Altenhundemer Jonny Boehm ist Bochum-Fan seit über 50 Jahren

Ziel sind 1848 Pflichtspiele


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Jonny Boehm fährt leidenschaftlich gerne ins Stadion. von s: Nils Dinkel
Jonny Boehm fährt leidenschaftlich gerne ins Stadion. © s: Nils Dinkel

Altenhundem. Der 64-jährige Jonny Boehm aus Altenhundem ist Lehrer am Gymnasium der Stadt Lennestadt und hat eine ganz besondere Leidenschaft: den VfL Bochum. Boehm ist ein treuer, ein leidenschaftlicher Anhänger des aktuellen Fußball-Zweitligisten – und eigentlich sogar mehr als das: 1965 verfolgte er zum ersten Mal ein Ligaspiel des VfL Bochum im Stadion; 52 Jahre später sind 1608 weitere Pflichtspiele, die er auf der Tribüne erlebte, hinzugekommen. Die Geschichte eines Mannes, für den die Bezeichnung „Fan“ nicht ausreicht.


Mit dem Bundesliga-Aufstieg der Bochumer 1971 fasste sich Boehm dann ein Ziel: „Ich wollte alle Pflichtspiele des VfL besuchen“. Seitdem reist er während der Saison nahezu jedes Wochenende nach Bochum oder quer durch die Bundesrepublik. In der abgelaufenen Saison hat er vier Pflichtspiele verpasst. „So viele wie noch nie“, erzählt sein Sohn Lucas Jonny Boehm, der seinen Vater regelmäßig ins Stadion begleitet. Drei Partien davon verpasste der 64-Jährige verletzungsbedingt – wegen einer klassischenn Fußballerverletzung, einem Achillessehnenriss.
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„Dann muss ich ja auf deinen Platz“, sagte seine Frau Birgit damals, als er sich die Verletzung zugezogen hatte, im Scherz. Denn begeistert ist seine Gattin von seinem zeitintensiven Hobby nicht. Jonny Boehm nahm sie aber beim Wort. Also saß sie am 16. April im Stadion. Auf seinem Platz direkt in Höhe der Mittellinie. Gegner war die SpVg. Greuther Fürth. Und der VfL Bochum gewann das Spiel mit 1:0. Zu insgesamt 35 Pflichtspielen trat der VfL Bochum in der Saison 2016/17 an. 34 Spiele in der zweiten Bundesliga, eins im DFB-Pokal. Die Saison schloss der Verein auf Rang neun mit 44 Punkten ab. 22 Punkte entfernt von der Aufstiegsrelegation und acht von der Abstiegsrelegation – Mittelmaß.
Auf Krücken ins Stadion
„Nur“ 31 Mal war Jonny Boehm im Stadion dabei. Bei Heimspielen wie auch auswärts. Trotz Verletzung. Doch länger auszufallen, war für ihn keine Option. Er plagte sich auf Krücken ins Stadion: „Wir sind dann immer früh aufgebrochen, sodass wir eineinhalb Stunden vor Spielbeginn da waren. Wir waren auch so ziemlich die letzten, die das Stadion verlassen haben. Das Ordnerpersonal hat geholfen und mitunter die Krücken getragen.“

Seine Leidenschaft für den Revierclub begann am 19. September 1965. Da stand der erste Besuch im Stadion an. „Da nahm das Unheil seinen Lauf“, sagt Jonny Boehm selbst. Gegner war Alemannia Aachen. „Mein Vater wollte mir einfach mal etwas Besonderes bieten. Ein Jahr war es die Cranger Kirmes, mal der Zirkus, dann Bochum.“ Bochum gewann bei Jonny Boehms erstem Besuch 1:0. Torschütze war Hansi Grieger, dessen Spielerkarriere in Netphen begonnen hatte. Das erzählt der VfL-Fan, als wäre es gestern gewesen. Wie so viele Anekdoten.
Buchführung für jede Fußballfahrt
Seit 1974 ist Jonny Boehm Vereinsmitglied. „Vor einigen Jahren wurde ich auf der Mitgliederversammlung für die 40-jährige Mitgliedschaft geehrt.“ Die Dauerkarte hat er seit den 70ern. Der Platz im Stadion ist seit vielen Jahren der gleiche. Für sein Hobby, seine Leidenschaft bringt er pro Saison nach eigenen Angaben einen Betrag im vierstelligen Bereich auf. Buch darüber führt er nicht, jedoch über seine Stadionbesuche: Jonny Boehm führt seit 45 Jahren ein Tagebuch. „Da steht nicht nur Fußball drin. Auch private oder schulische Dinge sind darin aufgeführt“, erklärt er. Trotzdem sei jedes Spiel mit Ergebnis, Torschützen, Minute und der Zuschauerzahl sowie Fahrzeiten, eventuellen Gaststätten und Übernachtungen aufgeführt. Irgendwann habe er das sogar digitalisiert.

