Werthmann-Werkstätten: Arbeiten mit Stolz und Spaß

„LokalPlus hilft“


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Wichtiges Instrument: ein Tablet-PC mit großen Icons. von Andrea Schulte
Wichtiges Instrument: ein Tablet-PC mit großen Icons. © Andrea Schulte

Lennestadt. Zur Vorweihnachtszeit gehört der Adventskalender: jeden Tag ein Türchen öffnen zur Einstimmung auf das frohe Fest. Eine liebgewordene Tradition, die wir in diesem Jahr zum Anlass nehmen, ebenfalls Türen zu öffnen und hinter die Kulissen zu schauen. Wir besuchen Einrichtungen und Vereine im Kreis Olpe, die sich um Menschen kümmern, sich sozial engagieren und vielleicht nicht immer so im Fokus stehen, wie sie es verdient hätten. Wir sprechen mit Menschen, lassen uns herumführen und helfen für ein paar Stunden mit. Hier lest ihr, was Andrea Schulte bei den Werthmann-Werkstätten in Lennestadt erlebt hat.


Das „Erster-Arbeitstag“-Gefühl nimmt mir dann sofort der Mitarbeiter der Zentrale, Sven Gedenk, der von seinem Platz aus mit einer Mischung aus Verwunderung und Lachen meine Video-Versuche vor dem Eingang beobachtet hatte – nicht ohne im Haus Alarm zu schlagen: „Da draußen steht eine Frau und filmt die ganze Zeit!“ Na toll, ich habe also direkt mal Aufsehen erregt, das geht ja gut los! Nach meiner Erklärung („Die Haare saßen nicht, es war so windig“) müssen wir beide erst einmal lauthals lachen, bevor er mich galant bei Susanne Rüenauver, der Leiterin der Werthmann-Werkstätten, Abteilung Lennestadt, abliefert.
 von Andrea Schulte
© Andrea Schulte
Susanne Rüenauver verschafft mir dann einen Überblick über Werkstatt und Philosophie: „Wir sind gleichwerte Industriepartner für zahlreiche Unternehmen in der Region.“ Ich staune nicht schlecht. „Und das schaffen wir, indem wir hier Arbeit für alle möglich machen“, ergänzt die Chefin. Danach erklärt sie mir meinen Einsatzbereich: Ich soll mithelfen, Akten zu vernichten. Daher: Fotografieren strengstens verboten und sich streng ans Bundesdatenschutzgesetz halten! Aber vorher zeigt sie mir die Gruppen. Und ich lerne: Um Arbeit möglich zu machen, braucht es an mancher Stelle jede Menge Fantasie…
Arbeitseifer und Anarchie
Ich hatte ja vor meinem Besuch recherchiert, mir Internet- und Facebook-Seiten angeschaut. Aber nichts bereitet einen auf diese Atmosphäre vor: Es herrscht eine Mischung aus hochkonzentriertem Arbeitseifer und latenter emotionaler Anarchie. In einem Moment arbeiten alle in einem erstaunlichen Tempo an ihren Aufgaben. Im nächsten steht Marco Werthenbach plötzlich herzergreifend strahlend vor mir und erklärt, dass er das Gefühl mag, wenn dieser Metalldübel auf seiner Handfläche hin und her rollt.

