„Ich muss nicht alles entscheiden, ich muss alles wissen“

Ein Jahr Schulleiter am SGO: Holger Köster im Interview


  • Olpe, 31.01.2018
  • Von Sven Prillwitz
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Digitalisierung mal drei im Büro des Schulleiters: Holger Köster arbeitet nicht nur mit einem PC, sondern auch mit einem Laptop und einem Tablet. von Sven Prillwitz
Digitalisierung mal drei im Büro des Schulleiters: Holger Köster arbeitet nicht nur mit einem PC, sondern auch mit einem Laptop und einem Tablet. © Sven Prillwitz

Olpe. Seit genau einem Jahr ist Holger Köster jetzt offiziell Schulleiter am Städtischen Gymnasium Olpe. Knapp elf Monate ist die offizielle Amtseinführung her, bei der sich alle Redner einig waren, mit Köster, zuvor schon ein halbes Jahr lang kommissarischer „Chef", die Ideallösung gefunden zu haben. Im großen Interview mit LokalPlus-Redakteur Sven Prillwitz spricht der 43-jährige Familienvater über Zwickmühlen und seinen Führungsstil, über Termine und „Helikoptereltern“, über Digitalisierung und die Abitur-Diskussion.


Bei Ihrer Amtseinführung vor einem Jahr sagte Gabriele Berghoff von der Bezirksregierung Arnsberg: Das „Schulleiterhandeln ist von Zwickmühlen geprägt“. Welche Zwickmühlen sind das genau?

Es sind konkrete Dinge im Schulalltag, wo man entscheiden muss: Welche Arbeit muss wer machen? Dabei geht es zum Beispiel um Unterrichtsverteilung, die Korrekturbelastung der Kollegen bei Klausuren, um Stundenpläne. Es kann aber auch um Beförderungen gehen, wenn zwei Stellen zu vergeben sind, es aber fünf Bewerber gibt und man als Rektor eine berufliche Beurteilung schreiben muss. Das macht man sich dann nicht leicht.

Außerdem bezeichnete Frau Berghoff Ihren Führungsstil als „partizipativ“. Wie sieht das im Alltag aus?

Wir haben in der Schullandschaft noch immer eine sehr hierarchische Aufteilung. Der Schulleiter und nur der ist für alles verantwortlich. Diese Fülle an Aufgaben kann der Schulleiter allein aber nicht bewältigen, und deshalb braucht es Vertrauen ins das Personal. Das bedeutet für mich: Ich muss nicht alles entscheiden, ich muss nur alles wissen. Das klappt hier sehr gut: Mit Britta Inden habe ich seit Oktober eine sehr gute Stellvertreterin. Außerdem gibt es hier am SGO mehrere Koordinatoren, die mit Abteilungsleitern zu vergleichen sind.

Kontrollfreak oder Delegierer - welches Extrem trifft denn eher auf Sie zu?

Ich suche die goldene Mitte. (lacht) Aber klar, bei vielen Dingen muss der Schulleiter an vorderster Stelle stehen. Bei Neueinstellungen etwa, bei Finanzen oder wenn etwas mal nicht so läuft.
„Wertschätzung ist keine Einbahnstraße"
Bei Ihrer Amtseinführung haben Sie die Eltern um einen „kritischen, aber konstruktiven“ Austausch mit den Lehrern gebeten. Funktioniert das in Zeiten, in denen der Begriff „Helikoptereltern“ alles andere als ein Fremdwort ist?

Vereinzelt gab es schon Rückmeldungen von Lehrern, dass sie sich von Eltern nicht gut behandelt fühlen. Da wurden Lehrer dann dafür verantwortlich gemacht, dass sie Kinder angeblich schlecht behandeln. Das ist aber die Ausnahme. Ich habe immer gesagt: Man muss miteinander etwas erreichen, es geht um das Kínd. In einem Elternbrief habe ich auch geschrieben, dass Wertschätzung keine Einbahnstraße ist. Grundsätzlich haben wir hier aber ein sehr gutes Miteinander mit den Eltern. Viele fragen auch: Wie kann ich helfen?

