Bäckerinnung über Strukturwandel, Nachfolgemangel und Perspektiven

Bäckerei-Sterben


Blicken trotz einiger Herausforderungen positiv in die Zukunft (von links): Bäckermeister und Vorstandsmitglied Steffen Maiworm, Ulrich Jortzig, Direktor der Bäckerfachschule Olpe, Obermeister der Bäckerinnung Georg Sangermann und Jürgen Haßler, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Westfalen-Süd. von Textwerk Attendorn, Rebecca Dalhoff
Blicken trotz einiger Herausforderungen positiv in die Zukunft (von links): Bäckermeister und Vorstandsmitglied Steffen Maiworm, Ulrich Jortzig, Direktor der Bäckerfachschule Olpe, Obermeister der Bäckerinnung Georg Sangermann und Jürgen Haßler, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Westfalen-Süd. © Textwerk Attendorn, Rebecca Dalhoff

Kreis Siegen-Wittgenstein/Kreis Olpe. Wenn Traditions-Bäckereien schließen, ist ein Stichwort in aller Munde: das Bäckereisterben. Die Bäckerinnung Westfalen-Süd nimmt deshalb Stellung und erklärt den Strukturwandel in ihrem Handwerk, warum immer mehr Betriebe keinen Nachfolger finden und vor welchen Herausforderungen Bäcker heutzutage stehen. Dennoch sieht die Innung – nicht zuletzt durch die positive Entwicklung der Ausbildungszahlen – gute Möglichkeiten für die Zukunft.  


Das Bäckerhandwerk ist sicher eins der geschmackvollsten unter den Gewerken. Die Nachfrage nach leckeren, qualitativ hochwertigen und regionalen Backwaren ist groß. Gleichzeitig geht die Zahl der traditionellen „echten“ Bäckereien seit Jahren stetig zurück. Woran das liegt und welche Herausforderungen auf das Bäckerhandwerk, erklären Georg Sangermann Obermeister der Bäckerinnung Westfalen-Süd, Vorstandsmitglied und Bäckermeister Steffen Maiworm, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Westfalen-Süd Jürgen Haßler und Direktor der Bäckerfachschule Olpe Ulrich Jortzig.
Im Wandel der Zeit
Während es früher zahlreiche Bäckereien mit traditioneller Backstube und einem einzigen angeschlossenen Verkaufsraum gab, gibt es heute weniger traditionelle Backstuben, dafür aber stetig mehr Verkaufsräume und Filialen. Auch die Nachfrage der Kunden habe sich verändert.

„Heute ist man nicht nur Bäcker, sondern immer mehr auch Gastronom. Ein kleines Café dazu ist heute beinahe schon normal“, weiß Obermeister Georg Sangermann. Explizit weist der Fachmann auch auf die Wichtigkeit des gut ausgebildeten Verkaufspersonals hin. Gerade in kleineren Orten sei eine Bäckerei auch immer ein sozialer Treffpunkt. Dabei gehe es um mehr als um reine Versorgung. Auch die Vielfalt der Backwaren sei eine ganz andere als früher und die Kunden legten mehr Wert auf schöne Ladenlokale.
Schattenseiten
Was an sich positiv ist, habe aber auch seine Schattenseiten. Denn: Für jedes Produkt und jeden Betrieb sei der Bürokratieaufwand heutzutage hoch. „Das führt dazu, dass ein Bäckermeister nicht mehr nur seiner Leidenschaft – dem Backen – nachgehen kann, sondern oft den halben Tag oder mehr im Büro verbringt. Natürlich ist ein gewisses Maß an Bürokratie notwendig, aber heutzutage wird es einfach übertrieben. Das schreckt auch potenzielle Betriebsnachfolger ab“, so der Bäckermeister aus Oberveischede.

Eine weitere Herausforderung ist die Konkurrenz durch die Discounter, die in ihren Filialen industriell hergestellte Backwaren zu einem günstigen Preis verkaufen.
Doppelter Preis, aber dreifacher Genuss
„Der Geschmack und die Qualität ist aber keinesfalls vergleichbar. In einer echten Handwerksbäckerei zahlen Kunden zwar teilweise den doppelten Preis, aber bekommen dafür auch den dreifachen Genuss. Durch die gezielte Kaltlagerung von Teiglingen entstehen besondere Fermentationsaromen, die eben nur bei der traditionellen handwerklichen Herstellung möglich sind. So wird ein Brötchen zum Highlight des Frühstücks“, beschreibt Ulrich Jortzig, Direktor der Bäckerfachschule Olpe, die Unterschiede zwischen den echten Handwerks-Backwaren und denen der industriellen Herstellung.

