Johannes Behle: „Man muss positiv bekloppt sein“

Interview mit dem langjährigen Vorsitzenden des Schützenvereins Kirchhundem


  • Kirchhundem, 30.01.2018
  • Von Sven Prillwitz
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    Sven Prillwitz

    Redaktion

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Johannes Behle ist überzeugt, den Schützenverein Kirchhundem in einem „in jeglicher Hinsicht positiven" Zustand übergeben zu haben. von Nils Dinkel
Johannes Behle ist überzeugt, den Schützenverein Kirchhundem in einem „in jeglicher Hinsicht positiven" Zustand übergeben zu haben. © Nils Dinkel

Kirchhundem. Nach 18 Jahren an der Vorstandsspitze des Schützenvereins Kirchhundem – zwei davon in kommissarischer Funktion – hat Johannes Behle am Samstag sein Amt abgegeben. Er wurde zum Ehrenvorsitzenden ernannt. In einem ausführlichen Interview mit LokalPlus-Redakteur Sven Prillwitz spricht der 67-Jährige über seine Zeit als Schützen-„Chef“ mit Ecken und Kanten, über Tanzverbote auf Tischen, über die Schwierigkeit, Königsanwärter zu finden, und über die Bedeutung des Schützenwesens in der heutigen Zeit. Außerdem erzählt Behle auch, wie er den Polizei-Großeinsatz rund um das rechtsextreme Kampfsport-Event erlebt hat, das im Oktober in der Schützenhalle stattfand.


Herr Behle, haben Sie eigentlich schon realisiert, dass Sie nun nicht mehr Vorsitzender sind?

Ich denke, ja. Letztendlich war ja schon letztes Jahr klar, dass ich gehe, und damit hatte ich ein Jahr lang Zeit, mich darauf vorzubereiten. Wir haben ja auch eine Findungskommission gegründet, die nach der Generalversammlung 2017 neue Leute für den Vorsitz gesucht hat. Ich hatte also genug Zeit, mich zu verabschieden.

Sie sind 1968 in den Schützenverein eingetreten. Hören Sie bewusst zu Ihrem 50-jährigen Mitgliedsjubiläum als 1. Vorsitzender auf?

Nein, ich höre altersbedingt auf. Eigentlich wollte ich ja schon 2012, nach dem Kreisschützenfest, aufhören, wenn sich ein Nachfolger gefunden hätte. Das war aber nicht der Fall, sodass ich weitergemacht habe. 2016 hat sich dann auch keiner gefunden, also habe ich wieder weitergemacht. Ich wollte den Verein in einem guten Zustand übergeben, deswegen war das für mich auch klar.

Der Verein sei in der bislang besten Verfassung – und das sei Ihr Verdienst, hat Walter Mennekes Sie zum Abschied gelobt. Was haben Sie in diesem Moment gedacht?

Das hat er letztes Jahr schon gesagt. Und ich habe ihm dann gesagt, dass man das eigentlich nicht sagen sollte. Natürlich ist ein solches Lob schön, aber ich kann und will das für mich nicht bewerten. Auch mein Vorgänger Clemens Heinemann, der seinerzeit mit dem Umbau der Halle begonnen hat, hat Gewaltiges geleistet. Ich denke, bei einer ehrenamtlichen Tätigkeit sollte man keine Wertung einer Person vornehmen, weil jeder einen anderen Charakter hat.
 von Petra Hennemann
© Petra Hennemann
Stichwort Ehrenamt: Wie viel Freizeit hat Sie Ihre Funktion als 1. Vorsitzender gekostet?

Das lässt sich schlecht sagen (lacht). Aber in den Hauptzeiten, vor allem beim Umbau der Halle, waren wir jeden Abend unterwegs. Eigentlich war täglich Schützenverein angesagt, alles nach Feierabend. Mit Andreas Greitemann (ehemaliger 2. Vorsitzender, Anm. d. Red.) habe ich auch jahrelang täglich telefoniert. Man muss positiv bekloppt sein. Und wie ich eine Familie haben, die einem alle Freiheiten lässt. 
„Ohne Ecken und Kanten kommt man nicht weiter"
 Gab es denn mal Überlegungen, schon früher aufzuhören?

Wenn man das erstmal überlegt, dann gibt man auch auf. Mir wurde damals geraten: Mach es nicht, du hast in Kirchhundem keine Lobby. Ich denke aber, dass ich mir eine Lobby erarbeitet habe, auch wenn ich die sicherlich nicht immer hatte. Für mich war aber auch klar, es geht nicht um den 1. Vorsitzenden, sondern um den Verein an sich.

Sie gelten als Mann mit Ecken und Kanten, der sich nicht nur Freunde gemacht hat über die Jahre. Ist das unausweichlich, wenn man der Chef ist?

