Smith-Lemli-Opitz–Jeremy: Ein Kind erzählt seine Geschichte

Tag der seltenen Erkrankungen am 28. Februar


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Der Sonnenschein der Familie: Jeremy Conner. von privat
Der Sonnenschein der Familie: Jeremy Conner. © privat

Kreis Olpe. Jedes Jahr am letzten Tag im Februar gibt es den Internationalen Tag der seltenen Erkrankungen, der für die Bedürfnisse und Schwierigkeiten Betroffener sensibilisieren soll. Im Kinder- und Jugendhospiz Balthasar haben die meisten Kinder eine seltene Erkrankung, von der es oft nur wenig Betroffene weltweit gibt. Wird sonst oft die Perspektive der Eltern beleuchtet, erzählt nun der zwölfjährige Jeremy seine Geschichte aus seiner Sicht:


„Der Tag meiner Geburt veränderte alles. In Mamas Bauch hatte ich mich eigentlich ganz wohl gefühlt, deshalb habe ich die Aufregung bei der Geburt überhaupt nicht verstanden. Irgendwie hat sich niemand gefreut oder meinen Eltern gratuliert. Die Ärzte haben mich einfach aus dem Kreißsaal getragen.
Die schlimmsten 45 Minuten unseres Lebens
Es war ein Kaiserschnitt und Papa war dabei, niemand hatte mit Komplikationen gerechnet. Aber dann standen Mama und Papa alleine da und ich war alleine mit den Ärzten. Die schlimmsten 45 Minuten in unserem Leben. Ich wollte doch nur zu Mama und meine Eltern wussten überhaupt nicht, was los war und ob ich überhaupt lebte. Erst diese 45 Minuten später durfte Papa zu mir – und völlig geschockt verließ er kurz drauf den OP-Bereich. Offensichtlich war etwas an mir anders, als er erwartet hatte.

Ich hatte zusammengewachsene zweite und dritte Zehen und einen Genitalbereich, der auf kein Geschlecht deuten lies. Irgendjemand sagte ihm, ich wäre wohl ein Mädchen. Aha. Ein Kinder-Nottransportdienst aus der Nachbarstadt wurde gerufen und nahm mich mit in eine Spezialklinik. Sie sagten dann, ich sei doch eher ein Junge. Genau wusste es aber keiner, und so hieß ich in meinen ersten zwei Wochen nur „das Baby“.
Eine traurige Zeit
Es war eine sehr traurige Zeit. Papa und meine zwei großen Brüder waren zu Hause, Mama lag alleine im Krankenzimmer, und ich war alleine auf der Kinderintensivstation. Papa kam mich besuchen, so oft er konnte. Mir ging es zwar immer besser, aber es waren trotzdem alle besorgt und zählten auf, was an mir wohl unnormal ist: ein zurückgesetztes Kinn, zu kleine Nieren, tiefsitzende Ohren, die schon erwähnten zusammengewachsenen Zehen und die Genitalfehlbildung.

Ich verstand von alledem nichts. Aber irgendwie habe ich wohl eine Ärztin so in meinen Bann gezogen, dass sie die ganze Nacht nach einer logischen Erklärung und einer Diagnose suchte. Und sie fand eine Erklärung: Ich hatte das Smith-Lemli-Opitz Syndrom, kurz SLOS.
Auf Forschungsreise im Internet
Papa fuhr sofort nach Hause und durchforschte das Internet. Mit einem Stapel ausgedruckter Seiten kam er zurück zu Mama ins Krankenhaus. SLOS bedeutet eine nicht allzu lange Lebenserwartung, geistige und körperliche Behinderung. Zum Glück habe ich genau diese beiden Eltern und keine anderen, denn sie merkten schnell, dass sie mit der Frage „WARUM – warum wir?“ nicht weiter kommen. Sie beschlossen, „das Baby“ (also mich) sehr lieb zu haben und sich um mich zu kümmern, wann und wie auch immer.

