„Die soziale Frage und ihre Lösung müssen im Vordergrund stehen“

Vor der NRW-Wahl: Ralf Knocke (Die Linke) im Interview


Ralf Knocke. von Nils Dinkel
Ralf Knocke. © Nils Dinkel


Ihr Wahlkampf-Slogan lautet „Nicht nur von sozialer Gerechtigkeit reden, sondern dafür eintreten und sie zu jedem Zeitpunkt leben.“ Bitte erklären Sie das genauer.

Leider müssen wir seit den Hartz-IV-Gesetzen feststellen, dass viel über soziale Gerechtigkeit geredet wird. Doch wir müssen feststellen, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht.

Der ländliche Raum – und damit auch Südwestfalen und der Kreis Olpe – steht vor dem Hintergrund des demografischen Wandels vor mehreren großen Herausforderungen. Eine davon ist die Landflucht junger Menschen. Wie lässt sich diese verhindern?

Landflucht löst keine Probleme, sondern schafft zusätzliche. Weil zum Beispiel Infrastruktur rück- und woanders neu gebaut werden muss. Kleinere Klassen verbessern das Bildungsergebnis, Bahnlinien werden rentabler, wenn sie gleichzeitig als Personen-, Güterverkehr- und Stromtrassen fungieren. Eine kluge Strategie für den ländlichen Raum ist deshalb mittel- und langfristig volkswirtschaftlich klüger, als sie aufzugeben. So kann man die These aufstellen: „Die ländlichen Räume sind Motor des sozial-ökologischen Umbaus.

Wie lässt sich die medizinische, hausärztliche und pflegerische Versorgung auf dem Land sicherstellen? 

Seit langem wird in Deutschland über Probleme bei der Zugänglichkeit zur medizinischen Versorgung vor allem im ländlichen Raum diskutiert. Als Ursachen werden u.a. (Fach-)Arztmangel und strikte Trennung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung (sowohl hinsichtlich Planung, Sicherstellungsauftrag als auch Vergütung) genannt.

Um diese Schwierigkeiten zu beheben, wurden in einzelnen Bundesländern verschiedene Modelle erprobt – u.a. die Einrichtung von medizinischen Versorgungszentren (als Angebot für integrierte Versorgung). Die meisten dieser Modelle existieren inzwischen über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren, so dass es an der Zeit ist, ihre Effektivität zu prüfen und Empfehlungen abzuleiten. Dies würde sicherlich die medizinische, hausärztliche und pflegerische Versorgung in der Region Olpe verbessern.
„Umdenken in der Verkehrspolitik wichtiger denn je“
Welche Stärken und welche Schwächen sehen Sie für den Kreis Olpe? Wie können diese erhalten und ausgebaut bzw. behoben werden?

Der Kreis Olpe ist eine sehr wichtige Region in NRW, doch das größte Problem bleibt die Anbindung an Regionen wie Frankfurt, Köln bzw. das Ruhrgebiet. Der notwendige Ausbau des Schienennetzes, was allein für die regionale Wirtschaft wichtig und notwendig wäre, wurde nicht angegangen. Es ist wichtiger denn je, dass es ein Umdenken in der Verkehrspolitik geben muss. Denn wir brauchen nicht immer mehr Straßen, immer breitere Straßen, und die Lebensqualität der Menschen leidet darunter. Wir brauchen in erster Linie ein viel besseres Schienennetz und einen besseren ÖPNV.

Südwestfalen gilt als eine der bundesweit bedeutendsten Wirtschaftsregionen. Was muss mit Blick auf die Infrastruktur passieren, damit die Region ihren Status halten und ggf. weiter ausbauen kann?

Dies habe ich u.a. in der vorherigen Antwort schon skizziert.

Das Thema Erneuerbare Energien, insbesondere Windenergie und die Ausweisung von Vorrangzonen, löst nach wie vor kontroverse, mitunter äußerst emotionale und auch hitzige Diskussionen aus. Wie sieht Ihre Position zu Erneuerbaren Energien im Allgemeinen und Windrädern im Speziellen aus?

