Zeitzeugin lässt Geschichte am St.-Franziskus-Gymnasium lebendig werden

Henriette Kretz berichtet von Verfolgung während des Holocaust


Henriette Kretz erzählte den Schülern von ihrer Kindheit und ihrem Schicksal während des Holocaust. von privat
Henriette Kretz erzählte den Schülern von ihrer Kindheit und ihrem Schicksal während des Holocaust. © privat

Olpe. Eine Geschichtsstunde der besonderen Art haben jetzt die Schüler der Klassen neun und der Jahrgangsstufe Q1 des St.-Franziskus-Gymnasiums erlebt. Die Fachschaft Geschichte hatte mit der 83-jährigen Henriette Kretz aus dem belgischen Antwerpen eine Zeitzeugin eingeladen, deren Schicksal und Persönlichkeit einen tiefen Eindruck bei ihren jungen Zuhörern hinterließ.


Geboren wurde Henriette Kretz 1934 im damals polnischen Stanisławów (heute Iwano-Frankiwsk in der Ukraine) als Kind einer jüdischen Familie. Der Vater war Arzt, die Mutter Anwältin, das Kind Henriette erlebte eine glückliche Kindheit. Bis die Familie nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen zuerst in das aufgrund des Hitler-Stalin-Paktes sowjetisch besetzte Lemberg, dann ins benachbarte Sambor fliehen musste, wo nach dem Ausbruch des deutsch-sowjetischen Krieges und der Einnahme durch die Deutschen ein jüdisches Ghetto errichtet wurde. 

Dem Vater gelang es mehrmals, die Familie vor dem Schlimmsten zu bewahren. Henriette aber lernte den Hunger kennen: „Hunger tut weh, ihr könnt das nicht vergleichen mit dem Hunger, den ihr vielleicht ab und an schon mal verspürt. Wir Kinder haben oft geweint vor Hunger.“
Winter im Kohlekeller
Das achtjährige Mädchen wurde aufgegriffen und ins Gefängnis geworfen, entkam nur knapp dem Abtransport, weil der Vater wieder einmal rechtzeitig Hilfe gesucht und gefunden hatte.

Die Familie verbrachte einen endlos scheinenden Winter versteckt in einem Kohlekeller. Die Eltern erzählten dem Kind Geschichten, damit es in der absoluten Dunkelheit nicht verrückt wurde. Kurz vor dem Einmarsch der Russen wurden sie verraten, die Eltern vor den Augen ihrer Tochter erschossen, der Vater hatte sich noch auf einen der deutschen Soldaten geworfen, um sein Kind zu retten. Das Mädchen aber konnte fliehen, in dem Waisenhaus eines Nonnenklosters fand es Unterschlupf und überlebte.
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Was sie in dem Moment gefühlt habe, als sie weggelaufen sei und die Schüsse gehört habe, mit denen ihre Eltern getötet wurden, wollten die Schüler wissen. „Ich wollte leben, das war in dem Moment alles, woran ich gedacht habe“, war die Antwort von Henriette Kretz.

Dass nichts mehr so sein würde wie früher, das wurde ihr erst klar, als sie nach dem Krieg wie durch ein Wunder von ihrem einzigen überlebenden Onkel gefunden und adoptiert wurde. „Da war mein Kindheit vorbei, damals wurde mir klar, dass meine Eltern nie mehr zurückkommen würden.“
Keine Heldin, nur Glück
Kretz bezeichnet ihr Schicksal selbst nicht als außergewöhnlich, sei es doch vielen jüdischen Kindern in der Zeit so gegangen. Sie habe Glück gehabt, aber sie sei keine Heldin. Besonders ist aber vielleicht, dass sie sich entschieden hat, über ihre Erinnerungen an die Schrecken des Holocaust zu sprechen. „Viele schaffen es bis heute nicht, davon zu erzählen, sowohl Opfer als auch Täter.“

Als Zeitzeugin für das Maximilian-Kolbe-Werk in Freiburg besucht sie seit ungefähr 20 Jahren unermüdlich Schulen und sonstige Bildungseinrichtungen in ganz Deutschland. Und sie hat viel zu erzählen, ein Stück deutscher Geschichte und ihrer ganz besonderen Lebensgeschichte, davon konnten sich jetzt auch die Schüler des St.-Franziskus-Gymnasiums überzeugen.
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