„Die Digitalisierung bietet riesige Chancen und wir wollen diese nutzen“

Vor der Bundestagswahl 2017: Johannes Vogel, FDP, im Interview


Johannes Vogel, FDP. von FDP
Johannes Vogel, FDP. © FDP


Ihr Wahlkampf-Slogan lautet „Die Digitalisierung ändert alles. Wann ändert sich die Politik.“ Bitte erklären Sie das in einigen Sätzen.

Die Digitalisierung bietet riesige Chancen und wir wollen diese nutzen. Beispiel Arbeitsmarktpolitik: Dank der Digitalisierung können wir viel freier entscheiden, wie wir wann und wo arbeiten – aber dafür müssen auch die politischen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Wenn man heute das Büro schon mittags verlassen möchte, um Zeit mit der Familie zu verbringen, dann können wir dank Home-Office auch am Abend noch die liegengebliebenen dienstlichen Mails beantworten. Aber wer um 23 Uhr noch eine Mail schreiben will, darf nach heutigem Gesetz am nächsten Morgen nicht vor zehn Uhr arbeiten – das müssen wir modernisieren.

Der ländliche Raum – und damit auch Südwestfalen und der Wahlkreis 149 – steht angesichts des demografischen Wandels vor mehreren großen Herausforderungen. Eine davon ist die Flucht junger Menschen vom Land in die Ballungszentren und Großstädte. Wie lässt sich das verhindern?

Wir müssen insbesondere die Infrastruktur in unserer Region verbessern. Denn einerseits sind gut ausgebaute Schienenwege und Autobahnen essentiell, andererseits müssen wir auch dafür sorgen, dass wir einen flächendeckenden Breitbandausbau sicherstellen, um schnelles Internet für jeden Haushalt und jedes Gewerbe zu ermöglich – bis ins jedes Tal. Hinzukommend möchte ich dafür sorgen, dass der Bund sich endlich an der Finanzierung der Schulen beteiligen darf, damit wir vor Ort moderne und hervorragend ausgestatte Schulen vorweisen können.
„Schnelles Internet ist eine Grundvoraussetzung“
In Sachen Digitalisierung und schnelles Internet hinkt der Kreis Olpe hinterher. Der geförderte Breitbandausbau beginnt frühestens im Februar 2018. Muss sich die Wirtschaft im Kreis Olpe Sorgen machen, weiter wichtige Zeit zu verlieren oder womöglich sogar abgehängt zu werden mit Blick auf die stetig weiter voranschreitende Digitalisierung?

Schnelles Internet ist im Jahre 2017 eine Grundvoraussetzung. Dass dieses – zum Nachteil vieler Unternehmen – in unserer Region nicht flächendeckend ausgebaut ist, muss schleunigst geändert werden. Daher ist unser Vorschlag: Verkaufen wir die Staatsanteile an der Deutschen Telekom und der Post und bündeln wir das gewonnene Geld in einem Sonderfonds, mit dem wir den flächendeckenden Glasfaserausbau in Deutschland auch im ländlichen Raum umsetzen und finanzieren.

Was braucht die Wirtschaft in Südwestfalen außerdem, um ihren Status als drittstärkste Region Deutschlands halten und ausbauen zu können?

Bessere Rahmenbedingungen und weniger bürokratische Fesseln. Da hat Andreas Pinkwart als FDP-Landesminister der NRW-Koalition schon ein erstes Entfesselungsgesetz auf den Weg gebracht und daran müssen wir auf Bundesebene anknüpfen. Beispiel Gründer: Menschen, die eine Idee haben und sich trauen, den Schritt in die Selbstständigkeit zu gehen, sollten wir unseren Respekt entgegenbringen und ihnen den Weg nicht durch unnötige Bürokratie erschweren. Daher arbeiten wir zum Beispiel für ein „bürokratiefreies Jahr“ für Gründer.
Mehr Wertschätzung für die Pflege
Wie lässt sich die medizinische, hausärztliche und pflegerische Versorgung auf dem Land sicherstellen?