Die Krankheit muss einfach in den Hintergrund rücken und als normal angesehen werden. „Du bist und bleibst unser Kind – egal ob gesund oder mit Syndrom belastet!“ sagten Mama und Papa mir immer wieder. Das tat mir sehr gut.
Endlich ein Name
Man zapfte mir Blut ab und schickte es in ein Stoffwechsellabor. Das Ergebnis bestätigte den Verdacht der engagierten Ärztin. Nun konnte man auch mit 98-prozentinger Sicherheit sagen, dass ich ein Junge bin. Ab sofort durfte ich die rosa Sachen ausziehen und hatte endlich einen Namen: Jeremy Conner.

Außer dem Geschlecht wussten wir jetzt auch, dass SLOS eine seltene Erbkrankheit ist. Weltweit gibt es nur 8.000 Betroffene.
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Meine Entwicklung verlief schon im Bauch nicht normal. Durch das SLOS bin ich nicht in der Lage, selbst Cholesterin herzustellen, was zum Aufbau von Zellmembranen, zur Nervenumhüllung und zur Bildung von bestimmten Hormonen und Vitaminen gebraucht wird. Bereits ab der 8. Schwangerschaftswoche können gesunde Babys eigenes Cholesterin bilden und werden von dieser Zeit an nicht mehr von der Mutter mit Cholesterin versorgt. Da die Organe aber schon früher gebildet werden und für die korrekte Ausbildung eine ausreichende Menge an Cholesterin benötigt wird, kam es bei mir zu Organfehlbildungen.
Probleme mit der Ernährung
Die meisten Kinder mit SLOS haben Ernährungsprobleme. Auch ich nahm nur ganz wenig an Gewicht zu. Ich wurde mit 2120 Gramm geboren und wog nach einem Jahr nur 2065 Gramm mehr. Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen. Durch die Gabe von Cholesterin geht es mir etwas besser, geheilt werden kann ich dadurch aber leider nicht, da die Schädigungen ja schon während der Schwangerschaft entstanden sind.

Fast alle Kinder mit einem SLOS zeigen eine geistige Behinderung. Mir ist das egal, ich bin wie ich bin. Dieses Jahr werde ich tatsächlich schon 13 Jahre alt, sehe aber deutlich jünger aus, weil ich immer noch recht klein und dünn bin. Ich liebe es, im Fußballstadion zu sein, gehe gerne zur Schule und spiele gerne auf meiner Decke. Eigentlich habe ich immer gute Laune, denn das Leben macht doch Spaß. Leben ist das, was man daraus macht!
Eine tolle Familie
Meine beiden Brüder sind total lieb zu mir, kuscheln mit mir oder blödeln mit mir rum. Sie mussten ja nach meiner Geburt um einiges zurückstecken, aber sie haben es mir nicht übel genommen. Und Mama und Papa sind ja sowieso super. Mama sagt, ich sei der Sonnenschein, der unserer Familie noch gefehlt hat, und jeder, der mich kennt, wüsste, was er an mir hat.

Seit 2011 fahren wir regelmäßig ins Kinder- und Jugendhospiz Balthasar. Mama hatte immer gefragt „Was soll ich da, es geht Jeremy doch gut?“. Aber Papa meinte, man könne es doch einfach mal ausprobieren und meldete uns für eine Woche an. Wir kamen rein ins Balthasar und haben uns direkt wohl gefühlt. Seitdem sind wir meistens drei Mal im Jahr in Olpe, um neue Kraft zu schöpfen.

Einmal im Jahr muss ich außerdem zu meiner Stoffwechselexpertin. Sie sagt, ich sei eins der schwerstbetroffenen Kinder in ganz Deutschland. Vielleicht kann ich ihr sogar bei ihren Forschungen zu SLOS helfen, wenn sie mich untersuchen darf.

Der Tag meiner Geburt veränderte alles. Nichts ist mehr, wie es vorher war. Aber es sei nicht schlechter geworden, sagen Mama und Papa. Nein, alles sei viel schöner geworden.

Durch mich!“
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