„Politik für eine nachhaltige und ökologische Wirtschafts- und Lebensweise“

Vor der NRW-Wahl: Gregor Kaiser (Grüne) im Interview


Gregor Kaiser. von privat
Gregor Kaiser. © privat


Ihre Wahlkampf-Slogans lauten „Nachhaltig. Engagiert“ und „Landei. Mit Weitsicht!“. Bitte erklären Sie das genauer.

a) „Nachhaltig. Engagiert!“ – Dies bedeutet, dass ich mich für eine nachhaltige, ökologische, die Grenzen des Planeten berücksichtigende Politik, Wirtschafts- und Lebensweise einsetze und mich auch praktisch engagiere. Und dies nicht erst seit kurzem oder für wenige Tage, sondern schon seit über 20 Jahren sowohl in den unterschiedlichsten politischen Zusammenhängen als auch in der praktischen Berufstätigkeit.

b) „Landei. Mit Weltsicht!“ – Ich bin in Lennestadt groß geworden, komme also von hier, vom Land, und will auch für den ländlichen Raum Politik machen. Aber mit einem weiten Blick über den Tellerrand: Ich habe 10 Jahre in Bonn gelebt, habe Kontakte in die internationale Umwelt- und Entwicklungsszene. Und diese globalen Erfahrungen und die Lebensrealitäten der Menschen in anderen Ländern sollten auch in unsere Politik vor Ort einfließen. Mit „Global denken, lokal handeln“ ließe sich dieser Ansatz auch beschreiben.

Der ländliche Raum – und damit auch Südwestfalen und der Kreis Olpe – steht vor dem Hintergrund des demografischen Wandels vor mehreren großen Herausforderungen. Eine davon ist die Landflucht junger Menschen. Wie lässt sich diese verhindern?

Zunächst ist es aus meiner Sicht zu begrüßen, wenn junge Menschen den Kreis auch mal für längere Zeit verlassen, um woanders zu leben, zu studieren oder zu arbeiten. Dort sammeln sie Lebenserfahrung, lernen anderes Brauchtum, Herangehensweisen und Kulturen kennen. Das kann nur hilfreich sein für die persönliche und gesellschaftliche Weiterentwicklung. Für die Politik im Kreis bedeutet dies: Wir müssen die Menschen anschließend zur Rückkehr in den Kreis bewegen.

Durch attraktive Arbeitsplätze, durch bezahlbaren und attraktiven Wohnraum, durch attraktive Kultur- und Bildungseinrichtungen, durch eine gute Infrastruktur, sei es ÖPNV, Schulen, Kindergärten, digital oder auch Straßen für den Individualverkehr. Weiterhin brauchen wir den Erhalt einer Kulturlandschaft, die auch geprägt ist durch eine bäuerliche Land- und Forstwirtschaft.

Wie lässt sich die medizinische, hausärztliche und pflegerische Versorgung auf dem Land sicherstellen? 

Wir brauchen mehr Anreize, um jungen Menschen den Zugang zum Medizinstudium zu erleichtern. Die Vergabe von Studienplätzen kann nicht mehr ausschließlich von der Abiturnote abhängig gemacht wird. Es müssen auch Faktoren wie psychosoziale Kompetenzen, einschlägige praktische Erfahrungen und soziales Engagement berücksichtigt werden.

Darüber hinaus brauchen einen bedarfsgerechten Versorgungsplan, um dem Überangebot in Ballungsräumen und der Unterversorgung auf dem Land zu begegnen. Bestandteil dessen muss es auch sein, Einrichtungen in den ländlichen Gebieten zu Gesundheitszentren auszubauen. Dies würde die Region  gerade für Nachwuchsmediziner attraktiv machen. Eine Anstellung in Versorgungszentren ist durchaus attraktiver als eine ungewisse Selbständigkeit – insbesondere da der Anteil der in Teilzeit arbeitenden Ärzte und Ärztinnen zunehmen wird. Auch Praxisnetzwerke können eine Möglichkeit sein, um Ärzte v.a. von organisatorischen Dingen zu entlasten.
Automobilzulieferung als industrielle Stärke – und potentielle Schwäche
Welche Stärken und welche Schwächen sehen Sie für den Kreis Olpe? Wie können diese erhalten und ausgebaut bzw. behoben werden?

