Überfall auf Taxifahrerin: Zwei Haftstraften

Jüngster Täter wird zu einer Bewährungsstrafe verurteilt


  • Lennestadt, 05.06.2015
  • Von Matthias Clever
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    Matthias Clever

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 von Symbol Kerstin Sauer
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Das Landgericht Siegen hat Freitagnachmittag, 5. Juni, die Strafen für die drei jungen Männer, die im vergangenem November eine Oberhundemer Taxifahrerin brutal überfallen und fast zu Tode stranguliert haben, bekannt gegeben. Zwei der drei Täter müssen jahrelang hinter Gitter.


Es geht um Strafe und Gerechtigkeit auf der einen und um die Zukunft von drei jungen Männern auf der anderen Seite: Die Vorsitzende Richterin Sabine Metz-Horst musste viele Belange abwägen. Auch die Frage, ob die Tat der drei jungen Männer ein versuchter Mord war oder nicht, galt es zu klären. Letztlich urteilte sie, dass es sich in dem Fall um versuchten Mord durch Unterlassen handelt. Der älteste der drei Täter (zur Tatzeit 23 Jahre) muss daher für acht Jahre ins Gefängnis, der 19-jährige für fünf Jahre. Der jüngste Täter (zur Tatzeit 15 Jahre) erhielt eine Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung. Ausschlaggebend für das Urteil war, dass sie die Taxifahrerin bewusstlos zurückgelassen haben, ohne einen Krankenwagen zu rufen. Außerdem haben die Täter ihr Vorgehen genau geplant.
Wohnung wird zur Keimzelle des Verbrechens
Die beiden jüngsten Täter kommen aus zerrütteten Familienverhältnissen. Beim jüngsten Täter spricht Richterin Metz-Horst von „Verwahrlosung“ – eine Eltern-Kind-Beziehung habe es nie gegeben. Lehrer beschreiben beide als nicht erreichbar. Folge: Sie scheitern in der Schule. Dem 19-Jährigen werden seit 2011 zahlreiche Möglichkeiten durch das Jugendamt geboten. „Alles hat nichts gefruchtet.“ Da es extreme Probleme in der Familie gibt, zieht er in eine Wohnung – durchs Jugendamt unterstützt. „Eine falsche Entscheidung“, wie die Vorsitzende Richterin Sabine Metz-Horst zusammenfasste. Denn: Die Wohnung wird zur Keimzelle des Verbrechens. Der 23-Jährige kommt zwar aus stabilen Verhältnissen, versagt aber auch in der Schule und im Beruf. Er lebte in den Tag hinein und gelang zu der Erkenntnis, dass aus ihm nie etwas werden würde, fasste Metz-Horst zusammen. In der Wohnung treffen sich die jungen Männer. Der Jüngste fühlt sich auf Augenhöhe mit den anderen – ein Oberhaupt gibt es nicht.
Schläge sollen bewirken, dass das Opfer die Gesichter vergisst
Rumhängen – nur Cannabis, Alkohol und Ecstasy sind die Höhepunkte der drei jungen Männer, deren Leben schon in jungen Jahren gescheitert zu sein scheint. Sie selbst schildern ihre jeweiligen Situationen als ausweglos. Zusammen fühlen sie sich frei und stark. Eine eingeschworene Gruppe. „Freunde sollten für einander da sein“, schaukeln sie sich gegenseitig in der Gruppe hoch. Der älteste Täter behauptet unwahrheitsgemäß, dass er 7000 Euro Schulden hat. Zusammen hecken sie den Plan aus, in einen Geschäft in Altenhundem einzubrechen, umso an Geld zu kommen. Doch sie kommen zu der Erkenntnis, dass das Risiko erwischt zu werden zu hoch sei. Stattdessen schmieden sie den Plan, einen Taxifahrer auszurauben. Ein HDMI-Kabel und ein Schlagstock sollen als Waffe dienen. An einem wehrlosen Bekannten testen sie das Kabel aus und strangulieren ihn. Mit dem Schlagstock wollen sie den Taxifahrer schlagen und „bewirken, dass er die Gesichter wieder vergisst“. Als Sabine Metz-Horst das berichtet, geht ein Raunen durch den Besucherraum. Kopfschütteln. Die Richterin spricht weiter, sagt, dass sie nicht wüsste, woher die jungen Männer auf eine solch abwegige Idee kämen. Schmerzen und Ängste seien von vornherein Teil des Plans gewesen, das sei durch das Vorgehen klar.
Trio legt mehrere Feuer
Es ist der 17. November 2014. Der Tag vor der Tat. Die drei Männer hängen rum – wie so oft. Am frühen Morgen des 18. Novembers zieht das Trio los. Um 2.30 Uhr stehlen sie vier Stühle und einen Tisch an einem Café in Altenhundem und schleppen die Beute in die Wohnung des 19-Jährigen. Außerdem brennen sie mit einem Sturmfeuerzeug Löcher in einen großen Pavillon. Mit Deo besprühen sie Deko, setzen die Gegenstände in Flammen. Doch der Drang, etwas zu verbrennen oder zu zerstören, ist nicht gestillt. Der Älteste zündet eine Mülltonne am Pfarrheim an – vom Spielplatz aus beobachten die drei, wie sich das Feuer entwickelt. Ein Passant verhinderte Schlimmeres, kann die Deko-Artikel löschen und rechtzeitig die Feuerwehr alarmieren. „Im Haus schliefen Kinder“, betont die Richterin. Es sei ein glücklicher Zufall gewesen, dass nichts Schlimmeres passiert sei.
