Weihnachten fast wie zu Hause: Eine syrische Familie erzählt

Von Aleppo nach Meggen


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Familie Sayess freut sich auf Weihnachten - auch wenn die Eltern Naim und Paola gerade beim Fest der Liebe ihre Familien und die alte Heimat besonders vermissen. von Kerstin Sauer
Familie Sayess freut sich auf Weihnachten - auch wenn die Eltern Naim und Paola gerade beim Fest der Liebe ihre Familien und die alte Heimat besonders vermissen. © Kerstin Sauer

Meggen. Sie sind in Meggen angekommen. Haben Freunde, Familie, Kontakte, engagieren sich, fühlen sich hier wohl. Doch die Sehnsucht nach der alten Heimat Aleppo in Syrien und nach der Familie, die sie dort vor fast sechs Jahren zurückgelassen haben, begleitet Familie Sayess durch ihren Alltag. Vor allem an Weihnachten – dem Fest der Liebe, dem Fest der Familie.


„Wir freuen uns auf Weihnachten“, sagt die 37-jährige Paola Rakhtawan und lächelt. Sie sitzt mit ihrem Mann Naim Sayess (39) und den drei gemeinsamen Töchter Stephanie (8), Christa-Maria (5) und Joy (9 Monate) in ihrem gemütlichen Wohnzimmer in der Meggener Wohnung.

Das Blickfang im Raum: der geschmückte, leuchtende Weihnachtsbaum, unter dem eine selbst gebastelte Krippe steht. „Die hat Papa gemacht und ich habe ihm geholfen“, sagt die achtjährige Stephanie stolz und deutet auf die fünf kleinen Personen, die Hand in Hand vor dem Häuschen stehen: Papa, Mama und die drei Mädchen.
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© Kerstin Sauer
Stephanie war noch keine drei Jahre alt, als sie und ihre Eltern von Aleppo nach Meggen kamen, ihre Schwestern noch nicht auf der Welt. Die Erinnerungen an die alte Heimat sind vage. Aber das Weihnachtsfest, das die katholische Familie auch in Syrien immer gefeiert hat, hat die Achtjährige nicht vergessen: „Wir hatten immer viel Besuch“, sagt sie und strahlt.

Das Lächeln ihrer Mama Paola wird etwas wehmütig. Ihre Erinnerungen an die alte Heimat sind so präsent wie eh und je. „Wir haben immer mit der ganzen Familie gefeiert, das Haus war voll“, erzählt sie. Die Gemeinde der katholischen Christen in Aleppo war klein, ist heute noch kleiner – doch der Zusammenhalt war und ist groß.
Viele kirchliche Angebote für Kinder
„Wir sind regelmäßig in die Kirche gegangen.“ Besonders gerne erinnert sich die Familie an die vielen Angebote der Kirche für Kinder: In Gruppen traf man sich regelmäßig und die Kinder erfuhren dort viel über die Kirche und den Glauben.

Das Weihnachtsfest war, wie für alle Christen, ein wichtiges Kirchenfest im Jahr. Allerdings, so berichtet Paola, ist nur der 25. Dezember in Syrien ein offizieller Feiertag, denn: „Die Mehrheit der Menschen dort sind Muslime.“
Papa Noel bringt in Syrien die Geschenke
Der Heilige Abend, in Syrien „Laylet-Almilad“ genannt, wird im Kreise der Familie gefeiert. Gemeinsam wird gegessen, wobei es kein eindeutig traditionelles Gericht gibt. „Bei uns gab es oft Hahn mit Reis und als Nachtisch Baumkuchen, ein Rezept aus Frankreich“, erzählt Paola Rakhtawan. Bei der Bescherung werden in Syrien in erster Linie die Kinder beschenkt. „Papa Noel bringt die Geschenke“, erklärt die 37-Jährige und betont: „Das finde ich hier in Deutschland schöner, dass das Christkind die Geschenke bringt: Das kann man den Kindern besser mit dem Glauben erklären.“

Nach dem Essen gehen die meisten katholischen Christen in Syrien in die Christmette. Am ersten Weihnachtstag wird weiter gefeiert. Dann finden in den Restaurants und Pubs in Syrien Partys statt.
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Auch in Syrien hatte die Familie immer einen bunt geschmückten Weihnachtsbaum. „Nur größer“, sagt Naim Sayess mit Blick auf den hübschen, kleinen, bunt verzierten Baum im Wohnzimmer der Familie. Der steht schon seit einigen Tagen an seinem Platz. „Damit die Kinder sich länger dran erfreuen können“, sagt Paola und lacht.