Zuerst: Pflegende tragen große Verantwortung, sie sind fachlich qualifiziert und körperlich sowie physisch stark gefordert. Ich wünsche mir daher mehr gesellschaftliche Wertschätzung und Würdigung der professionellen Pflege – das muss sich auch in der Vergütung wiederspiegeln. Wenn das erreicht wird, ist dieser Beruf auch attraktiver für junge Leute. Den Pflegekräftemangel werden wir darüber hinaus auch durch Fachkräfte aus dem Ausland lindern müssen, umso wichtiger ist ein Einwanderungsgesetz, damit dies besser gelingt und wir uns diejenigen aussuchen können. Die niedergelassenen Haus- und Fachärzte bilden die Basis der flächendeckenden und hochwertigen ärztlichen Versorgung in unserem Land. Ich will, dass die ambulante ärztliche Versorgung und die Niederlassung in eigener Praxis mit Übernahme einer langfristigen, wohnortnahen Verantwortung für die Patientenversorgung wieder an Attraktivität gewinnen.

In einem Kommentar hat Harald Freiberger von der Süddeutschen Zeitung vor kurzem ein Gefälle zwischen boomenden Städten und der „verödenden“ Provinz beklagt. Seine Forderung für die Zeit nach der Bundestagswahl: ein „nationaler Pakt für die Entwicklung der ländlichen Gebiete“, u.a. für Unterhalt und Ausbau öffentlicher Straßen und des Nahverkehrs, für Digitalisierung und für die Schulen und Kindergärten. Wie bewerten Sie diese Forderung?

Allein das Beispiel Breitbandausbau zeigt ja, dass der ländliche Raum Wettbewerbsnachteile aufzuweisen hat. Daher müssen wir natürlich die Infrastruktur und die Bildungseinrichtungen in unserer Region verbessern – und im Falle der Schulen sollte der Bund auch finanziell mithelfen dürfen. Ich glaube aber, dass dies nicht nur ein nationaler Pakt für die ländlichen Gebiete sein sollte, sondern dass das unser Anspruch in ganz Deutschland sein muss. Dann haben wir hier im Sauerland doch beste Voraussetzungen: Mit wunderschöner Landschaft, hoher Lebensqualität und die Unternehmer und Mitarbeiter sind hier mit unseren ganzen Weltmarktführern doch am Puls der Globalisierung.
„Neue Medien sinnvoll im Unterricht einsetzen“
Stichwort Bildung, Stichwort Ausfall von Unterrichtsstunden. Brauchen wir mehr und besser qualifizierte Lehrer?

Ja, wir brauchen erheblich mehr Lehrer. Und auch mehr Wertschätzung für den Beruf, wie es unsere liberale Schulministerin in NRW, Yvonne Gebauer, fordert. Deshalb hat die neue Landesregierung es sich zum mittelfristigen Ziel gesetzt, eine 105 prozentige Lehrerversorgung zu erreichen – das stellt sicher, dass der Unterricht auch stattfindet. Wichtig ist zudem, dass die Digitalisierung nicht nur in den Pausen auf dem Schulhof stattfindet, sondern auch im Unterricht. Wir müssen unsere Lehrer auch technisch soweit qualifizieren, dass sie die neuen Medien sinnvoll im Unterricht einsetzen können und den Kindern diese Medienkompetenz früh vermitteln.

Befristete Arbeitsverhältnisse, viele Niedriglohn-Jobs, drohende Altersarmut und weiter steigende Preise auf dem Immobilien- und Wohnungsmarkt. Wie lassen sich diese gegensätzlichen Themenkomplexe miteinander in Einklang bringen?