Meistens tritt der 64-Jährige die Reise mit dem Zug an. Einen Führerschein hat er nicht. „Wenn wir mit dem Auto fahren, braucht es Überredungskünste“, sagt sein Sohn. „Bei Flutlichtspielen oder wenn ich mir dadurch eine komplizierte Rückfahrt ersparen kann, nehme ich das Angebot gerne an. Ich fahre aber lieber gemütlich im Zug und lese den ,Kicker´. Im Auto sitzt man konzentriert daneben und achtet auf die Straße“ erklärt Jonny Boehm.
Sohn und Tochter sind auch begeisterte Stadionbesucher
Sein Sohn Lucas, der lange Jahre Werder Bremen die Daumen drückte, dann aber auch zum VfL-Anhänger wurde, begleitet Jonny Boehm oft zu Spielen und ist ebenso wie der Vater Vereinsmitglied. Allerdings hat Lucas seinen Platz in der Stehkurve. „22 Mal war ich in der Saison 2016/17 im Stadion“. Auch Tochter Leila war in der Zeit vor dem Abitur intensiver Bochum-Fan. „Sie ist auch oft in der Kurve gewesen. Durch ihren Umzug nach Trier ist das selten geworden. Wir treffen uns vielleicht mal auf dem Betzenberg, wenn der VfL gegen Kaiserslautern ran muss“, sagt Jonny Boehm. Natürlich blieben auch die Wochenenden, an denen Leila ins Sauerland kommt und der VfL ein Heimspiel hat.
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Seit 1971 versucht Jonny Boehm, alle Spiele auf der Tribüne zu sehen. In der Studentenzeit habe es mehrere Jahre in Folge gegeben, in denen Boehm auch alle 34 Pflichtspiele tatsächlich geschafft hat. „Das wurde schwerer, als ich dann Lehrer war. Vor allem, als es noch Samstagsunterricht gab. Dann kamen noch meine Frau und die Kinder hinzu. Wenn jemand krank war, habe ich vereinzelt Spiele verpasst.“
Stadionbesuch und Städtetour
Seiner Frau ist er dankbar, dass sie Verständnis für das Hobby aufbringt und es akzeptiert. „Es ist oft schwierig für sie gewesen, gerade als die Kinder jünger waren. Sie war nicht immer davon begeistert. Ich hätte gerne öfter zu Hause bleiben können“, sagt Jonny Boehm. „Heute verbinden wir das oft mit gemeinsamen Städtetouren, gerade an langen Wochenenden.“ Der nächste Trip ist bereits geplant: Als nächstes trifft der VfL Bochum im DFB-Pokal auf den FC Nöttingen. Das Spiel wird in Karlsruhe ausgetragen. Dort verbringen Jonny und Birgit Boehm dann ein paar Tage.