Ohne Ecken und Kanten kommt man meiner Meinung nach nicht weiter, gerade bei einem Verein mit fast 800 Mitgliedern. Ich sage aber lieber, ich bin positiv dominant (lacht). Es gab sicherlich auch Probleme, aber ich war nicht immer ausschlaggebend. Ich habe immer gesagt, im Führungsbereich gibt es nicht nur die Nummer eins und die Nummer 30, sondern nur ein Team. Letztendlich muss man aber als 1. Vorsitzender Entscheidungen fällen und den Kopf hinhalten. Mein Vorgänger Clemens Heinemann hat mir damals gesagt: Als Vorsitzender wirst du oft alleine sein. Aber wenn ich das alles an mich hätte heranklommen lassen, hätte ich irgendetwas verkehrt gemacht.
 von Nils Dinkel
© Nils Dinkel
In welchem Zustand übergeben Sie den Verein an Ihre Nachfolger Gerrit Jaspers und Nicolas Hille, und was raten Sie den beiden?

Ich habe den Verein in jeglicher Hinsicht positiv übergeben. Als ich anfing, hatten wir 430 Mitglieder, seit Samstag sind es 790. Finanziell steht der Verein sehr gut dar, obwohl wir zuletzt einen Anbau gebaut und das Dach gedeckt haben. Das Schützenfest Kirchhundem ist ein Fest auf höchstem Niveau, das jedes Jahr auch von vielen Auswärtigen besucht wird. Und der Verein hat einen großen, zum Teil seit mehreren Jahrzehnten bestehenden Freundeskreis. Außerdem sind wir bei den Jungschützen ebenfalls gut aufgestellt, auch wenn die Aktivitäten hier in den letzten Jahren etwas zurückgegangen sind.

Was waren die größten Herausforderungen und Erfolge Ihrer Amtszeit?

Die größte Herausforderung war das Schützenfest zum 100. Jubiläum des Vereins (im Jahre 2008, Anm. d. Red.). Das war ein hervorragendes, ein traumhaftes Fest. Und auch das Kreisschützenfest 2012 war eine Herausforderung, aber auch ein besonderer Höhepunkt. Das hätte man sich nicht schöner denken oder träumen können. Außerdem haben wir seit 1991 rund 1,5 Millionen Euro in die Schützenhalle investiert und führen den Verein seit 2007 schuldenfrei.
Kampfsport-Geschichte „verfolgt mich immer noch"
Ein Ereignis, von dem man sicherlich nicht geträumt hat, dürfte hingegen das rechtsextreme Kampfsport-Event „Kampf der Nibelungen“ gewesen sein, das Mitte Oktober in der Schützenhalle Kirchhundem stattfand und bundesweit für Schlagzeilen sorgte…

Wenn ich ehrlich bin, ist das ein Thema, das mich bis zum heutigen Tage verfolgt und immer noch weh tut. Wehgetan hat es damals auch, dass das Innenministerium in Hessen davor gewarnt hatte, dass eine solche Veranstaltung geplant ist, in NRW aber scheinbar niemand vorbereitet war.

Der Schützenverein erklärte damals in einer Stellungnahme, von dem wahren Hintergrund der Veranstaltung nichts gewusst zu haben. Wie haben Sie den Tag denn eigentlich erlebt?

Nachmittags gegen vier rief erst der Hallenwart an, dass da „Kanten“ herumlaufen. Dann hat sich die Polizei mehrfach gemeldet und schließlich mitgeteilt, dass es sich um eine Veranstaltung mit wahrscheinlich rechtsextremem Hintergrund handelt. Das hat sich denn auch bestätigt. Der Einsatzleiter hat sich schließlich den Mietvertrag angeguckt und mich gebeten, dass ich mich zur Verfügung halte. Ich bin dann auch selbst zur Halle hochgegangen, habe mehrfach mit dem Einsatzleiter und einem Mitarbeiter vom Ordnungsamt gesprochen und auch mit dem Mieter.

Gab es Überlegungen, die Veranstaltung vorzeitig zu beenden?

Der Mieter hatte einen Rechtsanwalt dabei, der hat die Option einer einstweiligen Verfügung belächelt. Eine Räumung der Halle durch die Polizei wurde diskutiert, wäre aber erst rund eineinhalb Stunden vor dem Ende der Veranstaltung möglich gewesen. Also haben Verein und Polizei das abgewogen und sich darauf geeinigt, das kontrolliert und ohne eine mögliche Eskalation durchlaufen zu lassen.
Das Tischtanz-Verbot und die Gründe
Themenwechsel. Stimmt es eigentlich, dass das Kirchhundemer Schützenfest das einzige im Kreis Olpe ist, bei dem nicht auf Tischen und Stühlen getanzt werden darf – und dass Sie das mal angeordnet haben?