Die Immobilien- und Wohnungspreise steigen deshalb, weil die Nachfrage höher als das Angebot ist. Die Politik muss also Anreize schaffen, dass wieder mehr gebaut wird, damit mehr Wohnraum zur Verfügung steht und das Angebot wieder steigt. Das senkt die Preise. Hinzukommend wollen wir einen Feibetrag bei der Grunderwerbssteuer einführen, denn besonders junge Familien, die sich den Traum vom Eigenheim erfüllen möchten, sollten zusätzlich zum Kaufpreis nicht auch noch eine Steuer in Höhe eines Kleinwagens an den Staat bezahlen müssen. Zudem brauchen wir Einstiegs- und Aufstiegschancen auf dem Arbeitsmarkt für jeden. Und beste Bildung und Weiterbildung, damit jeder das Versprechen bekommt, auch mithalten zu können.
„Mehr Polizisten statt Paragrafen“
Der Diesel-Skandal löst seit kurzem heftige Debatten aus, bei Windenergie und erneuerbaren Energien handelt es sich bereits seit längerem um Streitthemen. Wo und wie positionieren Sie sich in Sachen Umweltpolitik?

Wir brauchen klare politische Ziele mit Blick auf das Klima, weniger Ressourcenverbrauch und saubere Luft. Aber für den Weg dahin muss Technologieoffenheit gelten. Wer kann denn heute sicher sagen, was der beste Weg beispielsweise in der Autoindustrie sein wird – Elektromobilität, Hybridmotoren, effizientere Verbrennungsmotoren und synthetische Kraftstoffe oder doch noch die Brennstoffzelle? Oder eine Kombination aus diesen? Politik sollte Rahmenbedingungen schaffen – aber welcher Antrieb der beste, innovativste und sauberste ist, das sollten wir unseren Technikern und Ingenieuren überlassen.

Angesichts der Terroranschläge, die in den vergangenen Monaten in Europa verübt worden sind, ist die Debatte um innere Sicherheit wieder hochaktuell. Braucht es mehr innere Sicherheit – und falls ja, wie genau sollte das Ihrer Meinung nach aussehen?

Ich bin überzeugt, dass wir mehr Polizisten benötigen – nicht mehr Paragrafen. Dabei ist die schlechte Ausstattung der Polizei und Justiz ein absolutes Manko.  Also gut ausgestattete und klug organisierte Sicherheitsbehörden, keine anlasslose Massenüberwachung unbescholtener Bürger wie etwa durch die Vorratsdatenspeicherung. Der Rechtsstaat muss also besser organisiert sein als seine Feinde.
„Flucht und dauerhafte Einwanderung sind klar zu trennen“
Lennestadts Bürgermeister Stefan Hundt sagte kürzlich, in seiner Stadt sei das „Ankommen“ der Flüchtlinge geschafft. Jetzt müsse der Fokus auf die Integration der Menschen gelegt werden. Teilen Sie diese Ansicht? Und welche Potentiale sehen Sie für Gesellschaft und Arbeitsmarkt?

Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz mit Punktesystem nach kanadischem Vorbild. Als Grundsatz muss gelten: Aus dem humanitären Schutz auf Zeit kann nicht automatisch ein dauerhafter Aufenthaltsstatus werden. Die geflüchteten Menschen müssen in die alte Heimat zurückkehren, sobald es die Lage dort zulässt. Gleichzeitig sollten wir den Menschen, die sich hier inzwischen gut integriert haben, die Möglichkeit bieten, durch einen „Spurwechsel“ in Deutschland bleiben zu können – wenn sie den klar definierten Anforderungen des neuen Einwanderungsgesetzes entsprechen, denn Flucht und dauerhafte Einwanderung sind klar zu trennen. Mit Blick auf unsere demographische Entwicklung und dem Fachkräftemangel – Stichwort Arbeitsmarkt – müssen wir bei letzterer dringend um die besten Talente weltweit werben.

AfD, Pegida und besorgte Bürger: Seit der Flüchtlingskrise finden rechtspopulistische und offen fremdenfeindliche Thesen vermehrt Gehör und Verbreitung. Wie beurteilen Sie das?