Sie sind nicht nur Rektor, sondern unterrichten auch Mathematik und Physik. Welche Rolle gefällt Ihnen besser – die des Schulleiters oder die des Lehrers?

Ich mache beides sehr gerne. Die Lehrerrolle ist auch deshalb wichtig, weil ich den Kontakt, den Draht zu den Schülern nicht verlieren möchte. Sofern möglich, versuche ich pro Schuljahr zwei Klassen zu unterrichten. Man erfährt so viel, was die Schüler bewegt und was man verbessern kann. Das ist wichtig, denn die Schüler sollen sich hier wohlfühlen.
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Wie fällt denn Ihre Bilanz aus nach dem ersten offiziellen Jahr als Schulleiter? Wie viel Mehraufwand bedeutet die Rolle des Rektors?

Wie erwartet, ist die Arbeitsbelastung hoch, und man spürt auch mehr Verantwortung – gerade in den stressigeren Phasen der Vorweihnachtszeit und der Abi-Prüfungen, wenn viel ansteht und es großen Zeitdruck gibt. Mit Pflegschaftsabenden, Konzerten und Schulausschuss-Sitzungen hat die Terminfülle deutlich zugenommen. Man ist bekannter, wird viel mehr angesprochen und ist grundsätzlich immer der erste Ansprechpartner. Das macht es mir als jungem Familienvater auch schwer, wenn ich meinem Sohn erklären muss, dass man es doch erst später nach Hause schafft. Ich gehe aber nach wie vor jeden Tag sehr gerne zur Arbeit und habe meine Entscheidung in keiner Weise bereut.  

Was war Ihr bisheriges Highlight als Schulleiter am SGO?

Sehr schön fand ich die Amtseinführung. Es ist selten im Lehrerberuf, dass einer Person eine ganze Veranstaltung gewidmet ist und man so viel Wertschätzung erfährt. Ich habe es aber auch sehr genossen, zum ersten Mal als Schulleiter die Rede bei der Abi-Entlassfeier halten zu dürfen – auch weil es ein toller Jahrgang war, der den Landesdurchschnitt sogar noch deutlich unterboten hat.

Gab es auch ein negatives Erlebnis, das Sie besonders bewegt hat?

Im vergangenen Jahr ist ein Kollege verstorben. Bei der Trauerfeier habe ich ein paar Worte gesagt, was ich gerne gemacht habe, was mir aber schwer gefallen ist. Traurig stimmt es mich auch, wenn Schüler sehr viel Ballast aus Familien mit sich tragen. Dann bin ich froh, dass wir einen Schulsozialarbeiter haben, der sich um vieles kümmert.
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Kürzlich hat ein Jugendlicher an einer Schule in Lünen einen Mitschüler ermordet. Was geht Ihnen als  Rektor durch den Kopf, wen Sie von so etwas hören?

Das macht natürlich betroffen, und man ist schockiert, dass so etwas auch hier an Schulen passiert und möglich ist. Schulen sind ein Querschnitt der Gesellschaft, und das gilt auch für die Gymnasien. Ich bete jeden Tag dafür, dass dieser Kelch (eine solche Tat, Anm. d. Red.) an uns vorübergeht.

Sie haben ihre Lehrtätigkeit am SGO im Jahre 2003 aufgenommen. Haben sich die Schüler aus Ihrer Sicht in den vergangenen gut 15 Jahren verändert?