Das kann man so und so deuten (lacht). Fakt ist, die Tische sind 60 Zentimeter breit. Wenn dann drei Mann darauf ´rumhupsen und einer fällt ´runter und bricht sich das Genick, kann ich das Schützenfest vergessen. Dann haben wir einen Versicherungsfall und ein Problem. Dann sollen die Leute doch die Empore oder die Bühne nehmen, wenn sie beim Tanzen erhöht stehen wollen. Richtig ist, dass das meine Anordnung war, die aber vom Vorstand mitgetragen wurde. Wenn das Schützenfest aber davon abhängig ist, ob man auf den Tischen tanzen darf, soll der neue Vorstand das entscheiden. Das sind dann die Ecken und Kanten (lacht).

Wie kommt es eigentlich, dass anscheinend kaum jemand in Kirchhundem mal den Königsvogel schießen möchte?

Jetzt, wo ich weg bin, gibt es sicherlich mehr Bewerber. Man hat mir nämlich immer mal wieder unterstellt, dass ich zu viele Termine machen würde, die dann auch für das Königspaar verpflichtend sind, obwohl das nicht stimmt. Aber dieses Problem, dass sich keiner traut, gab es auch schon in den 70ern, 80ern und 90ern. Meistens wollen die Frauen nicht, dass der Mann König wird. Eine hat ihrem Mann sogar mal mit den Anwalt gedroht, als der König werden wollte. (lacht) Dabei haben wir eine gut gefüllte „Freud- und Leidkasse“ eingerichtet, um einen neuen König finanziell zu unterstützen.
 von Nils Dinkel
© Nils Dinkel
Ist das Schützenwesen als Brauchtum mit den Werten Glaube, Sitte und Heimat eigentlich heutzutage, in einer sehr schnelllebigen und zunehmend digitalisierten Welt, schwerer aufrechtzuerhalten?

Im Prinzip sicherlich. Fakt ist aber nicht nur bei uns, sondern auch auf Kreisebene und im Sauerland: Die Mitgliederzahlen steigen immer noch. Ich hoffe, dass die neuen Vorsitzenden hier in Kirchhundem zu den Werten des Schützenwesens stehen und diese auch leben. Das Schützenwesen ist in der heutigen Zeit so wichtig, in der alles einsamer wird, wo die Gemeinschaft fehlt in den Orten. Deswegen ist es auch wichtig, dass alle Generationen im Verein angesprochen werden. Das ist eine ganz wichtige Aufgabe für den Vorstand.

Wie sehen Sie denn Ihre Rolle als Ehrenvorsitzender?

Für mich ist das eine Auszeichnung. Ich muss aber auch ganz ehrlich sagen, dass dem neuen Vorstand die Frage stellen muss, wie ich mich damit jetzt bewegen darf. Klar ist, dass ich zu Vorstandssitzungen weiter geladen bin, aber nur noch eine beratende Tätigkeit habe.

Letzte Frage: Was machen Sie mit Ihrer neu gewonnenen Freizeit?

(Überlegt kurz und lacht) Dank der vielen Jahre im Vorstand ist zu Hause so viel liegengeblieben, dass ich die nächsten Jahre hier noch genug zu tun habe.
Zur Person

Johannes Behle ist 67 Jahre alt und wohnt zusammen mit seiner Frau Veronika in Kirchhundem. Das Ehepaar ist seit 1976 verheiratet und hat drei Söhne, die mittlerweile erwachsen sind. Johannes Behle, gelernter Elektroinstallateur und zuletzt als Elektrotechniker tätig, ist seit knapp eineinhalb Jahren Rentner. Als Hobbys nennt er neben seiner Familie und dem Schützenverein Wandern und Wellness.

1968 trat er dem Schützenverein Kirchhundem bei. 1996 wurde er Schützenkönig.

Von 1995 bis 1997 war er 2. Stellvertretender Vorsitzender, von 1997 bis 2002 dann 1. Stellvertretender Vorsitzender.

Als der damalige Vorsitzende Clemens Heinemann erkrankte, führte Johannes Behle den Verein zwei Jahre lang kommissarisch. 2002 wurde er schließlich zum Vorsitzenden gewählt.

2002 erhielt Behle den Orden des Sauerländer Schützenbundes für Verdienste; der Orden des SSB für besondere Verdienste folgte 2008, der für hervorragende Verdienste 2016.

Außerdem gehört Behle seit 2008 als Beiratsmitglied für die Gemeinde Kirchhundem dem Kreisschützenbund an.
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