Täter bestellen ahnungsloses Opfer zu sich
Mittags zieht die Bande wieder durch den Ort, um Läden auszukundschaften. Ohne Erfolg. Daher nimmt der Plan, einen Taxifahrer zu überfallen, weiter Form an. Zwischen 22 und 23 Uhr machen sie sich auf den Weg. Der Jüngste hat das HDMI-Kabel in der Tasche, der Älteste hat den Schlagstock dabei. Doch einen Taxifahrer, der für eine Fahrt frei ist, finden sie nicht. Daher gehen sie in eine Spielhalle an der Hundemstraße und lassen dort gegen 23.15 Uhr ein Taxi bestellen. Eine halbe Stunde soll es dauern, bis das Taxi eintrifft. In der Zwischenzeit versuchen sie den Schlagstock in dem Etablissement zu verkaufen – ohne Erfolg. Draußen sprechen sie über den Plan – Wortfetzen davon bekommt ein Passant mit und warnt die Taxifahrerin, die am Bahnhof mit ihrem Fahrzeug steht. Dennoch lässt sie die jungen Männer einige Minuten später in den Wagen einsteigen – die beiden Ältesten kennt sie vom Sehen, daher macht sie sich keine Sorgen. Die Täter wiegen ihr Opfer in Sicherheit. Sie geben eine Adresse an und fahren los. Sie unterhalten sich, der Älteste reicht einen Zehneuroschein an seinen 19-jährigen Vordermann, um der Fahrerin zu demonstrieren, dass alles stimmt. In der Zwischenzeit bereitet er seinen Schlagstock vor. Der Jüngste hat das HDMI-Kabel im Schoß liegen. Sie fahren nach Albaum. Am Ende der Straße sagt der 23-Jährige, sinngemäß „wir sind schon ein Stück zu weit – Sie können uns dann gleich da rauslassen“.
Die Männer strangulieren und schlagen die Frau
Die Taxifahrerin fährt auf den Schotterparkplatz des Sportplatzes, um den Wagen zu wenden. Plötzlich zieht sich schnell und fest das HDMI-Kabel um den Hals der Taxifahrerin zu. Hinter ihr stemmt der 15-Jährige sein Knie in den Sitz und zieht die Enden zusammen. Der Hals wird abgeschnürt. Die Frau ringt nach Luft, bekommt gerade noch ihre Hände zwischen Kabel und Hals. „Das klappt so nicht“, schallt es durchs Taxi. Der Älteste stößt den Schlagstock gegen die Kopfstütze. Der zweite Versuch des 23-Jährigen trifft das Ziel. Blut tritt aus dem Hinterkopf aus. Die Taxifahrerin sackt bewusstlos in sich zusammen. Immer noch wird sie stranguliert. Der 19-Jährige sieht vom Beifahrersitz, wie nur Weiß in den Augen zu sehen ist. Speichel läuft aus dem Mund. Er könne keine Frau schlagen, sagt er und weigert sich, seinen Part zu übernehmen. Doch der Älteste fordert ihn auf, wie verabredet zu handeln. Letztlich schlägt er zu – zweimal ins Gesicht der bewusstlosen Frau. In der Zwischenzeit wird das Portmonee geplündert. Die beiden Jüngsten wollen nur noch weg – sie rennen davon. Der 23-Jährige folgt wenig später. Wegen des Speichels streiten sie darüber, einen Krankenwagen zu rufen, da ihnen bewusst ist, dass die Frau ersticken kann. Sie unternehmen aber nichts, außer die knapp 300 Euro unter sich aufzuteilen und zu verschwinden.
Richterin: „Im Ergebnis eine milde Strafe“
Rund sieben Minuten später wacht die Taxifahrerin mit dem Gefühl auf, innerlich zu verbrennen. Sie fürchtet, dass die Täter wiederkommen. Sie rast mit ihrem Taxi los, obwohl die Beifahrertür noch geöffnet ist. Die Taxifahrerin „kämpft sich derzeit zurück in die Normalität“, sagt Richterin Sabine Metz-Horst. Körperlich gehe es der Nebenklägerin gut, sie sei aber noch stark traumatisiert. Dieser Tag hat das Leben der Frau für immer verändert – aber auch das der drei jungen Männer. Da sich der jüngste Täter in einer Einrichtung in Iserlohn „extrem positiv“ gemacht habe, sieht die Richterin davon ab, eine Gefängnisstrafe zu verhängen. Sabine Metz-Horst verurteilt ihn zu zwei Jahren auf Bewährung – allerdings sind daran Auflagen gekoppelt. Der inzwischen 16-Jährige muss bis zu seinem 18. Geburtstag in der Einrichtung in Iserlohn wohnen. Er ist einem Bewährungshelfer unterstellt und muss 300 Stunden Sozialarbeit leisten. Außerdem soll er in therapeutischer Behandlung bleiben und seine Schule beenden. „Im Ergebnis eine milde Strafe“, befindet Metz-Horst, die eindringlich an den jungen Mann appelliert, diese Chance für sein Leben zu ergreifen.
Täter soll Ausbildung beenden
Der 19-Jährige wird für fünf Jahre eine Jugendstrafe absitzen müssen. Da der junge Mann eine Ausbildung zum Maler und Lackierer in der JVA Wuppertal begonnen hat, fordert die Richterin ihn auf, diese weiterzuführen und so etwas Gescheites aus seinem Leben zu machen. Da die Richterin zu der Überzeugung gelangt ist, dass der älteste Täter für den Zusammenhalt der Gruppe gesorgt habe, er älter ist und seine Sozial-Prognose nicht so positiv sei, erhielt er eine Gesamtstrafe von acht Jahren. Diese setzt sich aus den einzelnen Taten zusammen.
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