„Menschen mit Behinderung sind bereichernder als manch einer ohne Handicap“

Öner Ersin möchte ein Buch schreiben


  • Olpe, 07.08.2021
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Öner Ersin wohnt seit drei Jahren in seiner eigenen Wohnung in Olpe. von Christine Schmidt
Öner Ersin wohnt seit drei Jahren in seiner eigenen Wohnung in Olpe. © Christine Schmidt

Olpe. „Ich bin wie ein Sportwagen mit angezogener Handbremse“, sagt Öner Ersin über sich. Er ist Tetraspastiker und sitzt im Rollstuhl. Aber er möchte so viel mehr. Er möchte Menschen mit Handicap zeigen, dass sie mehr können und genauso viel wert sind wie jeder andere. Dazu möchte der 33-Jährige jetzt ein Buch schreiben.


Pfiffig, selbstbewusst und humorvoll: Das ist Öner Ersin. Der 33-Jährige wohnt mitten in Olpe. Die Wohnung: sein größter Schritt in ein selbstständiges Leben. „Das war sehr anstrengend“, erzählt Ersin. Niemand habe an ihn geglaubt. „Dabei wollte ich doch nur eine eigene Wohnung und nicht Dachdecker werden.“

Seit seiner Kindheit ist Öner Tatraspastiker. Heißt, alle vier Extremitäten sind gelähmt und er sitzt im Rollstuhl. „Ich war eine Frühgeburt, das war nicht genetisch bedingt.“ Seitdem wurde er von seiner Mutter gepflegt. Aber seine Mutter sollte nicht seine Pflegerin, sondern seine Mama sein. „Das tat mir in der Seele weh, das zu sehen“, erinnert sich der Olper.

Eigenständiges Leben

Er wollte eigenständig leben. „Für andere ist das Leben bei Menschen mit Handicap schon immer vorprogrammiert“, sagt Öner. So würde zumindest die Gesellschaft denken. „Lehrer haben zu mir gesagt, aus dir wird sowieso nichts.“ Was verletzend ist, machte den jungen Mann über die Jahre stärker. Er wollte eigenständig sein, wollte seiner Mama das Leben zurückgeben, das sie verdient hatte.

Vor drei Jahren erhielt er seine eigene Wohnung. „Dadurch habe ich eine Menge Selbstbewusstsein getankt“, freut er sich.

Er hat eine 24-Stunden-Kraft die ihn in seiner Wohnung betreut. von Christine Schmidt
Er hat eine 24-Stunden-Kraft die ihn in seiner Wohnung betreut. © Christine Schmidt

Öner ist ein Kämpfer. „Ich habe nie etwas vor die Füße gelegt bekommen. Ich möchte immer einen Schritt zu viel machen.“ Dass er im Rollstuhl sitzt, ist für ihn Fluch und Segen zugleich. Auf der einen Seite würde er gerne körperlich mit seinem Geist mithalten können. Sein Kopf sage immer „Nun komm, mach schon“. Aber er sei eben der Sportwagen mit angezogener Handbremse und an den Rollstuhl gebunden.

Auf der anderen Seite nimmt er dadurch alles intensiver wahr, weil sich bei ihm alles im Kopf abspielt. „Mein Leben ist entschleunigt. Andere rauschen so durch einen Tunnel und realisieren vieles gar nicht mehr“, sagt er. Er selbst fühle alles im Kopf und nehme dort alles wahr. „Ein Gedankengang ist immer schneller als ein Schritt nach vorne“, sagt er.

Das Leben wertschätzen

Gerne würde Öner auch „einfach mal wohin fahren“. Aber bei ihm müsse eben alles im Voraus geplant sein – wie komme ich am besten wohin. Was für Menschen ohne Behinderung meist selbstverständlich ist, bedarf bei dem 33-Jährigen viel mehr Zeit.

