LokalPlus im Interview mit Physiotherapeut Jens Latsch

Warum tut das weh?


Topnews
Jens Latsch beim Gespräch in der LokalPlus-Redaktion. von Nils Dinkel
Jens Latsch beim Gespräch in der LokalPlus-Redaktion. © Nils Dinkel


Warum tut das weh? Herr Latsch, diese Frage hören Sie bestimmt öfter, oder?

Ja, in der Tat höre ich die Frage so oder ähnlich mehrmals am Tag, und sie ist gar nicht so einfach zu beantworten.

Warum nicht?

Schmerz ist eine komplexe Sinneserfahrung. Schmerz entsteht zu 100 Prozent und immer im Gehirn, er ist eine Art Gefahrenmelder, der uns zeigt, dass irgendetwas nicht stimmt. Das kann eine akute Verletzung von Gewebe sein (akuter Schmerz), das kann aber auch ein „Alarmzustand“ des Gehirns sein. Ob etwas weh tut, entscheidet das Gehirn je nach eingeschätzter Gefahrenlage.

Also ist Schmerz nur eingebildet?

Nein, Aussagen wie „Ich glaube, ich bilde mir das alles nur ein“ oder „Das kann nicht sein“ höre ich auch öfter. Schmerz entsteht zwar im Gehirn, ist aber real und lässt sich sogar in Gehirnscans sichtbar machen. Jedes Schmerzerleben ist individuell und von vielen Kontextfaktoren abhängig. Schmerz ist multifaktorell.

Was bedeutet in diesem Zusammenhang kontextabhängig und multifaktorell?

Unser Gehirn wägt ständig ab, ob wir in Gefahr oder in Sicherheit sind. Dazu analysiert das Gehirn alles um uns herum und alles, was passiert. Es vergleicht die Eindrücke ständig mit schon gemachten Erfahrungen.

Verunsicherung kann Schmerzen langwieriger machen

Ist unser Gehirn in einem erhöhten Erregungszustand, weil wir etwa Stress haben, nicht ausgeschlafen sind oder uns Sorgen machen, wird Schmerz viel stärker wahrgenommen als wenn wir entspannt, glücklich und zufrieden sind. So kann es sein, dass beispielsweise ein Rückenschmerz durch Verunsicherung, Sorge, ob es jemals wieder gut werden wird, Ärger und Druck viel einschränkender und langwieriger wird.

Und wie beeinflusst das Ihre tägliche Arbeit als Physiotherapeut?

Die Physiotherapie hat sich in den letzten Jahren deutlich weiterentwickelt. Wurde früher von einem Biomedizinischen Modell ausgegangen, wo es hauptsächlich um die Behandlung von Strukturen und Gewebe ging, wird heute nach dem Bio-psycho-sozialen Modell vorgegangen. Hier wird der Mensch als Ganzes mit den ganzen Kontextfaktoren gesehen, so dass in der Behandlung alle drei Bereiche berücksichtigt werden.

Und wie sieht das konkret aus?

Das ist sehr unterschiedlich und vielfältig, so wie jeder Mensch ganz unterschiedlich ist. Ganz wichtig ist Zuhören. Dadurch bekommt der Therapeut viele wichtige Informationen. Was die Person für ein Problem hat, wie es den Menschen und sein Umfeld (Arbeit, Familie) beeinflusst, was die Person selbst über ihr Problem denkt und welche Informationen sie bereits erhalten oder gesammelt hat.

Patient in therapeutischen Prozess einbeziehen

Dann ist eine gute Aufklärung über das Problem und das weitere Vorgehen wichtig. Es hat sich als sehr positiv herausgestellt, wenn der Patient in den therapeutischen Prozess einbezogen wird und der Therapeut nicht nur als der Experte auftritt. Im nächsten Schritt kommt dann die Behandlung, in der der Therapeut die Maßnahmen anwendet, die vorher mit dem Patienten abgesprochen worden sind. Das können manuelle Techniken sein und/oder auch aktive Techniken und Übungen.

Das hört sich sehr komplex an.

Das ist es auch, allerdings nimmt der Patient das in der Regel nicht so wahr. Aber nur so wird man dem bio-psycho-sozialen Modell gerecht und Schmerz an sich ist ja auch komplex, wie ich schon erklärt habe. Der Ablauf ist ein fließender Prozess: Mal braucht es mehr Informationen und Fragen, mal geht es schneller an die Behandlung. Ganz individuell, wie der Mensch halt auch.

Vielen Dank für den Einblick und das Gespräch. Wenn jemand Fragen hat oder mit Ihnen in Kontakt treten möchte, wie kann man Sie erreichen?

Am besten über meine Webseite www.physio-logik.com . Dort finden Sie weitere Informationen und meine Kontaktdaten, oder per Telefon (02723) 7 38 93 00.

Artikel teilen: