Saisonende beim Elspe-Festival: Jean-Marc Birkholz im Interview

Winnetou geht von Elspe nach Minsk


  • Lennestadt, 04.09.2018
  • Von Steffi Funke
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Steffi Funke, die den Blog „Zauberhaftes Sauerland“ betreibt, traf Winnetou-Darsteller zum Interview in luftiger Höhe. von Steffi Funke/ Zauberhaftes-Sauerland.com
Steffi Funke, die den Blog „Zauberhaftes Sauerland“ betreibt, traf Winnetou-Darsteller zum Interview in luftiger Höhe. © Steffi Funke/ Zauberhaftes-Sauerland.com

Elspe. In Deutschlands Wildem Westen kehrt langsam wieder Ruhe ein. Nach fast dreimonatiger Saison auf der Freilichtbühne, entsatteln Winnetou und Old Shatterhand wieder ihre Pferde und genießen die Zeit neben dem Elspe-Festival. Steffi Funke, die den Blog „Zauberhaftes Sauerland“ betreibt, hat Hauptdarsteller Jean-Marc Birkholz, der alljährlich in die Rolle des Winnetous schlüpft, zum Interview an der Hohen Bracht getroffen und dieses LokalPlus zur Verfügung gestellt.


Die Sommerferien sind vorbei! Das wird durch verschiedene Tatsachen ganz besonders deutlich. Der persönliche Tagesrhythmus hat sich wieder völlig verändert, zwischen sieben und acht ist es auf den Straßen deutlich voller als in den vergangenen Wochen, in den Schreibwaren-Läden sind die Schlangen drei Mal so lang wie üblich und Winnetou verlässt das Sauerland.

Ja, du hast richtig gehört: Nachdem er knapp drei Monate lang über die Elsper Freilichtbühne geritten ist und den Großteil des Fast-schon-Jahrhundert-Sommers wieder einmal im Sauerland verbraucht hat, zieht es den Winnetou-Darsteller Jean-Marc Birkholz nun nach Weißrussland. Bevor er aber gehen darf, muss er dringend noch eins versprechen: zurückzukommen!

Auf einen Kaffee mit Jean-Marc Birkholz

Um ihm dieses Versprechen zu entlocken, schien mir die „Hohe Bracht“ der perfekte Ort zu sein. Ich wusste nämlich aus seinem letzten Beitrag, dass Jean-Marc die Sauerländer Berge und Natur sehr schätzt, und wo bekommt man sonst so einen geballten Rundumüberblick darüber…!? Dann nur noch ein wenig über die Vorzüge der Region plaudern und einen leckeren Cappuccino in der stylishen „588 Hohe Bracht“ schlürfen, und der Plan müsste aufgehen… Hoffentlich!

In meinem Blog „Zauberhaftes Sauerland“ schreibe ich über meine Heimat. Jean-Marc, du kommst ja sehr viel herum: Berlin, Elspe, Minsk, Lesereisen... Hast du noch eine Heimat oder mehrere Heimaten?

Heimat ist für mich immer da, wo ich gerade bin. Es ist schwer für mich, es anders auszudrücken… Im Moment ist Köln noch meine Heimat. Da bin ich aber nur noch bis zum Jahresende, dann werde ich meine Wohnung dort aufgeben. Ich habe auch schon eine ganz kleine Wohnung in Berlin, aber einfach nur, damit ich meine Basics unterkriege, weil ich dann in Minsk leben werde und für die Arbeit zurückkomme.
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Berlin ist da ein günstiger Verkehrsknotenpunkt. Mein Leben wird dann halb in Weißrussland und halb in Deutschland stattfinden. Ich weiß noch nicht, wie das werden wird… Auf jeden Fall wird es spannend! Heimat ist für mich aber auch, wenn ich hier im Sauerland bin. Weil ich mich wohl fühle in dieser Zeit. Ja, Heimat ist da, wo ich glücklich bin!

Du hast schon an der schönen Felsenbühne in Rathen gespielt, Filme in der (Weiß-)Russischen Natur gedreht, bist seit Jahren bei Elspe Festival. Als du mit dem Schauspielen anfingst, hast du dir da vorgestellt, so viel Natur erleben zu können?

Habe ich mir überhaupt nicht vorstellen können! Ich dachte, Theaterspielen bedeutet, für immer auf einer schwarzen Bühne zu stehen, vom Scheinwerferlicht angestrahlt zu werden und die Gesichter der Zuschauer nicht erkennen zu können… Man sieht ja nichts, wenn man im Licht steht. Dass sich das so in die Richtung entwickelt hat, dass ich auf Naturbühnen spielen oder im Freien drehen darf, kommt meinem Naturell sehr entgegen und macht mich glücklich.

Kannst du auch direkte Reaktionen des Publikums einfangen, wenn du über die Elsper Bühne reitest?

Wenn ich spiele, nehme ich nur Geräusche, nie Gesichter wahr. Die ersten Gesichter sehe ich dann beim Applaus. Dann muss ich mir aber auch viel Mühe geben, und das habe ich mir über die Jahre antrainiert, in manche Gesichter etwas länger zu schauen. Das macht ja auch Spaß, die direkten Reaktionen auszutauschen! Aber wenn ich meine Rolle spiele, bin ich ganz im Stück.

Zu Karl May und Winnetou gehören ja immer auch die Pferde. Konntest du schon vor deinen ersten Winnetou-Rollen reiten?

Nein, das kam mit der Rolle. Ich musste damals zwei Wochen auf einen Reiterhof. Bei Leipzig war das, weil es nahe dem Theater war. Ich wurde mit einem Bus von Radebeul nach Leipzig gefahren und für zwei Wochen da gelassen. Dort habe ich in einem kleinen Holzhaus gelebt, morgens um acht ging´s auf‘s erste Pferd und abends um acht vom letzten wieder runter. Das war wirklich eine intensive Zeit für mich! Ich hatte Angst vor Pferden.

Das hat sich nach den ersten Stürzen aber sofort gelegt. Meine Angst war, dass man sich etwas bricht und im Rollstuhl landet, wenn man stürzt. Als ich gemerkt habe, dass es nicht so schlimm ist, wenn man weiß, wie man fällt, war die Angst weg. Und heute liebe ich es. Reiten ist die schönste Nebensache der Welt!

Wenn du nach fast einem Jahr wieder nach Elspe kommst, erkennt dein Pferd „Iltschi“ dich dann wieder?

Ich bilde mir ein, dass es mich erkennt. Es steht ganz hinten im Stall, und wenn ich am Stall vorbeilaufe oder hineingehe, macht es recht lustige Geräusche um „Hallo“ zu sagen. Kann ich jetzt aber nicht nachmachen, wäre zu albern. Ich putze das Pferd auch selbst und pflege es vor und nach den Auftritten. An den spielfreien Tagen übernehmen das natürlich andere für mich, genau wie die zahlreichen anderen Aufgaben in der Versorgung der Tiere.

Elspe hat kaum 3000 Einwohner, Berlin über drei Millionen. Wie lebt es sich in diesen zwei „Welten“?

Ich liebe es, hier zu sein. Um erstmal zu sagen, was ich in der Stadt mag: Man kann alles haben. Was und wann man es will. Alles, bis auf Ruhe. Man hat keine Stille und kaum eine Möglichkeit, zu sich zu finden. Zumindest ist das bei mir so, ich will das nicht verallgemeinern. Aber ich brauche die Ruhe. Ich habe eine tolle Wohnung in Köln.
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Das ist mein Refugium, wo ich abschalten kann. Berlin ist für mich eine kühle Stadt. Tough und hipstermäßig. Man muss sich immer so beeilen, um den Anschluss nicht zu verlieren. Das geht schon bei den U-Bahnen los: Die fahren zwar alle fünf Minuten, trotzdem versucht man immer noch, in die reinzuspringen, die gerade abfährt.

Mein Puls geht immer schneller in Berlin und das tut mir nicht gut auf Dauer. Köln ist komplett das Gegenteil davon. Es ist zwar auch quirlig, cool und stylish, aber die Leute da reden miteinander, sind mehr aneinander interessiert. In Köln ist man mit jedem sofort im Gespräch. Egal wo du herkommst und wer du bist. Alles ist unaufgeregter und ohne Hektik. Dafür liebe ich diese Stadt.
„Elspe reinigt meine Gedanken“
Wenn ich meine drei Monate nach Elspe, beziehungsweise ins Sauerland komme, reinigt das meine Gedanken. Der Beruf bringt es ja mit sich, dass die Arbeit an der Rolle auch immer Arbeit an dir selbst ist. Mal ein Beispiel: Wenn ich Pfeifenmacher bin, kann am Endprodukt jeder sehen, ob das eine schöne oder hässliche Pfeife ist, raucht sie sich gut oder nicht… Und dann kann man entscheiden, das ist ein guter Pfeifenmacher oder ein schlechter.

Beim Schauspielen bist du das Endprodukt selbst, da fällt fast alles auf dich zurück: Stimme, Ausstrahlung, die Art, wie du die Rolle ausfüllst, ob du glaubwürdig bist oder eben nicht. Wenn ich hier bin, denke ich viel über das Wesentliche im Leben nach. Das erdet mich unglaublich, dieses Sauerland.

Konntest du deine Verbundenheit zum Sauerland schon an Familie oder Freunde weitergeben?

Meine Familie wohnt ja in und um Berlin und kommt mich nur zu den Vorstellungen besuchen. Das Sauerland ist für sie ein grauer Fleck auf der Landkarte, leider… Und fairerweise muss ich zugeben, dass es bei mir nicht anders war, bevor ich hier herkam. Es klang schon lustig, als ich zum ersten Mal gesagt habe, „Hey, ich fahre jetzt ins Sauerland“… Und dann war das so eine Offenbarung, als ich hier ankam. Wahrscheinlich weil ich eben nichts erwartet habe. Es ist wunderschön hier... Immer wenn ich freie Tage habe, setze ich mich ins Auto und fahre los - jedes Jahr eine andere Himmelsrichtung.

Wenn mir ein Platz gefällt, halte ich an. So habe ich mir das Sauerland die ganzen letzten Jahre mehr und mehr erschlossen. Ich kenne einige schöne Plätze, von denen manch ein Sauerländer noch nie etwas gehört hat. Ich komme schnell ins Schwärmen, wenn ich nach dem Sauerland gefragt werde. Aber eigentlich ging es ja um meine Familie. Also: meine Frau war jetzt vier Wochen hier, und sie fand es traumhaft.
Wohnen mitten in der Natur
In ihrer Heimat Weißrussland ist es auch schön, aber alles ist flach. Die Berge hier haben sie begeistert. Das geht ja unseren Nachbarn aus den Niederlanden nicht anders. So fand es auch meine Frau - paradiesisch. Ich wohne oben auf dem Festival-Gelände in einem Holzhaus und schaue früh morgens, wenn ich das Fenster aufmache, direkt auf die Pferdekoppel mit den Bergen im Hintergrund. Natur pur, unglaublich schön!

Hast du für die Leser meines Blogs einen Tipp, was sie im Sauerland unbedingt machen sollten?  

Ich finde die Gegend rund um die „Wildewiese“ ganz bezaubernd, Richtung Balve weiter und Halver, das ist eine Ecke, die mir unglaublich gut gefällt. Die Natur, die Höhlen… Die „Dechenhöhle“ finde ich toll, da gibt´s zum Beispiel auch Höhlen-Whisky. Außerdem gibt´s da auch einen grandiosen Aussichtspunkt, den Aussichtsturm Schomberg. Und das Pumpspeicherwerk oberhalb von Rönkhausen ist auch ein wundervoller Ort. Von dort aus kann man direkt auf die „Wildewiese“ blicken.
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Diese Gegend hat es mir sehr angetan und ich kann jedem empfehlen, hinzugehen… Wobei, besser nicht! Dann ist alles so überlaufen. Und gerade die Einsamkeit macht diese Orte ja so besonders für mich. Auch die „Hohe Bracht“ hier ist so ein schöner Ort. Inmitten der herrlichsten Natur ein ganz modernes Restaurant. Wenn man hier ist, gehört der Gang auf den Aussichtsturm unbedingt dazu. Aber mein ganz persönlicher Geheimtipp liegt ziemlich versteckt. Von hier aus Richtung Kreuztal, nahe Littfeld. Ein ganz kleiner jüdischer Friedhof, mitten im Wald. Ein schicksalhafter und märchenhafter Ort, den ich entdeckt habe, als ich mal wieder einfach losgelaufen bin.