Einzigartig sei das Gefühl, im Stadion zu sitzen, live dabei zu sein. „Die Atmosphäre, die Spannung: Man zittert und fiebert mit. Gewinnt der Verein? Technische Spielzüge sind mir schon mal lieber als manche Kampfzüge“, sagt Jonny Boehm und klingt dabei euphorisch. Man kenne die Leute um sich herum, mit denen er seit vielen Jahren ein Schwätzchen halte. „Fußball ist mein wichtigstes Hobby. Man fiebert immer dem nächsten Spiel entgegen.“ Der Lennestädter kennt das Vereinsziel, hat dieses genauso ständig vor Augen wie die eigenen Wünsche und Visionen für den Verein.
„Oft kommt die Ernüchterung nach 90 Minuten“
„Das ist natürlich nicht immer von Erfolg gekrönt. Oft kommt die Ernüchterung nach 90 Minuten. Trotzdem bin ich dem Verein immer treu geblieben“, sagt Boehm, der viele Auf- und viele Abstiege seiner Mannschaft miterlebte. Nicht umsonst war der Revierclub lange Zeit als „Fahrstuhlclub“ bekannt. Doch Boehm ist zuversichtlich: Irgendwann kommt der Erfolg zurück und solche Spiele bleiben dann in besonderer, in besserer Erinnerung. „Vor 25 Jahren habe ich erlebt, wie Bochum gegen Bayern München gewonnen hat. In München. Als einer von sehr wenigen Bochum-Fans im Stadion“, erinnert sich der 64-Jährige etwa an einen besonderen Auswärtssieg. Oder an die aufsehenerregende erste Uefa-Pokal-Teilnahme des VfL Bochum in der Saison 1997/98.

An der Schule ist es bekannt, dass der Lehrer Anhänger des VfL Bochum ist. „Mit den meisten Schülern wird rumgeflachst. Es gibt allerdings nur wenige Bochum-Fans an der Schule. Da wird gerne gefragt, wie der VfL gespielt hat, wenn das Team verloren hat. Und sie wissen genau, dass man verloren hat“, sagt Boehm lachend. „Es führt zu den ein oder anderen Frotzeleien“, so Boehm.
Aufstiege – die Highlights
Zu seinen schönsten Erlebnissen als VfL-Fan zählen die Bundesliga-Aufstiege. „Das waren schon Highlights, diese mitzuerleben. Den ersten Aufstieg im Jahr 1971 empfand ich als schönsten“, so Boehm. Auch das Pokalfinale 1988 in Berlin, das er mit seinem Vater besuchte, verbuchte Boehm als Highlight – trotz 0:1-Niederlage. „70.000 bis 80.000 Fans waren im Stadion. Es herrschte eine wahnsinnige Atmosphäre beim Spiel gegen die Eintracht (Frankfurt, Anm. d. Red.); das war ein schönes Wochenende.“
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Das größte Negativerlebnis war für Boehm der Abstieg seines Clubs aus der Bundesliga im Jahr 2010. „Bis Februar stand man im recht gesicherten Mittelfeld. Acht Punkte vom Abstieg entfernt. Es folgte eine Niederlagenserie“, erinnert sich der 64-jährige. Im letzten Spiel hatte der VfL die Chance, gegen Hannover 96 auf den Relegationsplatz zu gelangen. „Lustlos und unmotiviert standen die Spieler auf dem Platz. Man hängt sein Leben lang sein Herzblut darein. Das war der schwärzeste Tag. Ich hatte eine dumpfe Vorahnung“, blickt Jonny Boehm zurück. Und klingt dabei noch heute resigniert.
Die „Zaubermaus“ als ewiger Lieblingsspieler
Im darauffolgenden Jahr hätte der Revierclub wieder erstklassig werden können. Allerdings scheiterten die Bochumer in der Aufstiegsrelegation an Borussia Mönchengladbach (0:1, 1:1). „Frustrierend war auch in den 70ern das 5:6 gegen Bayern München. 4:0 führte der VfL damals“, geht Boehm dann auch noch mehrere Jahrzehnte zurück in seiner Erinnerung.