Wir, DIE LINKE, verbindet den Umbau der Energiewirtschaft mit dezentralen Energieerzeugungs- und -versorgungsstrukturen. Dies muss zur Demokratisierung der Energiewirtschaft führen, die Teilhabe von Bürgerinnen und Bürgern fördern und zur Reduzierung von CO2 beitragen. Langfristig entsteht so eine sichere, umweltfreundliche, von Importen unabhängige und für alle bezahlbare Energieversorgung. Wir setzen uns dafür ein, dass die Treibhausgas-Emissionen in Deutschland ohne Vorbedingungen bis zum Jahr 2020 gegenüber 1990 zu halbieren. Unser Ziel ist die 100-prozentige Versorgung aus erneuerbaren Energien vorrangig bei Ausschöpfung der regional nutzbaren Quellen bis zum Jahr 2050. Sicherlich können auch im Kreis Olpe neue Arbeitsplätze entstehen und die Kommunalhaushalte der Gemeinde und des Kreises nachhaltig gestärkt werden. 

Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist ein erfolgreiches Umbau-Gesetz. Wir setzen uns für dessen Erhalt und Ausbau ein, auch, um den Einspeisevorrang von erneuerbaren Energien zu sichern. Die Kosten für die mit dem ökologischen Erfolg steigende Umlage müssen jedoch vornehmlich von den Vielverbrauchern in Industrie und Privathaushalten gezahlt werden. Ein Basisverbrauch muss erschwinglich für alle bleiben und von der Mehrzahlung der Vielverbraucher finanziert werden.

Ebenfalls umstritten: das sogenannte „Turbo-Abi“ (G8) an den Gymnasien. In NRW läuft das erste Volksbegehren seit 39 Jahren mit dem Ziel, zum Abitur nach 13 Jahren (G9) zurückzukehren. Welches Modell bevorzugen Sie und warum?

Die Volksinitiative "G9 jetzt in NRW" tritt explizit für ein Halbtagsgymnasium ein, damit die Kinder mittags zu Hause sein können und nachmittags Hausaufgaben machen und außerschulische Freizeitangebote wahrnehmen können. Deshalb wird die Initiative auch vor allem von Sportvereinen, Musikschulen, freiwilligen Feuerwehren und ähnlichen Organisationen unterstützt. Aber die Begrenzung der Schulzeit auf 30 Stunden in der Woche bzw. auf 6 Stunden am Tag löst die derzeit existierenden Probleme in unserem Bildungssystem nicht.
„Innenpolitik muss Menschen schützen statt sie zu bespitzeln"
 
Nochmal Bildung: Viele Schulen und Kommunen fühlen sich mit dem Thema Inklusion allein gelassen und mitunter überfordert. Was kann man dagegen unternehmen?

Damit die hier bestehenden Hürden wirklich überwunden werden können, ist es notwendig, diese Hürden in baulichen, kommunikativen, rechtlichen und administrativen Bereichen sowie die Blockaden in den Köpfen zu beseitigen. Leider muss man feststellen, dass die Bundesregierung nichts Spürbares unternimmt, damit sich hier entscheidend etwas verändert. Sie wälzt leider die Verantwortung für inklusive Bildung auf die Länder ab und baut Teilhabeleistungen nicht ausreichend aus und stellt den Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) weiterhin unter Kostenvorbehalt.

Nach dem Anschlag auf den Mannschaftsbus des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund kurz vor Ostern ist die Debatte um das Thema Innere Sicherheit wieder voll entbrannt. Braucht es (in NRW) mehr Innere Sicherheit – und falls ja, wie genau sollte das Ihrer Meinung nach aussehen?

Der Anschlag auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund hat mit dazu beigetragen, dass die Debatte um die „Innere Sicherheit“ sich noch weiter zugespitzt hat (Videoüberwachung, Lauschangriff, genetischer Fingerabdruck, und vieles mehr). Es ist aber nicht Aufgabe der Innenpolitik, die Menschen zu bespitzeln und jeden Menschen unter Verdacht zu stellen. Es ist Aufgabe der Politik, die Bürgerinnen und Bürger zu schützen, auch und vor allem vor staatlichen Übergriffen.