Der Kreis Olpe hat einen starken Mittelstand, insbesondere in der Automobilzulieferindustrie. Das ist derzeit eine Stärke, kann sich aber in eine Schwäche verwandeln, wenn die Veränderungen in diesem Bereich nicht schnell genug erkannt und umgesetzt werden. Sollte sich die E-Mobilität, das autonome Fahren etc., auf breiter Basis durchsetzen, werden weniger Zulieferer benötigt, Arbeitsplätze drohen, wegzufallen.

Eine weitere Stärke ist das breite Vereinsleben, doch auch hier gilt sich den Veränderungen der Zeit anzupassen, Diversität zuzulassen und zu leben. Eine Schwäche ist sicherlich der mangelnde ÖPNV.

Südwestfalen gilt als eine der bundesweit bedeutendsten Wirtschaftsregionen. Was muss mit Blick auf die Infrastruktur passieren, damit die Region ihren Status halten und ggf. weiter ausbauen kann? 

Wir müssen die vorhandenen Straßen reparieren, Brücken erneuern und ggf. auch die ein oder andere Straße dreispurig ausbauen. Allerdings glaube ich nicht, dass der Neubau von Straßen, mehr Umgehungsstraßen etc. zielführend sein werden. Denn die Vergangenheit hat gezeigt, dass mehr Straßen auch zu mehr Verkehr führen. 

Wichtiger ist mir daher der Ausbau der Zugstrecken, sowohl für den Personen- als auch den Güterverkehr. Auch die Umstellung auf eine neue Zukunft der Mobilität ist ein zentraler Punkt einer infrastrukturellen Entwicklung. Und insgesamt müssen wir m.E. als Gesellschaft in Deutschland über eine Entschleunigung nachdenken. Es kann nicht für ein immer mehr und immer schneller immer mehr Infrastruktur installiert werden, die Ressourcen und Natur verbraucht und die Menschen in einem permanenten Wettbewerb zueinander setzt.

Das Thema Erneuerbare Energien, insbesondere Windenergie und die Ausweisung von Vorrangzonen, löst nach wie vor kontroverse, mitunter äußerst emotionale und auch hitzige Diskussionen aus. Wie sieht Ihre Position zu Erneuerbaren Energien im Allgemeinen und Windrädern im Speziellen aus?

Um die Auswirkungen des Klimawandels zu minimieren, müssen wir m.E. die Energieversorgung auf regenerative Energien umstellen. Im Strombereich sind dies für uns Grüne v.a. Sonne und Wind, aber auch Geothermie oder Biogas. Stromverbrauch reduzieren, ist aber genauso wichtig. Eine dezentrale Energieversorgung, die uns unabhängiger macht von den großen Energieversorgern, halte ich für erstrebenswert. Und dazu gehören auch mehr Windräder im Kreis Olpe.

Insbesondere muss aber in den kommenden Jahren auch ein besonderes Augenmerk auf den Energieverbrauch und die damit verbundenen CO2-Emmissionen sowohl im Bereich der Wärmeversorgung als auch im Verkehr gelegt werden.
„Ich habe noch nie etwas von G8 gehalten“
Ebenfalls umstritten: das sogenannte „Turbo-Abi“ (G8) an den Gymnasien. In NRW läuft das erste Volksbegehren seit 39 Jahren mit dem Ziel, zum Abitur nach 13 Jahren (G9) zurückzukehren. Welches Modell bevorzugen Sie und warum?

Diese Frage zielt ja nur auf einen Teil der Schüler/innen, nämlich die, die zum Gymnasium gehen. Für Kinder ist es aus entwicklungspsychologischer und pädagogischer Sicht am besten, wenn sie möglichst lange gemeinsam unterrichtet werden. Das bestehende Schulsystem selektiert ziemlich früh und gibt leider nicht allen Kindern die gleichen Chancen. Hieran, dass alle Kinder gleiche Chancen bekommen, weiterzuarbeiten, ist ein wichtiges Ziel grüner Bildungspolitik. 

G8 wurde von Schwarz-Gelb eingeführt, ich habe noch nie etwas davon gehalten. Allerdings kann man von Schulen auch nicht alle drei oder vier Jahre eine komplette Überarbeitung ihrer Strukturen verlangen, daher haben Grüne mit dem „Schulfrieden“, dem alle Parteien und Verbände zugestimmt haben, eine Verlässlichkeit in diese Frage G8/G9 hineingebracht. Dieser „Schulfrieden“ wurde nun insbesondere von der FDP, die Vorreiter für G8 war, aufgekündigt. Wir Grüne wissen, dass es Kinder/Jugendliche gibt, die ihr Abi in acht Jahren machen können, andere brauchen neun oder zehn Jahre. Deshalb wollen wir, dass an den Schulen Strukturen geschaffen werden, dass die Kinder mehr individuell gefördert werden, auf ihre Fähigkeiten und Bedürfnisse noch besser eingegangen werden kann und dass sie ihr Abitur entweder nach 8, 9 oder 10 Jahren machen können. Unsere individuelle Lernzeit berücksichtigt diese unterschiedlichen Entwicklungsstufen von Kinder und Jugendlichen. 

