Warum ich einen Austausch als Chance und Risiko sehe

Die Kolumne von Lucas Schwarz, Teil 3


 von Sven Prillwitz
© Sven Prillwitz

Am Ende werden ihm zwei Schuljahre fehlen: Die 3. Klasse, die er übersprungen hat, und ein Jahr am Gymnasium. Lucas Schwarz macht am Städtischen Gymnasium das so genannte G8- oder „Turbo-Abitur". Der 15-Jährige bezeichnet sich selbst als Film-Junkie, spielt Gitarre - und liebt das Schreiben. Diverse Kurzgeschichten, sogar zwei Romane hat er bislang verfasst, peilt die Teilnahme an Poetry Slams an. Bei LokalPlus erscheint ab sofort immer samstags die Kolumne des jungen, unbekannten Schriftstellers aus Lennestadt.


„Als Schüler kenne ich so einige Leute, die schon mal einen Austausch gemacht haben. Ob es jetzt für ein Jahr war oder für ein paar Monate, manch ein Mitglied des Bekanntenkreises, Leute aus dem schulischen aber auch aus dem privaten Umfeld, haben bereits längere Zeit im Ausland verbracht. Die meisten Leute reisen in englischsprachige Länder, natürlich. Denn: Englisch ist nun mal eine der wichtigsten Sprachen, die es auf diesem Planeten im Moment gibt. Sie zu beherrschen, ist eigentlich kein Privileg mehr, sondern eine Selbstverständlichkeit. Jedes Kind lernt Englisch in der Schule, zu meiner Grundschulzeit noch ab der dritten Klasse, heute – so hört man mancherorts – sogar schon ab der ersten. Auch Schulreisen sind immer mal wieder Thema, die erzähl-freudigen Mitmenschen waren für zwei Wochen in Polen oder auch eine Zeitlang in Südafrika. Dann nicht so richtig ernst, aber durchaus auch, um sich das Land, Kultur, Sprache, Bildung anzugucken.
Gelebte Erfahrungen
Die Geschichten, die aus diesen Erfahrungen entspringen, sind immer interessant, ohne Zweifel. Die Reisenden kehren ins regnerische, dörfliche Sauerland zurück und erzählen von der großen weiten Welt, von fernen Ländern, andersartigen Kulturen – und meistens einer Menge Spaß. Bereitwillig berichten diese Leute, die den Austausch gewagt haben, sich wegbegaben für die Erkundung neuer Zonen. Und sie berichten detailliert und wissend, haben sich größtenteils wirklich gut mit dem Leben im jeweiligen Land auseinandergesetzt. Es eben einfach selbst gelebt. Ich lausche gerne diesen Berichterstattungen, ein bisschen neidisch, jedoch auch meistens etwas kritisch. Man hat ja mal so eine Schulfahrt nach London oder sonst wohin unternommen, für ein paar Tage, und auch der Sommerurlaub führte nach Spanien oder in die Türkei oder nach Mittelerde – doch so nahe wie diese Austauschler ist man den Kulturen, den Menschen in diesen Ländern ganz bestimmt noch nicht gekommen.
270 Minuten pro Woche
Doch: Wenn man sich ganz gründlich anschaut, was diese Menschen dafür so alles tun, wie schwer die Regelung, Organisation und Finanzierung einer solchen Reise, eines solchen Aufenthaltes ist, denkt man plötzlich ein bisschen anders über das Thema als zuvor. Ja, die haben alle neue Freunde gefunden, aber sie mussten auch viele alte zurücklassen, in eben jenem regnerischen, dörflichen Sauerland – das ist trotzdem ein Verlust. Und da ist auch noch die Familie, womöglich ein Jahr lang keine Möglichkeit zum persönlichen Kontakt, von Auge zu Auge. Zu den Eltern nicht und auch nicht zu anderen Angehörigen. Keine schöne Vorstellung.
Nachteile in der Leistungsgesellschaft
Wenn man dann zurückkehrt, wenn man ein Jahr weg war in den USA oder Neuseeland, tausende Kilometer von Deutschland entfernt, dann hat man vielleicht all diese Erfahrungen und auch die neuen Sprachkenntnisse und gesellschaftlichen Fähigkeiten, diese aus Not, aber auch Interesse geschulte Offenherzigkeit... Aber man hat auch ein zu wiederholendes G8-Jahr am Hals, und später mit dem Abitur fertig sein ist etwas, was in dieser Leistungsgesellschaft nicht das Idealste ist. Man kommt zu einer Gastfamilie, und die kann total nett sein, aber auch total nervig, seltsam, unaufgeschlossen, gruselig... Man kommt an eine neue Schule, wo man niemanden kennt. Und ja, man kann sich vielleicht ein paar Freunde machen, aber nicht solche, wie sie zu Hause bereits hocken, ganz sicher nicht. Man hat es nicht immer leicht in der fremden Schule in der fremden Welt, muss mitkommen im Stoff und im Sozialen, und nicht selten ist Veränderung, Anpassung angesagt. Alles Sachen, die einem als Belauscher der Austauschler-Erzählungen ebenfalls zu Ohren kommen – und gar nicht positiv klingen.
Ein Abtenteuer im Schüler-Leben
Am Ende hat es sich wahrscheinlich doch gelohnt für jene Leute, die sich trauten, hinauszuziehen in die Ferne, die alles hinter sich ließen und aus ihrem Schüler-Leben ein Abenteuer machten. Wenn sie in englischsprachigen Ländern waren, dann können sie jetzt diese Sprache nun wahrscheinlich wirklich richtig gut sprechen, und die vielfältigen Erfahrungen werden ihre Leben prägen. Das sind die allgemeinen und immer angeführten Pluspunkte. Aber ein Abenteuer hat auch immer mit Herausforderungen zu tun – und wenn man sich diese Herausforderungen mal anschaut, muss man wirklich darüber nachdenken, ob man das so will."
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