Das Problem der öffentlichen Sicherheit ist in erster Linie eine soziale Frage. Kriminalität muss an ihren Ursachen bekämpft werden. Eine Politik öffentlicher Sicherheit beginnt deshalb für uns als DIE LINKE mit der Vorbeugung von Straftaten. Alltägliche Gewalt oder Eigentumsdelikte wachsen oft in so genannten „sozialen Brennpunkten“, in denen Armut, Erwerbslosigkeit und mangelnde Integration von Menschen mit Migrationshintergrund geballt auftreten. Wenn in diesen Bereichen auch noch an Planstellen für SozialarbeiterInnen, an Sprachkursen, Beratungs- und Hilfeangeboten gespart wird, dann ist ansteigende Kriminalität nicht verwunderlich.

Sieben Städte und Gemeinden verteilt auf 135.000 Einwohner. Macht eine verstärkte interkommunale Zusammenarbeit im Kreis Olpe Sinn?

Ich halte eine interkommunale Zusammenarbeit der sieben Städte für wichtig und notwendig. Denn man kann auch gegenseitig voneinander lernen.

Vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise beklagten die hiesigen Kommunen und der Kreis Olpe eine Benachteiligung des ländlichen Raums gegenüber Großstädten, wenn es um die Verteilung von Landesmitteln geht. Haben die „Metropolen“ eine Sonderstellung?

Allen Kommunen und Kreise müssen ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden, damit alle notwendigen Aufgaben, die für eine Integration notwendig sind, umgesetzt werden können.
„In Wort und Tat eine echte solidarische Alternative“
AfD, Pegida und besorgte Bürger: Seit der Flüchtlingskrise finden rechtspopulistische und offen fremdenfeindliche Thesen vermehrt Gehör und Verbreitung. Wie beurteilen Sie das?

Ich halte es für bedenklich, dass von Seiten der Politik hier nicht entscheidend gegengesteuert wird. Wir als DIE LINKE sind doppelt gefordert: Zum einen müssen wir die AfD und Pegida entlarven. Beide stehen für eine rassistische, nationalistische und sexistische Politik, die die Ausgrenzung großer Teile der Gesellschaft bedeutet. Zum anderen müssen wir in Wort und Tat für eine echte solidarische Alternative stehen.

Wir haben u.a. ein soziales Programm und die Verbindungen zu außerparlamentarischen Initiativen. In Streiks, Kampagnen und Auseinandersetzungen sind wir aktiv und wir stärken dadurch den Beteiligten den Rücken. Die soziale Frage und deren Lösung müssen hier im Vordergrund stehen, denn nur so kann man rassistischen Deutungs- und Handlungsangeboten den Boden entziehen.

Welche politischen Ziele, die in diesem Interview bislang noch nicht genannt wurden, verfolgen Sie außerdem?

Ich halte es für wichtig und notwendig, dass in der kommenden Legislaturperiode nachfolgende Dinge aufgegriffen und positiv verändert werden müssen:
  • dass die Kitagebühren landesweit abgeschafft werden
  • dass das der Erzieher-/Erzieherschlüssel verändert wird, wie es u.a. die Gewerkschaften Verdi und GEW bereits seit Jahren fordern
  • Schaffung von mehr bezahlbaren Wohnraum; daher ist es notwendig, dass hier die finanziellen Mittel erheblich erhöht werden.
  • ÖPNV gehört zur Daseinsvorsorge, daher ist es notwendig, dass der ÖPNV entscheidend verbessert wird. Die Stärkung des Individualverkehrs darf keinen Vorrang haben, denn die Menschen wollen mehr Lebensqualität.
Vervollständigen Sie abschließend folgenden Satz: Sie sollten in den Landtag einziehen, weil…

... weil es notwendiger denn je ist, dass wir zu einem sozialen Wandel in unserem Land kommen.
Zur Person: Ralf Knocke
  • Alter: 63
  • Wohnort: Siegen
  • Familienstand: geschieden (alleinerziehend eines 8-jährigen Sohnes)
  • Kinder: Yassin (33); Nathalie (32) (beide aus erster Ehe); Raul (8); Fabian (6)
  • Beruf: Dipl.-Sozialarbeiter (grad)
  • Parteimitglied seit: 2007 
  • Bisherige und aktuelle politische Ämter: von 2012 – 2014 Kreissprecher des Kreisverbands Siegen-Wittgenstein;  Mitglied des Landesratspräsidiums; Mitglied der Bundesfinanzrevisionskommission
  • Politische Vorbilder: Che Guevara und Nelson Mandela
  • Hobbys: Judo, Wandern, Musik hören
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