Ein Satz noch zum Volksbegehren: Dieses ist absolut nicht unterstützenswert, weil es allein auf die Gymnasium fokussiert und bei seiner Umsetzung an allen anderen weiterführenden Schulen Stunden gestrichen werden müssten. Förderstunden, die heute z.B. schwächeren Kindern an Sekundarschulen zugutekommen, müssten für die Rückkehr zum G9 an den Gymnasien gestrichen werden. Das geht m.E. gar nicht.

Nochmal Bildung: Viele Schulen und Kommunen fühlen sich mit dem Thema Inklusion allein gelassen und mitunter überfordert. Was kann man dagegen unternehmen?

Inklusion ist richtig und wichtig, um allen Menschen Teilhabe zu ermöglichen und allen die gleichen Chancen zu geben. Deutschland hat die UN-Behindertenrechts-Konvention anerkannt und unterschrieben. Damit haben wir die Verpflichtung, sie auch umzusetzen. Es gibt viele gute Beispiele, bei denen es gut funktioniert. Richtig ist aus meiner Sicht aber auch, dass die Inklusion nicht immer gut umgesetzt ist. Das hat aber mehrere Gründe: Ja, vielleicht ist sie zu schnell, zu gering finanziert und mit zu wenig Personal umgesetzt worden. Hier gilt es sicher, nachzuarbeiten. Es ist aber auch so, dass die vom Land zur Verfügung gestellten Mittel von den zuständigen Kommunen gar nicht alle abgerufen wurden. Das heißt, die Kommunen hätten viel mehr in bauliche Maßnahmen oder Personal investieren können, wenn sie es denn gewollt hätten.
„Mehr Überwachung und Kontrollen verhindern Anschläge nicht“
Nach dem Anschlag auf den Mannschaftsbus des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund kurz vor Ostern ist die Debatte um das Thema Innere Sicherheit wieder voll entbrannt. Braucht es (in NRW) mehr innere Sicherheit – und falls ja, wie genau sollte das Ihrer Meinung nach aussehen?

Der Kreis Olpe ist ein sicherer Kreis. Es würde sicher nicht schaden – und es wäre richtig -, ein paar PolizistInnen im Kreis mehr zu haben, aber der Schwerpunkt müsste woanders liegen. Ich glaube, wir brauchen mehr SpezialistInnen der Polizei, z.B. im Informatikbereich, um mit den Kompetenzen der organisierten Kriminalität mithalten zu können. Und vorteilhaft wäre es sicher auch, wenn mehr Personen mit Migrationshintergrund bei der Polizei arbeiten würden. Ich denke nicht, dass wir mit mehr Videoüberwachung, mit verdachtsunabhängigen Kontrollen oder mit elektronischen Fußfesseln Anschläge – denn darauf zielt ja die Frage nach der Sicherheit meistens ab – verhindern können.

Sieben Städte und Gemeinden verteilt auf 135.000 Einwohner. Macht eine verstärkte interkommunale Zusammenarbeit im Kreis Olpe Sinn?

Ja, definitiv. Mit dem Südwestfalenprozess ist da ja auch schon einiges angestoßen worden. Aber hier muss man weitergehen. Sicher ist es gut, wenn Entscheidungen etc. möglichst bürgernah getroffen werden und sich demokratisch gewählte Gremien und Institutionen nicht zu weit von BürgerInnen weg befinden. Aber genauso wie ich denke, dass wir die Zahl der Bundesländer auf 12 bis 13 reduzieren können, ohne demokratische Nachteile befürchten zu müssen, ließe sich auch die Zahl der Rathäuser im Kreis Olpe auf 3 bis 4 verringern. Die Mobilität der Menschen hat in den letzten Jahren ja massiv zugenommen und mit der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung lassen sich auch viele Behördengänge, für die das nahgelegene Rathaus auch immer wichtig war, reduzieren bzw. sie bekommen einen anderen Stellenwert.
Flüchtlingskrise: „Welche Schlüsse ziehen wir aus dem Staatsversagen?“
Vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise beklag(t)en die hiesigen Kommunen und der Kreis Olpe eine Benachteiligung des ländlichen Raums gegenüber Großstädten, wenn es um die Verteilung von Landesmitteln geht. Haben die „Metropolen“ eine Sonderstellung?

