„Möget ihr nie erleben, was unsere Generation erlebt hat“

Holocaust-Überlebende Dr. Michaela Vidláková


  • Kreis Olpe, 23.01.2019
  • Von Barbara Sander-Graetz
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Dr. Michaela Vidláková sprach am Rivius Gymnasium und am SGO. von Barbara Sander-Graetz
Dr. Michaela Vidláková sprach am Rivius Gymnasium und am SGO. © Barbara Sander-Graetz

Attendorn/ Olpe. Auf Einladung der Initiative „Jüdisch in Attendorn“ und in Zusammenarbeit mit der Hansestadt Attendorn sowie der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Siegerland hat die Holocaust-Überlebende Dr. Michaela Vidláková auf ihrer Vortragsreise am Dienstag, 22. Januar, Station in Attendorn gemacht. Unter dem Titel „Ich war ein Kind in Theresienstadt“ erzählte sie den Schülern am Städtischen Gymnasium Olpe und am Rivius Gymnasium Attendorn ihre Geschichte.


In der Aula des Rivius Gymnasium hören ihr rund 170 Schüler gebannt zu: „Mein Leben war gar nicht so einfach“, mit diesen Worten eröffnet Dr. Michaela Vidláková spannende und ergreifende 90 Minuten und erzählt die Geschichte, die ihr Leben war. Die Jugendlichen hängen an ihren Lippen. Gespannt verfolgen sie die Stationen, die aus dem kleinen verwöhnten jüdischen Kind eine Überlebende von Theresienstadt machten.
Keine Haustiere
1936 wird sie in Prag geboren. Wohl behütet. Die Mutter ist Lehrerin, ihr Vater arbeitet als technischer Direktor in einer Pelzfabrik. Beide sind gläubige Juden. Als sie zwei Jahre alt ist, wird die Tschechoslowakei von der deutschen Wehrmacht überfallen.

Kurz danach werden im Protektorat Böhmen und Mähren die Nürnberger Gesetze eingeführt. Schlagartig ändert sich das ganze Leben. „Wir mussten neben Geld und Schmuck all unsere Sachen abgeben wie Radios, Schreibmaschinen, Fotoapparate und Musikinstrumente. Nur meine kleine Blockflöte durfte ich behalten.“ Auch Haustiere durften die jüdischen Mitbürger nicht mehr besitzen. „Wem nützte es im dritten Reich, wenn wir keinen Kanarienvogel mehr hatten?“ stellte sie das Absurdum der Gesetze da.
Keine Spielkameraden
Michaela Vidláková sitzt vor den jungen Menschen und erzählt von ihrer Kindheit. Wie der Vater durch das Berufsverbot den Job verliert und er schließlich in einer Holzwerkstatt arbeitete. „Die anderen Kinder durften nicht mehr mit mir spielen. Ich durfte nicht mehr ins Schwimmbad, ins Kino oder zum Kaspertheater.“ Die Erinnerungen daran schmerzen auch noch mehr als 70 Jahre später.

Die Familie verliert ihre Wohnung. Einkäufe werden schwierig. Die Mutter versucht noch bis 1942 als Lehrerin jüdische Kinder zu unterrichten. Michaela Vidláková zeigt ein Klassenfoto mit Kindern der neunten Klasse des Jahres 1942. Auf dem nächsten Bild ist nur noch ein Kind zu sehen. Das Mädchen hat als einzige überlebt. Die Betroffenheit der Schüler ist zu spüren.
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„Möget ihr nie erleben, was unsere Generation erlebt hat“
Die 82-Jährige erzählt von der Kälte, dem Schimmel und der Feuchtigkeit in der zugeteilten Wohnung. „Drei Zimmer für drei Familien. Für mich als verwöhntes Kind eine schlimme Erfahrung.“ Schließlich kommt es zur Deportation nach Theresienstadt. Da der Vater handwerklich begabt ist, werden sie nicht sofort weiter nach Auschwitz geschickt.

„Mein Vater konnte meinen Pluto, ein Hund aus Holz, den er für mich zum fünften. Geburtstag gefertigt hatte, vorzeigen und damit beweisen, dass er als Zimmermann arbeiten konnte. Das hat uns das Leben gerettet und uns damals vor Auschwitz bewahrt.“
Keine Schule
Sie selber wird von den Eltern getrennt und in einem Kinderheim untergebracht. „Endlich hatte ich wieder Spielkameraden und auch die Betreuer haben sich um uns gekümmert.“ Obwohl strengstens verboten, werden die Kinder unterrichtet. „Und wir haben gelernt, denn was verboten war, macht besonderen Spaß.“

Auch zu essen bekommen die Kinder mehr. „Aber ich war im Lager nie satt und die Blicke der alten Leute, die unter unsagbarem Hunger litten, haben mich verfolgt.“
Keine Medikamente
Dann erkrankt sie an Thyphus, Scharlach und Masern. Gelbsucht und eine Herzmuskelentzündung kommen hinzu. „Ich kam in das Kinderkrankenhaus. Aber Medikamente gab es nicht, nur Wickeln gegen das Fieber.“ Ein Jahr ist sie hier. Dort lernt sie einen sechsjährigen Waisenjungen kennen. Er wird ihr Deutschlehrer. Er soll auch ihr Bruder werden, wünscht sich das kleine Mädchen. Doch den Krieg überlebt er nicht.
Kein Transport nach Auschwitz
1944 soll der Vater nach Auschwitz. Aber das Glück ist auf ihrer Seite. Ein Sturm sorgt für Schäden in Theresienstadt. Der Vater meldet sich freiwillig, um bei der Beseitigung zu helfen. So verpasst er den letzten Zug von Theresienstadt nach Auschwitz und kann bei seiner Frau und Tochter bleiben.  Dann kommt die russische Armee und befreit das Lager. „Ich bin auf dem Pferd eines Soldaten mitgeritten und habe gewusst, jetzt sind wird frei“.

Sie selbst sagte: „Ich bin das Mädchen, das großes Glück hatte“. Gemeinsam mit ihren Eltern hat sie überlebt. Am Ende wünscht die promovierte Naturwissenschaftlerin, die in Prag lebt, ein Kind und ein Enkelkind hat und ihre eigenen Großeltern im Konzentrationslager verlor. Möget ihr nie erleben, was unsere Generation erlebt hat!“
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