Rechtspopulismus und Fremdenfeindlichkeit haben in unserer liberalen und weltoffenen Gesellschaft nichts verloren. Daher ist es auch so entscheidend, welche Partei bei der Bundestagswahl drittstärkste Kraft wird. Ich möchte nicht, dass die AfD möglicherweise die Opposition anführt und Herr Gauland der erste ist, der auf die Regierungserklärung antwortet. Daher werbe ich dafür, dass die FDP als Partei der Mitte, der Weltoffenheit und der Toleranz als drittstärkste Kraft in das Parlament einzieht. Entweder, um eine Modernisierungskoalition beeinflussen zu können – oder um die Opposition gegen eine erneute Große Koalition anzuführen.
„Jeder sollte selbst entscheiden, wann er in Rente geht“
Welche Themen, die in diesem Interview bislang noch nicht angesprochen wurden, noch nicht genannt wurden, verfolgen Sie außerdem?

Mein Herzensthema ist die Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik. Es ist nicht mehr zeitgemäß, dass Politiker entscheiden, wann die Menschen in Rente zu gehen haben – die Lebensläufe heutzutage sind so unterschiedlich, dass ein starres Renteneintrittsalter nicht mehr passt. Jeder sollte selbst entscheiden können, wann er in Rente geht, die Schweden machen das erfolgreich vor. Zudem muss die Arbeitsmarktpolitik zur modernen Arbeitswelt passen. Zum Beispiel Home-Office und das mobile Arbeiten erlauben viel mehr Freiheiten, wann man wie und wo arbeitet und zu individuell sehr unterschiedlichen Lebensläufen. Diese Chancen müssen wir nutzen.

Schließlich müssen wir die Schönheit unserer Landschaft im Sauerland erhalten. Wir alle wollen den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien, aber dafür muss man nicht das ganze Sauerland voller Windräder stellen – meist auch noch genau im Wald. Deshalb ist es gut, dass die neue Landesregierung hier mehr Vernunft walten lässt, dafür will ich mich auch in Berlin durch eine entsprechende Anpassung der Rahmenbedingung ein Ende von ökologisch und wirksamen und und unsozialen Subventionen einsetzen.

Vervollständigen Sie abschließend folgenden Satz: Sie sollten in den Bundestag einziehen und den Wahlkreis 149 in Berlin vertreten, weil…

… ich Überzeugungstäter bin und Lust habe, zu gestalten – deshalb mache ich Politik. Mit 35 Jahren bin ich noch jung, aber politisch erfahren – ich durfte das Sauerland bereits einmal in Berlin vertreten und würde dies sehr gerne wieder tun. Beruflich bin ich unabhängig als Führungskraft bei der Bundesagentur für Arbeit und weiß daher in meinem politischen Fachgebiet, wovon ich rede. Jederzeit ansprechbar zu sein ist für mich selbstverständlich, auch auf Twitter, Facebook oder Instagram. In den letzten Jahren habe ich an der Erneuerung der FDP mitgewirkt – und würde jetzt gerne mithelfen, Deutschland zu erneuern. Denn sowohl das Parlament als auch unser Wahlkreis brauchen wieder eine liberale Stimme.
Zur Person
Alter: 35

Wohnort: Köln

Familienstand: ledig, aber in festen Händen

Beruf: Politikwissenschaftler

Parteimitglied seit: 1999

Bisherige und aktuelle politische Ämter: Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen 2005-2010, Bundesvorstandsmitglied der FDP seit 2007, Generalsekretär der FDP-NRW seit 2014, Mitglied des Deutschen Bundestages 2009-2013

Politisches Vorbild: Viele Inspirationen, kein direktes Vorbild.

Hobbys: Reisen, in der Freizeit gerne ein gutes Buch und morgens ist Joggen Pflicht.

Ihre drei stärksten Eigenschaften: Optimistisch, empathisch und veränderungswillig.

Ihre drei Schwächen: Ungeduldig, manchmal zu detailversessen und asiatisches Essen.
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