Diese Abgrenzung zur Industrie und den Mehrwert von echten Handwerks-Backwaren für die Kunden klar herauszustellen sei mit die wichtigste Aufgabe für eine erfolgreiche Zukunft des Bäckerhandwerks.
Rezepte und Vielfalt gehen verloren
Dass trotzdem mehr und mehr „echte“ Handwerks-Bäckereien schließen, spiegelt sich auch in den Mitgliedszahlen der Bäckerinnung Westfalen-Süd wider. Während der Innung, die den gesamten Kreis Olpe sowie den gesamten Kreis Siegen-Wittgenstein abbildet, Ende 2014 noch 47 Betriebe angehörten, waren es Ende 2018 nur noch 38. „Und ich erinnere mich noch an die Zahlen in den 1970er Jahren. Da waren etwa 120 alleine im Kreis Olpe“, so Georg Sangermann.

Besonders bedenklich ist in den Augen des Obermeisters auch, dass mit jeder einzelnen Schließung immer wieder individuelle Rezepte verloren gingen. Damit gehe auch die Vielfalt verloren. „Wenn es irgendwann nur noch Discounter geben sollte, dann essen die Menschen von Garmisch-Partenkirchen bis nach Flensburg alle das Gleiche. Regionale Spezialitäten gibt es dann nicht mehr - weder einen Attendorner Kümmelsemmel noch ein Siegerländer Schwarzbrot“, macht der Obermeister die Auswirkungen deutlich.

Dass es soweit aber nicht kommt, ist sich der leidenschaftliche Bäckermeister sicher. „Es wird immer erfolgreiche Handwerksbäckereien geben.“ Dem stimmt auch Ulrich Jortzig zu: „Dabei kommt es auch nicht auf die Betriebsgröße an. Über den Erfolg einer Bäckerei entscheidet vielmehr die Idee und das Konzept.“
Nachfolgesuche schwierig
Während die Ausbildungszahlen bei den Innungsbäckern eine positive Sprache sprechen und von 23 Azubis im ersten Lehrjahr in 2017 auf 28 im Jahr 2018 gestiegen sind, seien trotzdem Bäckereien immer wieder gezwungen zu schließen, weil kein geeigneter Nachfolger gefunden werden kann. Das liege zum großen Teil am übertriebenen Bürokratismus, der es den jungen Bäckermeistern immer schwerer mache, eine eigene Bäckerei zu führen. 

Hinzu kommt, dass besonders das Bäckerhandwerk eine Berufung ist, für die eine absolute Leidenschaft unabdingbar ist. „Es muss das Mehl sozusagen in den Adern fließen. Dann machen einem auch die Arbeitszeiten nicht so viel aus“, schwärmt Obermeister Georg Sangermann von seinem Handwerk. Um eine eigene Bäckerei zu führen, brauche man aber auch das „Unternehmer-Gen“. Da viele gute und erfolgreiche Betriebe in den nächsten Jahren zur Übernahme bereit stehen, gebe es für interessierte junge Bäckermeister, die besten Chancen, eine erfolgreiche Selbstständigkeit zu verwirklichen.
Kreishandwerkerschaft unterstützt bei der Betriebsnachfolge
Die Kreishandwerkerschaft Westfalen-Süd unterstützt in Kooperation mit der Handwerkskammer Südwestfalen Innungsbetriebe und interessierte Nachfolger deshalb rund um das Thema „Betriebsübergabe“ kostenlos. Das reicht von einer neutralen individuellen Beratung, über eine unabhängige Bewertung des Betriebs durch Experten bis hin zu Businessplan und Begleitung bei Bankgesprächen. 
Bäckermeister aus Leidenschaft
Warum es aber dennoch auch immer wieder junge Menschen gibt, die sich bewusst für die Übernahme eines Betriebs entscheiden, erklärt Bäckermeister und Vorstandsmitglied der Innung Steffen Maiworm aus Drolshagen an seinem eigenen Beispiel. Zwar hätte er nach seinem Abitur sicher auch andere Wege einschlagen können, aber er habe sich bewusst für die Ausbildung zum Bäcker entschieden. Vor zwei Jahren hat der 41-Jährige dann schließlich in fünfter Generation die 123 Jahre alte Traditionsbackstube der „Landbäckerei Maiworm“ in Eichenermühle übernommen.

„Eine eigene Bäckerei zu führen ist ein Familienprojekt“, so der dreifache Familienvater. „Als Kind, das sozusagen in einem Familienbetrieb groß wird, sieht man auch, wie die Eltern für den Beruf und die Bäckerei leben. Dass dann viele Kinder lieber einen anderen Lebensweg einschlagen, kann ich schon verstehen. Man fragt sich, ob sich der Aufwand lohnt und auch in Relation zum Nutzen steht. Aber letztendlich hat jeder Beruf sein Säckchen zu tragen. Im Handwerk, wo man mit absoluter Leidenschaft dabei ist, ist man einfach stolz auf das, was man selber geleistet und hergestellt hat. Und wenn dann die Kunden jede Woche wieder kommen, dann ist das eine tolle Bestätigung, die einen immer wieder motiviert.“
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