Wenn man die Zeit an der Naturbühne in Rathen mitzählt, dann spielst du jetzt seit 17 Jahren Karl May und davon 13 Jahre Winnetou. Ganz ehrlich: Wird dir das nicht langweilig?

Nein, absolut nicht. Ich betrachte es als ein Geschenk, diese Rolle immer noch spielen zu können und darin angenommen zu werden. Da ist ja nicht selbstverständlich in diesem Beruf… Die Arbeit ist für mich jedes Mal wieder neu. Und zurück zum Pferd zu kommen, das ich ja jetzt auch schon so lange kenne, fühlt sich so an, wie ich mich früher als kleiner Junge auf meinen Geburtstag oder Weihnachten gefreut habe.

Schwer zu beschreiben, aber in die Richtung geht das schon. Es sind immer neue Geschichten, neue Kollegen, die Situation ist ja immer irgendwie eine andere, auch wenn die Umgebung immer die gleiche ist. Und dann gibt es natürlich die Kerngemeinschaft, die wie eine Familie ist - die Elspe-Familie.  Langweilig wird es hier nie!

Mit Jochen Bludau und Benjamin Armbruster arbeitest du mit Leuten zusammen, die auch schon den Winnetou oder an der Seite des legendären Pierre Brice gespielt haben. Gibt's da schon mal Meinungsverschiedenheiten, wie man den Winnetou zu spielen hat?

Das kommt eigentlich nicht vor… Jochen Bludau hat mich ja damals gesehen, in Rathen, und er hat sich dafür entschieden, dass ich diese Rolle auch in Elspe spielen kann. Er wusste ja, was er bekommt. Ich biete grundsätzlich immer meine Sichtweise der Figur an.  Jochen und Benny sind gute Beobachter, sie schauen zu und ordnen alles ein, denn natürlich braucht man einen Regisseur, der Dinge sieht, die einem manchmal selbst nicht klar sind. Aber grundsätzlich sind wir eigentlich immer einer Meinung.

Wie geht´s denn nun in den nächsten Wochen weiter für dich?

Nächste Woche habe ich den ersten Drehtag für „Tschernobyl“, ein Spielfilm über den Störfall von 1986. Dann muss ich rechtzeitig zu den letzten Vorstellungen zurück nach Elspe. Im September werde ich dann den Film zu Ende drehen. Vorher habe ich aber noch einen Auftritt beim Jazz-Festival in Viersen mit der Bigband der Deutschen Oper Berlin, -   „Ritter Rost und der Schrottkönig“, weil ich seit 2017 die Stimme von „Ritter Rost“ bin.
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Die Kinderbücher rund um den „Ritter Rost“ gibt es schon seit über zwanzig Jahren. Und sie sind wegen der tollen Geschichten von Jörg Hilbert und der grandiosen Kompositionen von Felix Janosa bei Kindern und Erwachsenen so beliebt. Ja, und wenn ich dann von den Dreharbeiten wieder nach Deutschland komme, geht im November meine Winnetou-Lesetour los. Auf jeden Fall bin ich wieder viel unterwegs!

Abschließend zur wichtigsten aller Fragen: Kommst du zurück ins Sauerland?

Selbstverständlich! Winnetou muss doch sterben in „Winnetou III“… Aber keine Sorge, wahre Helden sterben in Elspe nie!
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