Dirk Plange zieht einen Schlüsselanhänger mit einem Bild seiner Mama aus der Tasche und berichtet vom anstehenden Urlaub an der Nordsee. Nicht mit allen Beschäftigten ist Kommunikation, wie ich sie kenne, möglich. Doch es gibt jede Menge Hilfsmittel: Auf dem „Talker“ von Robin Nickel hat seine Mutter den Ablauf seines gestrigen Feierabends eingesprochen. Das Gerät besteht im Grunde nur aus einem großen Knopf und einem Lautsprecher und ist ausgestattet mit einer Aufnahmefunktion. So kann Gruppenleiterin Claudia Büdenbender anknüpfen: „Was gab es denn zum Abendessen, Robin?“
Lachen, quatschen, staunen
Nicht zuletzt kennt sie „ihre Leute“: Mit den Wortfetzen von Cilli Gerk bringt Claudia Büdenbender mühelos eine Unterhaltung in Gang. Ein Tablet-PC mit großen Icons erledigt den Rest: Frau Gerk tippt darauf, und ich erfahre, dass sie am Wochenende nach Hause fährt – endlich mal wieder! Ich staune über die Sicherheit im Umgang mit neuen Medien, die Dame steht kurz vor der Rente. Und: Sie mag kein Pink. Interessant, dass sie trotzdem sowas wie pink trägt, stellen wir fest und müssen alle laut lachen.
 von Andrea Schulte
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Ich muss zugeben: Viel gearbeitet habe ich nicht, ich habe mehr gequatscht und gelacht mit meinen neuen Kollegen und beobachtet, wie sie miteinander und mit ihrer Arbeit zurechtkommen. Unzählige Male habe ich den Stolz bestaunt, mit dem sie ihre Aufgaben erledigen. Das muss ich mir merken: Stolz sein auf das, was ich tue, das sollte ich auch mal wieder sein!
Leistung ist die Teilhabe an der Arbeit
Mit Marion Krüger habe ich dann aber doch streng geheime Unterlagen aus Aktenordnern genommen, während mir Marcel Sadra zeigt, wie schnell man die von ihren metallischen Bestandteilen befreien kann. Ab und an muss man es sich gefallen lassen, über einen als ungebührlich lang zu bezeichnenden Zeitraum unverwandt gemustert zu werden. Aber daran gewöhnt man sich auch ganz schnell. Wer zuerst blinzelt, hat verloren – dieses Spiel funktioniert hier nicht…
 von Andrea Schulte
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Die Werthmann-Werkstätten in Lennestadt bieten einen „Arbeits-Platz“: Arbeit für Menschen, die dafür einen geschützten Raum und individuelle Förderung brauchen. Und Platz, so sein zu können, wie sie nun mal sind. Da gibt es keine Masken, keinen Dresscode, keine „10-Dinge,-die-Sie-am-ersten-Arbeitstag-vermeiden-sollten“– Liste. Starren würde sicherlich darauf stehen. Leistung ist nicht, wieviel und wie herausragend das Ergebnis ist. Leistung ist hier die Teilhabe an der Produktivität dieser Region und ich kann nur ahnen, wie wichtig das für jeden Einzelnen Beschäftigten ist.

„Jetzt wissen Sie, warum wir hier so gerne arbeiten“, sagt Susanne Rüenauver am Ende meiner Schicht und schaut mir fest in die Augen. Ja, das weiß ich jetzt. Auch mal wieder machen, denke ich bei mir: Dankbar sein!
Kurz & knapp: Die Werthmann-Werkstätten

Die Werthmann-Werkstätten sind eine Einrichtung des Caritasverbandes Olpe, Namensgeber Pastor Lorenz Werthmann gründete 1897 in Köln den deutschen Caritasverband. Die Werkstätten fördern Menschen mit Behinderungen im Arbeitsleben und sichern ihnen somit einen angemessenen Platz in der Gesellschaft. Ein vielfältiges Arbeits- und Bildungsangebot ermöglicht den Beschäftigten der Werkstätten, ihre Persönlichkeit und ihre Selbstständigkeit zu entwickeln bzw. zu erhalten.

Die Abteilung in Lennestadt-Meggen ist die kleinste von vier Abteilungen. Hier arbeiten zur Zeit 112 behinderte Menschen, unter anderem in der „ExAKT“ – Aktenvernichtung, in der gemäß der Richtlinien des Bundesdatenschutzgesetzes und nach DIN 66399 Akten vernichtet werden. Auftraggeber sind Industrieunternehmen aus der Region.

Weitere Informationen und Kontakt:

Werthmann-Werkstätten
Askay 42
57439 Attendorn
02722 921 0
info.ww@caritas-olpe.de
https://www.werthmann-werkstaetten.de/
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