Sein Lieblingsspieler war Dariusz Wosz. Er sei der „kultivierteste, technisch einzigartigste Spieler“ des VfL gewesen. „Vorher und hinterher haben wir einen solchen Spieler nicht mehr gehabt. Er ist mein Lieblingsspieler aller Zeiten“ sagt Boehm über Wosz, der in seiner aktiven Zeit den Spitznamen „Zaubermaus“ trug. Boehms aktueller Lieblingsspieler ist Felix Bastians, der seit 2013 bei den Bochumern unter Vertrag steht. „Er ist gut und wichtig. Er hat die Chefrolle in der Abwehr und ist ein wichtiger Mann.“ Positiv blieb Boehm auch Michael Lamek in Erinnerung. „Er hat 518 Spiele für Bochum bestritten, das gibt es heute nicht mehr. Er war kein besonderes attraktiver Spieler, aber nie verletzt oder krank. Es war immer Verlass auf ihn.“
Über den alten und den neuen VfL-Trainer
Dass der VfL Bochum sich jüngst, nur wenige Tage vor dem ersten Pflichtspiel, von Gertjan Verbeek getrennt und Ismail Atalan (vorher Sportfreunde Lotte) verpflichtet hat, sieht Boehm differenziert. „Verbeek hat gute Arbeit geleistet. Er hat mit der Mannschaft ein moderneres Spielsystem einstudiert und in der ersten Saison einen guten fünften Platz erzielt.“ In der vergangenen Saison sei es abzusehen gewesen, dass die Ligaplatzierung schlechter ausfallen würde – unter anderem der ganze Sturm, darunter Topscorer Simon Terodde, wegbrach. Insgesamt habe Verbeek den VfL aber nach vorne gebracht. Andererseits sei seine kauzige und schroffe Art für den Umgang mit Fans und Mannschaft schwierig gewesen, gibt Boehm zu bedenken.
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„Atalan hat in den letzten zwei Jahren gute Arbeit geleistet, mit den Sportfreunden Lotte den Aufstieg geschafft und im DFB-Pokal für Überraschungen gesorgt. Ich erhoffe mir, dass er einen guten Draht zu den Spielern entwickelt und seine Handschrift wirken lassen kann“, sagt Boehm. Es sei jedoch zwei Wochen vor Ligabeginn eine „knappe Geschichte“, die Spieler einzustimmen. Trotzdem sieht er den VfL Bochum gut gerüstet. Nach seiner langjährigen Erfahrung wird sich seine Mannschaft am Ende der kommenden Saison auf Platz sieben einordnen.

So oder so: Jonny Boehm hat ohnehin- unabhängig vom Trainer – das Ziel, insgesamt 1848 Pflichtspiele zu besuchen. „Das ist immer eine besondere Zahl“, sagt der eingefleischte Fan lachend, denn der Club gründete sich im Jahre 1848. Um auf diese Zahl an Pflichtspielen im Stadion zu kommen, brauche es aber noch acht Spielzeiten. „Mindestens“, sagt Boehm.
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Über Pyrotechnik, TV-Gelder und Hobbys
Von der vieldiskutierten Pyrotechnik im Stadion hält Jonny Boehm nichts. „Es gibt welche, die nur auf Krawall gebürstet sind. Pyrotechnik im Stadion ist störend und nicht ungefährlich“, sagt der Lehrer. Seine Tochter Leila sei damals in Bielefeld wegen eines solchen Vorfalls im Krankenwagen gelandet. „Außerdem zahlt der Verein viel Geld für diese Idioten. Mir fehlt das Verständnis dafür." 

Auch die ebenfalls umstrittene Verteilung von TV-Geldern beurteilt der langjährige Fan kritisch: „Es ist nicht gut, dass die Schere noch weiter auseinandergeht. Die Absteiger bekommen mehr Geld, sodass sie wahrscheinlich wieder aufsteigen und die Bundesliga zur geschlossenen Gesellschaft wird. Die Ligen leben von der Chance, aufzusteigen, und nicht von den 18 immer gleichen Teams.“ Clubs, die überraschend den Aufstieg geschafft haben, seien häufig nach einem Jahr wieder in der zweiten Liga zu finden. Mit Ausnahme des SC Freiburg, der sich trotz eines vergleichsweise schmalen Budgets nach wie vor im Fußball-Oberhaus hält.

Andererseits, so Beohm weiter, seien TV-Gelder unverzichtbar. Was ihn als Stadionbesucher schmerzt, denn: „Inzwischen sind die Einnahmen wichtiger als die Zuschauer vor Ort. In anderen Ländern ist das genauso." Dass die Liga und die Vereine international konkurrenzfähig sein müssen, gehe zu Lasten der kleineren Vereine. Aber bei eben jenen sei die Solidarität untereinander noch nicht vollständig aufgegeben, meint Boehm.

Übrigens hat der 65-Jährige neben dem VfL Bochum auch noch andere Hobbys, nämlich Theaterbesuche, Bahnfahren, Reisen und Filmen. Boehm gehört dem Vorstand der Kulturgemeinde Hundem-Lenne an.
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