Warum darf Oma bald ins Eiscafé, während der Enkel auf die Impfung wartet?

LokalPlus-Leserin mit vielen Fragen zur Pandemie


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Leserbrief von privat
Leserbrief © privat

Kreis Olpe. „Wo bleibt der Kamerawagen? Oder ist das hier etwa nicht „Verstehen Sie Spaß?“ Das fragt sich LokalPlus-Leserin Susanne Becker aus Albaum angesichts der Entscheidungen, Lockerungen und Auflagen rund um die Pandemie und schreibt dazu einen Leserbrief:


„Wie naiv wir doch waren, als wir uns zum Jahreswechsel sentimental ein: „Nächstes Jahr wird ganz bestimmt alles wieder besser!“ zugeraunt haben. Seit über einem Jahr hören wir in Dauerschleife kein anderes Thema als die Pandemie. Ein Lockdown jagt den nächsten und Geschäfte schließen oder öffnen gefühlt stündlich.

Liste der Fragen wächst stetig

Darf man wieder zum Friseur oder muss Mutti noch mal mit der Heckenschere ran? Warum darf Oma demnächst freudig aus dem Eiscafé winken, während der Enkel noch auf die erlösende Impfung wartet? Die Liste der Fragen wächst stetig.

Genauso wie das Unverständnis. Denn warum braucht es seit einigen Wochen für jede noch so kleine Erledigung erst einen negativen Test, obwohl zu Beginn der Pandemie der „Schnutenschlüpper“ völlig ausreichend war? Dabei befinden wir uns doch eigentlich auf der lang ersehnten Zielgeraden. Aber stimmt das wirklich?

Eine Frage hält sich hartnäckig: Wo genau steckt man sich denn eigentlich an? Geht die Gefahr etwa von erfahrenen Gastronomen aus oder sind doch die Einzelhändler die großen Übeltäter? Um dieser Frage geschickt aus dem Weg zu gehen, werden kurzerhand sämtliche Geschäfte und Lokale wieder geschlossen.

Blumenhändler sind systemrelevant

Aber das ist nur die halbe Wahrheit! Denn Blumenhändler sind schließlich systemrelevant. Warum das so ist? Ganz einfach: Weil frische Blümchen unser Gemüt erhellen. Und was rettet die Menschen vor dem Suizid, die Grünpflanzen grundsätzlich nur palliativ betreuen? Für diese Leute gibt es das sogenannte „Click and Meet.“ Was klingt wie ein spannendes Abenteuer, ist für die Einzelhändler allerdings blanker Nonsens.

Wer bitte holt sich einen Termin für: „Ich will nur mal kurz gucken.“ ? Kann ein kleines Geschäft tatsächlich seine Fixkosten decken, wenn am Ende des Tages nur ein T-Shirt über den Tresen geht? Wie genau werden unsere Innenstädte demnächst aussehen, wenn immer mehr Einzelhändler vor dem wirtschaftlichen Ruin stehen?

Ausgangssperre wie Stubenarrest

Eine wahre Oase der Glückseligkeit sind dagegen die großen Supermärkte. Sie profitieren aktuell ganz besonders von der neu entdeckten Häuslichkeit ihrer Kunden. Aber wie sicher sind die Weintrauben eigentlich, die jeder Zweite schon einmal angegrapscht hat? Wie war das noch gleich mit den Einkaufswagen, die am Anfang der Pandemie noch großflächig desinfiziert wurden? Getreu dem Motto „Et hätt noch immer jot jejange“ dürfen wir dieses wöchentliche Highlight weiterhin unbeirrt mit allen Sinnen erleben.

An wen genau richtet sich eigentlich die nächtliche Ausgangssperre? Hält es die Feierwütigen davon ab, die Glocken läuten zu lassen? Wohl kaum. Es macht (besonders im Sauerland) keinen allzu großen Unterschied, ob man den Tag mit einem zünftigen Frühschoppen beginnt oder die Nacht bis 5 Uhr morgens durchmacht. Diese Ausgangssperre fühlt sich eher an wie ein Stubenarrest in der Kindheit – am Ende der Tage haben sich die Eltern damit selbst am meisten gestraft.

Senioren viel Spaß in Wacken

Aber es gibt ja auch eine überaus sinnvolle Perspektive. Schon bald sollen die Geimpften wieder einen nahezu normalen Alltag erleben dürfen. An dieser Stelle schon mal allen Senioren viel Spaß in Wacken oder bei Rock am Ring… Irgendwie scheint es so, als sei Gevatter Zufall nicht ganz unbeteiligt an der Verteilung der güldenen Impfdosen. Vorerkrankte, Risikogruppen, arbeitende Menschen – was war das noch gleich? Aber vielleicht kann man für die in Neuseeland lebenden Eltern schnell noch eine Pflegestufe beantragen. Dann geht´s natürlich schneller...

Ganz zu schweigen auch von den Jugendlichen, die gerade ihren Corona-Schulabschluss machen sollen. Setzt man allen Ernstes voraus, dass die „leicht entnervten“ Eltern ihren Kindern im Homeschooling zwischen Bügelwäsche und Job alle relevanten Inhalte pädagogisch aufbereitet vermitteln konnten?

Jagdschein als Alternative

Schlechte Internetverbindung oder kein ruhiges Büro zu Hause? Tja, dann erklären wir das mal dem Chef… Zum Glück gibt es Alternativen, z.B. den Vorbereitungslehrgang zum Jagdschein. Dieser darf außerhalb der digitalen Welt noch in größeren Gruppen und mit echten Menschen durchgeführt werden.

Und wer weiß – vielleicht ist der richtige Umgang mit dem „Püsterich“ ja genau das, was wir jetzt brauchen - oder einfach noch mal ein ordentliches Schützenfest, auf dem man sich an der Theke die Synapsen wieder richtig verdrahten kann!? Ist das eigentlich noch ein Konzept oder schon blanke Anarchie?“

Susanne Becker, Kirchhunden-Albaum

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