zur Arbeit zu erscheinen. Sie reichte eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein, nach der Arbeitsunfähigkeit bis zum Ablauf der Kündigungsfrist am 22.02. bestanden haben soll. Der Arbeitgeber hatte Zweifel und verweigerte die Entgeltfortzahlung.

Ungewöhnliche Gerichtsentscheidung

Das Arbeits- und Landesarbeitsgericht gaben der Klage auf Zahlung der Entgeltfortzahlung statt. Das BAG kippte die Entscheidungen der Vorinstanzen. Unter den vorliegenden Voraussetzungen teilte es die Ansicht des Arbeitgebers und verweigerte der Arbeitnehmerin die Entgeltfortzahlung. Das BAG sah den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als erschüttert an, da die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung exakt vom Tag des Ausspruchs der Kündigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ausgestellt wurde.

Die Entscheidung ist ungewöhnlich, weil die Gerichte Klagen auf Entgeltfortzahlung nahezu immer unter Hinweis auf den vermeintlichen hohen Beweiswert von ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen stattgeben.

Auch wenn sich die Entscheidung des BAG mit einer arbeitnehmerseitigen Kündigung befasst, könnte man diese ggf. auch auf Kündigungen des Arbeitgebers übertragen. Bei Kündigungen des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber kommt es immer wieder vor, dass vom Arbeitnehmer nach Kündigung direkt eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eingereicht wird, die sich bis zum Ende der rechtmäßigen Kündigungszeit zieht.

Hier könnte somit ggf. zukünftig geprüft werden, ob unter Hinweis auf die aktuelle Rechtsprechung des BAG die Entgeltfortzahlung beendet wird. Letztlich entscheidend sind aber immer die konkreten Umstände des Einzelfalles, die sorgfältig abgewogen werden müssen.

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