Zu der Verteilung der Mittel ist es meines Wissens mit Zustimmung des Städte- und Gemeindebundes gekommen, wo die ländlichen Kommunen genauso präsent sind. Und es ist ja auch nicht von der Hand zu weisen, dass viele Geflüchtete, die dem ländlichen Raum zugewiesen wurden, sich sehr schnell Richtung der Großstädte orientiert haben, wo sie z.B. mehr Kontakte zu Landsleuten haben können. Wichtiger als dieser Streit um die finanziellen Mittel ist die Frage, welche Schlüsse wir aus dem absoluten Staatsversagen bei der Aufnahme und Betreuung von Geflüchteten (hätte es das enorme ehrenamtliche Engagement, welches bei einzelnen bis zur Selbstausbeutung ging, nicht gegeben, wäre die Lage katastrophal geworden) in den Jahren 2015/16 ziehen: Die Verwaltungen müssen wieder so aufgebaut werden,  dass sie Kapazitäten haben und auch institutionelles Wissen aufbauen, welches ihnen ermöglicht, solche Situationen zu meistern. Denn die Zahl der weltweiten Flüchtlinge steigt ja weiter.

Auch wenn die meisten nahe ihrer Heimatländer bleiben, werden sich aufgrund des Klimawandels, der Ressourcen- und Bürgerkriege etc. immer mehr Menschen auf den Weg machen und an unsere Haustüren klopfen. Mit diesen Menschen menschenwürdig umzugehen und das individuelle Recht auf Asyl sorgsam zu prüfen, ist eine Aufgabe und Verpflichtung unseres Staates und unserer Verwaltungen, die ich nicht missen möchte und auf die wir stolz sein können.

AfD, Pegida und besorgte Bürger: Seit der Flüchtlingskrise finden rechtspopulistische und offen fremdenfeindliche Thesen vermehrt Gehör und Verbreitung. Wie beurteilen Sie das?

Ich finde es erschreckend, dass immer mehr mit einfachen Parolen für einfache Lösungen auf Kosten der Schwächsten von Gesellschaften erfolgreich geworben wird. Diejenigen, die sich z.B. ehrenamtlich für Flüchtlinge engagieren, werden bedroht oder unter Druck gesetzt. Der WDR hat das letztens dokumentiert. Auch wir im Kreis werden von Rechten immer wieder attackiert, sei es mit Postkarten, über Facebook oder mit Plakaten auf unsere Büroscheibe. Ich setze mich ein und werde mich weiter einsetzen für eine offene, freie Gesellschaft, die das Menschenrecht auf Asyl garantiert und allen Menschen versucht, ein lebenswertes Leben voller Teilhabe zu ermöglichen.

Welche politischen Ziele, die in diesem Interview bislang noch nicht genannt wurden, verfolgen Sie außerdem?

Klima- und Umweltschutz sind mir natürlich noch ein Anliegen, das geht ja über die Energiepolitik weit hinaus. Und dann möchte ich natürlich auch, dass eine bäuerliche, möglichst ökologische Land- und Forstwirtschaft erhalten bleibt, die weiterhin unsere Dörfer prägt und unsere Kulturlandschaft erhält. 

Vervollständigen Sie abschließend folgenden Satz: Sie sollten in den Landtag einziehen, weil...

… grüne Politik den Kreis und das Bundesland fit macht für die Zukunft und dabei Klima schützt und Arbeitsplätze schafft. Und davon profitieren dann auch die Menschen im Kreis Olpe, ohne schwarz zu sehen.
Zur Person: Gregor Kaiser
Name: Gregor Kaiser

Wohnort: Lennestadt-Oberelspe

Alter: 42

Familienstand: verheiratet

Kinder: vier

Beruf: Landwirt

Parteimitglied seit: Mai 2016

Bisherige und aktuelle politische Ämter: u.a. AStA-Vorsitzender Uni Bonn (98/99), Sachkundiger Bürger Ausschuss für Stadtentwicklung und Bauen Stadt Lennestadt seit 2014, stv. Mitglied im Beirat der Unteren Landschaftsbehörde seit 2014, Vorsitzender der AG es TUT sich WAS e.V. seit 2013, Beiratsmitglied Genethisches Netzwerk, Mitglied im Landesvorstand der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft seit 2016

Politisches Vorbild: -

Hobbys: Lesen, Politik
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