Apropos Freude: Der Wunschzettel der Mädchen wurde schon abgeholt, Stephanie hofft auf Bastelsachen, während die fünfjährige Christa-Maria gerne eine Meerjungfrau bekommen würde. Und Joy? „Die wünscht sich ein Mobile“, sind sich die Schwestern sicher. Wie in Syrien, so geht die Familie an Heiligabend auch in Meggen in die Kirche. „Mit Kinder-Katechese“, wissen Paola und Naim. Danach gibt es bei der Oma Geschenke. Am ersten Weihnachtstag gehen alle zusammen essen.
Die Menschen halten an ihrem Glauben fest
Um zu zeigen, wie in Aleppo Weihnachten gefeiert wird, schaltet Naim Sayess den Fernseher an: Ein arabischer Sender zeigt einen großen Platz in der syrischen Stadt, auf der sich zahlreiche Menschen um einen großen, blinkenden, bunt geschmückten Baum drängen. „Diese Menschen“, sagt Paola mit Blick auf das Geschehen im Fernseher, „halten an ihren Traditionen fest. Die Menschen haben die Geduld und den Wunsch, dort zu bleiben und dort zu leben.“ 

Mit Tränen in den Augen verfolgt die junge Frau die Szenen im Fernsehen. „Wir vermissen unsere Straßen und unsere Leute.“ Beim Bild einer zerbombten Kirche sagt sie leise: „Dort in der Nachbarschaft wohnt meine Familie, meine Mutter, mein Vater, mein Bruder und meine Schwester. Sie haben meine jüngeren Töchter noch nie gesehen.“
Die Töchter an ihre Wurzeln erinnern
Auch ihr Mann Naim vermisst Aleppo, obwohl der Großteil seiner Familie in Lennestadt wohnt. „Ich habe 35 Jahre in Syrien gelebt. Das ist meine Heimat.“ Dort sind ihre Wurzeln, dort sind ihre Erinnerungen, die sie an ihre Töchter weitergeben wollen: „Es ist unsere Aufgabe, unseren Kindern von der Heimat zu erzählen und uns daran zu erinnern." 

Die Situation in Aleppo, so berichtet das Ehepaar, habe sich etwas entspannt, aber sei noch nicht stabil. Paola Rakhtawan: „Die wirtschaftlichen Gegebenheiten sind sehr schwer, aber die Menschen kämpfen und versuchen zu sagen: Wir bleiben hier und möchten alles wieder aufbauen, aber dafür brauchen wir Frieden.“ Ihr Weihnachts-Wunsch? „Wir wünschen uns nur, dass die Menschen in Syrien endlich in Frieden leben können, wie sie es möchten. Wir glauben fest daran, dass Gott auf sie aufpasst.“
Ein neues Leben in Meggen
Ostern vor sechs Jahren durfte die damals dreiköpfige Familie mit weiteren Verwandten nach Meggen reisen: Eine Tante und ein Cousin von Naim, die seit Jahrzehnten hier leben, halfen ihnen, ein Visum zu bekommen.

In Syrien, so berichten sie, war die Angst ihr ständiger Begleiter: Naim Sayess, der in Aleppo einen eigenen Laden für Autoteile führte, war im Armee-Alter, jeden Tag hätte er eingezogen werden können.

Während sich Paola Rakhtawan im örtlichen Kindergarten als Elternbegleiterin engagiert, nimmt Naim an verschiedenen Sprachkursen teil, um seine Berufschancen zu verbessern. Eine Arbeitsstelle in Grevenbrück hat er verloren. Er hofft, mit Sprach-Zertifikaten eine neue Arbeitsstelle zu finden.

Stephanie geht in die dritte Klasse der Meggener Grundschule und hat viele Freunde. In diesem Jahr zieht sie sogar als Sternsinger durch die Straßen, 2020 feiert die Familie ihre Erste Heilige Kommunion. Die fünfjährige Christa-Maria besucht den Kindergarten St. Bartholomäus in Meggen.

Die Angst, nicht in Deutschland bleiben zu dürfen, begleitet die junge Familie täglich: „Die Erlaubnis wird immer wieder verlängert, es ist nicht sicher, ob wir hier bleiben dürfen. Wir versuchen gut zu sein und halten uns an die Regeln, aber die Unsicherheit ist schwer.“
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