Konstruierte und gelernte Unterschiede

Prof. Dr. Karim Fereidooni referiert über Alltags- und Kulturrassismus


  • Lennestadt, 08.07.2016
  • Von Desirée Focke
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Rund 50 Zuhörer lauschten Prof. Dr. Karim Fereidoonis Vortrag zum Thema Alltagsrassismus. von Desirée Focke
Rund 50 Zuhörer lauschten Prof. Dr. Karim Fereidoonis Vortrag zum Thema Alltagsrassismus. © Desirée Focke

Vorurteile und Klischees sind Bestandteile des gesellschaftlichen Miteinanders und werden – sowohl bewusst als auch unbewusst – erhalten und weitergegeben. Auch der Schulunterricht und die Berichterstattung der Medien haben wesentlich Anteil daran, dass Stereotype verbreitet werden. So entsteht und bleibt „Alltagsrassismus“ erhalten und beeinflusst dabei das Denken und Handeln. Zu diesem Schluss kommt Prof. Dr. Karim Fereidooni von der Ruhr-Universität Bochum, der am Donnerstagabend, 7. Juli, im Lennestädter Rathaus über „Alltagsrassismus in Schule und Gesellschaft“ referierte.


Für den 32-Jährigen war es eine Premiere, erstmals hielt er einen Vortrag auf Einladung einer Kommune. Sonst hält der Juniorprofessor für Didaktik der Sozialwissenschaftlichen Bildung Vorlesungen an Universitäten oder im Rahmen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Auf Einladung des städtischen Arbeitskreises Integration war Fereidooni nach Lennestadt gekommen und sprach vor rund 50 Zuhörern. Jeder Mensch verfüge über ein „rassistisches Wissen“, das das alltägliche Umfeld schon von Kindheit an vermittle. Rassismus äußere sich grundsätzlich in der Einteilung von Menschen nach unterschiedlichen Hautfarben, wobei „weiß“ an erster Stelle stehe und „schwarz“ an der letzten – ein geschichtlich betrachtet weit zurückliegendes Phänomen, das vor allem auf die Zeit des Kolonialismus zurückgeht. Beispiel Schulunterricht: Hier lernten Mädchen und Jungen, dass es unterschiedliche Grade an Zivilisation gebe – aus einem „weißen“, westlichen Blickwinkel betrachtet. Zwischen Nationen, Kulturen und Religionen würden Unterschiede aufgebaut, betont und beständig wiederholt und „gelernt“, was Fereidooni als „Kulturrassismus“ bezeichnet, der längst salonfähig sei.
Herkunft wird schon in der Schule konstruiert
Im Rahmen seiner Forschung, wie Rassismus von Lehrkräften mit Migrationshintergrund wahrgenommen wird, führte Fereidooni einige Interviews in Großbritannien. Ergebnis: Herkunft wird im Raum Schule bereits konstruiert. Man nehme Sprache und Körper immer gemeinsam wahr, was dazu führte, dass Lehrkräften beispielsweise ein Akzent zugesprochen worden sei, wo offensichtlich keiner war. Akzente würden demnach oftmals anders Aussehenden zugesprochen, ihre Sprache werde bewertet. Nicht nur der faktische, sondern vor allem der zugeschriebene Migrationshintergrund spiele eine zentrale Rolle beim Thema „Alltagsrassismus“. Es ist laut Fereidooni unwesentlich, in der wievielten Generation jemand bereits in Deutschland lebt; Menschen ließen sich vielmehr von äußeren Merkmalen und Vorurteilen beeinflussen, wie sie es in ihrer Sozialisierung gelernt haben und weiter lernen – bewusst und unbewusst. Der konstruierte Migrationshintergrund ziehe weite Kreise und wirke sich innerhalb der Gesellschaft auf den Arbeits-, Wohnungs- und Bildungsmarkt aus – und zwar zum Nachteil von Menschen mit einem anderen Aussehen und einem fremden Dialekt. Von persönlichen Eindrücken berichtete Fereidooni ebenfalls. Etwa von unerwarteten Passkontrollen am Kölner Hauptbahnhof oder von problematischen Disco-Besuchen, bei denen man in der Gruppe im Optimalfall ein oder zwei blonde Personen dabeihaben sollte, um nicht bereits an der Tür abgewiesen zu werden.
Unterschiede zwischen Sprachen
Ein weiteres Ergebnis der Studie: Das Beherrschen der englischen oder spanischen Sprache genieße in der westeuropäischen Gesellschaft einen gewissen Bildungswert, auch weil man diesen Sprachen täglich häufig begegne. Die türkische oder russische Sprache dagegen werde eher negativ wahrgenommen. Eine Hierarchisierung der Sprache – und damit auch der Kulturen – habe als bereits in den Köpfen der Menschen stattgefunden. Woran auch die Medien eine gewisse Mitschuld trügen – durch eine teils wenig durchdachte, mit Klischees versehenen Berichterstattung. Bei Terroranschlägen etwa werde eine Glaubensgemeinschaft wie der Islam schnell zu einer Bedrohung der „westlichen zivilisierten“ Welt und Werteordnung aufgebaut. Dadurch werde der Alltags- und Kulturrassismus wiederholt und verfestigt.
In der anschließenden Diskussionsrunde beantwortete Prof. Dr. Fereidooni die Fragen seiner Zuhörer. So sieht er beispielsweise die Eltern in der Verantwortung, ihre Kinder aufzuklären und ihnen beizubringen, sein Gegenüber als Individuum wahrzunehmen – und eben nicht als einen Gruppenzugehörigen, der in eine Kategorie gehört. Wichtig sei es außerdem, sich selbst in der alltäglichen Wahrnehmung zu sensibilisieren – und immer wieder den Kontakt zu (vermeintlich) „fremden“ Menschen zu suchen, denn: Je mehr Kontakt, desto mehr Verständnis füreinander. Abschließende Worte fand Bürgermeister Stefan Hundt, der an Toleranz und einen möglichst vorurteilsfreien Umgang miteinander appellierte. Nur durch Gespräche und den Umgang miteinander – beruflich und privat - könne man Einfluss nehmen auf seine persönliche Einstellung und dadurch auf die Entwicklung der Gesellschaft zu einer „konstruktiven und produktiven Gemeinschaft“.
Der Arbeitskreis für Integration der Stadt Lennestadt plant weitere Vorträge zu diesem Thema – Interessenten sind herzlich eingeladen. Seit 2012 organisiert der AK Vorträge mit dem Ziel, Vorurteile gegenüber anderen Nationalitäten, Kulturen und Religionen abzubauen, aufzuklären und im Alltag sensibler zu werden. „Gerade durch die Herausforderungen der letzten Monate, geflüchteten Menschen in Lennestadt ein neues Zuhause zu geben, sind das Wissen voneinander und das gegenseitige Kennenlernen von besonderer Bedeutung“ schrieb der Arbeitskreis in der Einladung zum Vortrag von Prof. Dr. Karim Fereidooni.
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