Kampfjet-Absturz in Altenhundem: „Mir stockte der Atem und ich rief nur noch: Alles auf den Boden!“

Augenzeuge erinnert sich an Unglück vor 55 Jahren


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Die Absturzstelle am Biertappen. von © Stadtarchiv Lennestadt
Die Absturzstelle am Biertappen. © © Stadtarchiv Lennestadt

Altenhundem. „Einer großen Katastrophe entging Altenhundem am 12. Juni 1964. Gegen 10 Uhr stürzte ein holländischer Düsenjäger in der Nähe des Gymnasiums ab. Kurz vor dem Absturz bemerkte der Pilot noch das nahe gelegene Gymnasium und korrigierte die Flugrichtung. Kurz nach dem Absturz wurde Großalarm für die Wehren des Kreises ausgelöst.“ So wird der Kampfjet-Absturz, der heute vor 55 Jahren geschah, auf der Internetseite der Feuerwehr Altenhundem beschrieben.


Der Ort und vor allem das Städtische Gymnasium entgingen damals nur ganz knapp einer Katastrophe. Denn hätte der 21-jährige Pilot, der mit seiner Maschine viel zu tief unterwegs war, nicht in letzter Sekunde den Starfighter nach oben gezogen, hätten Hunderte von Schülern getötet oder verletzt werden können.

Wolfgang Klein aus Elspe war damals Schüler am Städtischen Gymnasium. Seine Erinnerungen an den Unglückstag hat er vor kurzem niedergeschrieben und LokalPlus zur Verfügung gestellt. Hier sein Augenzeugenbericht:
 von © Stadtarchiv Lennestadt
© © Stadtarchiv Lennestadt
„Es war ein herrlicher, sonniger Freitagvormittag im verträumten Südsauerland. Als Pennäler des damaligen Gymnasiums in Altenhundem drückten rund 400 von uns die Schulbänke oben am Biertappen. Unsere Klasse war im obersten Stockwerk des ersten Traktes ganz links. Von dort hatten wir einen herrlichen Blick auf Altenhundem. Oft standen wir in der großen Pause an der breiten Fensterfront und schauten hinaus. Oft nutzten wir die große Pause zwischen 10 und 10.30 Uhr auch dazu, auf den letzten Drücker Hausaufgaben zu machen.

So auch an diesem verhängnisvollen Freitagmorgen, dem 12. Juni 1964, der uns im Klassenraum im obersten Stockwerk des Außengebäudes verbleiben ließ. Die Uhr an der Wand zeigte 10 Uhr und noch was. Wir saßen zu viert auf unseren Plätzen (Eddi, Günter, Rudi und ich) und jeder war mit seinem Fach beschäftigt, um sich für die nächsten drei Stunden wenigstens noch ein bisschen fit zu machen.
Ich konnte den Piloten erkennen
Ich wollte gerade die großen Vorhänge zur Seite ziehen, da zuckte ich zusammen wegen des lauten Geräusches, das mit einer Wahnsinns-Geschwindigkeit auf uns zuraste. Es war ein Kampfjet, der, aus dem Lennetal kommend, genau auf unsere Penne zuflog. Mir stockte der Atem und ich rief nur noch: „Alles auf den Boden!“.

Dann sah ich die Maschine nur noch wie im Zeitraffer. Sie war jetzt in Höhe der Kirche zwischen Uhr und Turm. Ich konnte den Piloten mit seinem Helm erkennen. Im selben Moment zog er die Maschine hoch, um sie in einer Linkskurve an unserem Schulgebäude vorbei und über den Berg zu bekommen. Er muss gesehen und erkannt haben, dass vor ihm eine Menge Menschen auf dem Schulhof waren.

Dann war er auch schon in Augenhöhe an uns vorbei und ich konnte nur noch denken, wenn man das Denken nennen kann, dass er „über'n Berg ist“. Doch augenblicklich erschütterte eine Riesendetonation uns, das Schulgebäude und den Biertappen. Viele Fensterscheiben im Umkreis des Unglücksortes zersplitterten. Auch in der Hundemstraße, unten im Ort am Bahnkörper,  gab es viele Schaufensterscheiben, die durch die Detonation und die Druckwelle zerborsten waren.
 von © Stadtarchiv Lennestadt
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Nach ein paar Minuten oder Sekunden (diese Zeiterinnerung fehlt mir bis heute völlig) erhoben wir vier uns und gingen hinunter auf den Schulhof. Da standen die Schüler und Lehrer dicht gedrängt zusammen und hielten sich an den Händen und in den Armen. Das Szenario sah aus wie eine wortlose Schock- und Schicksalsgemeinschaft. An eine Weiterführung des Unterrichts war nicht mehr zu denken.

Wir bekamen die Order, auf dem schnellsten Wege nach Hause zu fahren bzw. die Eltern zu informieren, dass uns nichts passiert ist. Meine Mutter erzählte mir später, dass sie mindestens 30 Bekannte angerufen habe, um zu erfahren, was geschehen war. Die Detonation muss wohl über fünf Kilometer weit gehört und gespürt worden sein.
Eine riesige Rauchwolke
Wenn man am Bahnhof vorbei zum Hang hochschaute, konnten wir die Absturzstelle deutlich sehen. Sie war eingehüllt und umgeben von einer riesigen Rauchwolke. Im Umkreis von hundert Metern und mehr gab es kleinere Feuer und Rauchwolken. Die Maschine war offensichtlich nach dem Aufprall in „tausende“ Einzelteile explodiert. Und der Pilot? Ein junger holländischer Berufssoldat, der diesen Einsatz mit dem Leben bezahlen musste. Seinen Schleudersitzmechanismus hat er in diesen Millisekunden nicht mehr auslösen können.

Per Zufall oder auch nicht entdeckte ich am Bahnhof meinen Vater, der in Altenhundem zu tun hatte. Er drückte mich und sagte nur: „Steig ein, Mutti erwartet uns!“ Auf der Fahrt nach Elspe haben wir schweigend nebeneinander gesessen. Das waren 20 stumme Minuten, die ich lange nicht vergessen habe. Ich konnte ihm nichts erzählen. Kopflos, schockiert, traumatisiert oder einfach wort- und gedankenlos, ich weiß es nicht mehr.
Welche Gedanken hatte der Pilot?
Zuhause habe ich mir Gedanken gemacht, was der Pilot sich wohl für Gedanken gemacht hat, als er an der Kirchturmuhr in Altenhundem vorbeigeflogen ist. Aber Gedanken in Zeiträumen von Millisekunden gibt es für uns Menschen gar nicht, oder? Diese Ereignisse sind jetzt 55 Jahre her. Und sie werden mich und alle „Betroffenen“ von damals auch noch in den nächsten Zeiten begleiten!“
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