Deshalb stört es ihn, dass die Menschen oft so unzufrieden mit ihrem Leben sind. „Sie haben eine Arbeit, eine Wohnung und können selbstbestimmt leben“, sagt Öner. „Und dann sind sie unzufrieden, weil sie keinen dicken BMW fahren können.“ Dabei muss er selbst ein bisschen lachen, macht aber deutlich, wie undankbar die Gesellschaft auf ihn wirkt.

Öner Ersin arbeitet an seinem eigenen Buch. von Christine Schmidt
Öner Ersin arbeitet an seinem eigenen Buch. © Christine Schmidt

Der 33-Jährige hat gelernt, sein Leben wertzuschätzen, so wie es ist. Man müsse immer das Beste daraus machen. „Ich bin davon überzeugt, dass es noch mehr Menschen mit Handicap gibt, die mehr können“, sagt er ganz energisch. „Menschen mit Behinderung sind bereichernder als manch einer ohne Handicap.“

Menschen dazu zu bewegen, darüber nachzudenken, oder auch nur einen einzigen zu inspirieren - das wünscht sich der junge Mann. Denn Öner ist die Blicke der Leute leid. Er hat zwar gelernt, darüber zu stehen, aber er gibt auch zu, dass es ihm an manchen Tagen natürlich weh tut. „Die Dummheit der Gesellschaft kann ich nur schwer ertragen.“

„Ich bin so viel wert wie ihr auch“

„Ich bin so viel wert wie ihr auch“, sagt der junge Mann voller Inbrunst. Viel zu oft werde er von Behörden nicht für voll genommen oder die Gesellschaft stecke ihn in irgendeine Schublade. Gleichberechtigung und Akzeptanz sehe er in der Gesellschaft noch lange nicht.

Deshalb möchte er ein Buch schreiben. Er möchte den Leuten da draußen zeigen, dass er mehr kann. Dass Menschen mit Handicap mehr können. Er will ihnen und vor allem den Familien mit gehandicapten Kindern Mut machen.

Öner sucht Helfer für sein Buch

Öner sagt selbst, dass er mit dem Buch ein Teil von seinem Glück wieder zurückgeben möchte. Denn Öner ist bewusst, dass jeder Einzelne dazu beigetragen hat, dass er so eigenständig leben kann. Eigene Wohnung und keine gesetzliche Betreuung: Das sei für Menschen mit einer Behinderung nicht immer selbstverständlich, aber dafür könne man kämpfen. „Ich habe keine Angst vor dem Leben“, strahlt der junge Mann.

Seit 2005 arbeitet er bereits an seinem persönlichen Werk. Mit Hilfe von Sprachsteuerung auf dem Smartphone hat er seine Gedanken aus dem Alltag verfasst und bereits 15 Seiten geschrieben. Jetzt braucht der 33-Jährige allerdings noch Hilfe - ehrenamtliche Helfer, die ihn bei seinem Buch unterstützen.

Öner Ersin legt viel Wert auf ein gepflegtes Äußeres. von privat
Öner Ersin legt viel Wert auf ein gepflegtes Äußeres. © privat
Unterstützung gesucht

Seit 2005 arbeitet Öner bereits an seinem persönlichen Werk. Mit Hilfe von Sprachsteuerung auf dem Smartphone hat er seine Gedanken aus dem Alltag verfasst und bereits 15 Seiten geschrieben. Jetzt brauch der 33-Jährige allerdings noch Hilfe bei seinem Buch.

Öner sucht ehrenamtliche Helfer, die ihn bei seinem Buch unterstützen. Ob Rentner, pensionierte Autoren oder Hobbyschreiber: Öner ist für Hilfe dankbar. Auch wenn nur jemand einen Kontakt herstellen kann, vielleicht sogar irgendwann zu einem Verlag, darf sich melden.

„Leute die Lust haben, mich kennenzulernen und vielleicht noch gezieltere Fragen zu meinem Leben stellen, die suche ich“, sagt Öner. Wer sich angesprochen fühlt, vielleicht andere Kontakte vermitteln kann oder Ideen hat, meldet sich über die info@lokalplus.nrw. Die Redaktion vermittelt dann weiter.

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