Mein Mathelehrer hat in den 80ern gesagt, die Schüler werden immer schlechter in Mathe. Solche Aussagen spielen für mich keine Rolle. Man redet so viel über Probleme und Schwierigkeiten und vergisst dabei,  dass 95 Prozent der Schüler vollkommen in Ordnung sind oder besser. Ich hatte jetzt ein Jahr lang den Segen, alle Zeugnisse zu unterschreiben. Da hatten so viele Schüler so gute Zeugnisse, da wird einem erstmal bewusst, dass es auch diese Schüler gibt, mit denen man sich beschäftigen muss. Im Abi-Jahrgang, der 2017 entlassen wurde, hatte jeder Dritte eine Eins vor dem Komma, viele haben sich sozial engagiert. Viele davon sind in ihrem Alter jetzt schon weiter, als ich es damals war.
G9-Rückkehr nicht "mit heißer Nadel stricken"
Ein Dauerthema und ein Riesenaufreger war und ist die Diskussion über die Rückkehr zum Abitur nach neun Jahren. Wie haben Sie die Debatten erlebt und welches Modell bevorzugen Sie?

Was  mich die ganze Zeit gestört hat, war die Polemik in allen Diskussionen. Ich habe immer gesagt: G8 ist nicht das Problem, und die Rückkehr zu G9 ist nicht die einfache Antwort auf eine komplexe Frage. Überrascht war ich aber davon, wie deutlich und mit welch überwältigender Mehrheit sich Eltern und Lehrer für eine Rückkehr zu G9 ausgesprochen haben. Meine persönliche Meinung zu dieser Angelegenheit ist gar nicht so wichtig. Ich hoffe, dass die Umstellung besser läuft und nicht wieder alles mit heißer Nadel gestrickt wird. Gut finde ich, dass es in der Sekundarstufe 1 wohl keinen verpflichtenden Nachmittagsunterricht mehr geben wird. Das begrüßen wir, weil die Kinder damit wieder mehr Zeit haben, Kind zu sein. Auch für die Vereine ist die Rückkehr zu G9 sicherlich gut.

Stichwort Digitalisierung: Inwiefern hat sich der Schulalltag durch das Internet und die elektronischen Medien verändert? Am SGO wurde im vergangenen Jahr ja ein Medienkonzept vorgestellt.

Für den Unterricht ist ein duales System mit „Active Board“ (einem interaktiven TV-Bildschirm, Anm. d. Red.) und einer herkömmlichen Tafel die beste Lösung. Klar ist aber auch: Zu einem Medienkonzept gehört mehr als die Ausstattung, beispielsweise flächendeckendes WLAN in der Schule. Wichtig ist aber auch, Prävention zu betreiben, den Schülern den Umgang mit den sozialen Medien zu erklären. Das Ganze ist auch eine große Sache der Fortbildung für Lehrer und Referendare, die mit den Geräten umgehen können müssen. Das ist für alle Beteiligten ein Prozess, den man nicht einfach überstülpen kann. Das Ausprobieren ist noch im Vordergrund. Wir haben eine Medien-AG mit fünf, sechs Lehrern, die auch schon mal spontan in der Mittagspause Mikro-Fortbildungen anbietet.

Kommen wir abschließend noch einmal auf Ihre Amtseinführung zurück und auf Frau Berghoff von der Bezirksregierung. Sie attestierte Ihnen eine rasante „schulische Bilderbuchkarriere“. Wie sieht denn Ihr nächster großer Schritt aus?

Bisher habe ich nie etwas geplant, ich plane da auch jetzt nicht weiter. In dieser Frage bin ich auch völlig uneitel. Ich habe meinen Kollegen gesagt: Ich komme aus dem Kollegium und will den Spagat schaffen, der Schule und den Lehrern ein guter Schulleiter sein. Ich werde sicherlich irgendwann Bilanz ziehen. Wenn dann herauskommt, dass es nicht effektiv war oder dass auch Unzufriedenheit da ist, bin ich dann auch so uneitel, zu sagen, dass ich Platz mache für jemanden, der es besser macht. Bis jetzt ist aber noch niemand in dieser Hinsicht auf mich zugekommen (lacht).
Zur Person

Holger Köster ist 43 Jahre alt und wohnt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Siegen. Er unterrichtet Mathemathik und Physik, seine Hobbys sind seine Familie, Fußball und Reisen.
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