Am Ende werden ihm zwei Schuljahre fehlen: Die 3. Klasse, die er übersprungen hat, und ein Jahr am Gymnasium. Lucas Schwarz macht am Städtischen Gymnasium das so genannte G8- oder „Turbo-Abitur". Der 15-Jährige bezeichnet sich selbst als Film-Junkie, spielt Gitarre - und liebt das Schreiben. Diverse Kurzgeschichten, sogar zwei Romane hat er bislang verfasst, peilt die Teilnahme an Poetry Slams an. Bei LokalPlus erscheint ab sofort immer samstags die Kolumne des jungen, unbekannten Schriftstellers aus Lennestadt.
Ich sitze hier und schreibe diese Kolumne. Doch sie ist nicht – nach der alten Schule – für eine Zeitschrift bestimmt, sondern für ein Online-Portal. Online, also: im Internet.
In den späten 60ern dachten die klugen Köpfe und Entwickler beim ARPA-Programm (Abkürzung für Advanced Research Project Agency) des amerikanischen Verteidigungsministeriums bestimmt nicht an diesen kleinen Text hier, geschweige denn auch nur an die weltweite Publizierung und sofortige Abrufmöglichkeit auch nur irgendeines Textes. Erstmal ging es um die Vernetzung von Forschungseinrichtungen und Unis – und wir wissen alle, wo die hier anfangende Geschichte des Internets hinführt.
In der Vernetzung von über 3 Milliarden Menschen rund um den Globus. Fast die halbe Erdbevölkerung hat heute also einen Internetzugang und somit die Möglichkeit, diesen Text zu lesen – oder jeden beliebigen anderen Beitrag, der sich irgendwo finden lässt in den Untiefen des Netzes.
Und da gibt es viel, wenn man sich nur mal eine Infografik des Content-Marketing-Magazins stories4brands anschaut, so stößt man auf schier absurde Zahlen. In der Grafik wird veranschaulicht, was in 60 Sekunden nach dem 30. Juli 2013 so alles neues im Internet entsteht und veröffentlicht wird. 347 neue Blog Posts werden alleine auf dem Portal Wordpress hochgeladen, 72 Stunden YouTube-Videos. Für 83.000 US-Dollar wird auf amazon.com eingekauft, und es gibt 216.000 neue Fotos auf Instagram zu bestaunen. Wohlgemerkt sind Artikel und Grafik, somit auch die Informationen, bereits über zwei Jahre alt – die Zahlen können nur in noch höhere Bereiche gestiegen sein.
Wenn man sich diese astronomischen Zahlen (und davon gibt es in anderen Artikeln ums gleiche Thema noch viel mehr, schauen Sie ruhig mal rein und lassen Sie sich schocken!) nun so betrachtet, macht zumindest mir das ein wenig Angst. Es ist die Angst, in einem Zeitalter zu leben, in dem es etwas gibt, was komplett unkontrollierbar ist. Für mich ist das Internet eine wichtige Informationsquelle, ein Füllhorn für Medienkonsum und Unterhaltung... aber auch etwas Erschreckendes.
Wissen Sie, was in 347 Blog Posts steht, die jede Minute ins Netz gehen? Ist Ihnen der Inhalt der tausende Stunden Videomaterial bekannt, der sich am Tag auf YouTube neu ansammelt? Sie können jetzt natürlich sagen, dass Ihnen dieser Content doch vollkommen egal ist und Sie ja gar nichts angeht – finde ich aber nicht.
Diese mehr als stattlichen Zahlen wecken in einem eine seltsame, unfassbare Gier. Die Gier danach, das alles zu erfassen, zu wissen und zu sehen und zu lesen und zu schauen, einfach alles in sich aufzunehmen und irgendwann zu sagen: „So, Leute, ich hab das Internet durch.“
Das ist natürlich ein dummer Gedanke, aber ich glaube, ich bin nicht der Einzige, der ihn mit sich herumträgt. Am Ende ist es doch so, dass alles, was im Internet steht, zum Konsum durch andere Nutzer bestimmt ist. Und man selbst ist halt eben immer dieser „andere Nutzer“, und man will das alles konsumieren. Dafür ist es doch da, jeder Beitrag auf jeder Website der Welt kommt einem so vor, als ob er irgendwie für einen persönlich da wäre.
Und wenn man sich auf Dinge aus einem einzigen Interessengebieten beschränkt, dann hat man immer noch ein ziemlich großes Problem. Man kann nicht jeden Artikel zu den Themen Film, Musik und Literatur gelesen, nicht jedes Video über Gitarrenspiel gesehen und nicht jede auf Tumblr und Co. existierende schöne Landschaftsaufnahme erblickt haben. Das alles ist unmöglich, und es kränkt den User zutiefst.
Und auch, wenn man sich wirklich auf eine einzige, spezifische Sache festlegt, wenn man bei Google nach Themen wie „Asiatische Horrorliteratur“ oder „Period Drama im 20. Jahrhundert“ sucht, so kommt man immer noch auf 10.300 oder gar 101.000 Ergebnisse. Bitte bedenken Sie hierzu noch, dass ich deutsche Suchanfragen gewählt habe; man geht davon aus, dass 3,6 Prozent alle Web-Nutzer und somit auch eine ähnliche Zahl bei den Inhalten deutschsprachig sind, das meiste ist englisch oder – über den Tellerrand unseres mehrheitlichen sprachlichen Verständnisses hinaus geschaut – chinesisch.
Man versucht, sich durch das Internet so viel Wissen anzueignen, wie nur möglich. Man versucht generell das Meiste mit dem Internet. Jetzt nicht Kaffee kochen, aber schon so einige Sachen des täglichen Lebens. Informationsbeschaffung, sozialer Austausch, der ach so verteufelte exzessiv gepflegte Medienkonsum – und auch arbeiten, wie Sie, werter Leser, hier gerade sehen können.
Man hat also so seine Probleme damit, diesen riesigen Berg aus Content irgendwie zu begreifen oder zu erfassen. Die Unfähigkeit, dies zu schaffen, macht den Nutzer oft genug wütend. Doch auch wird er von der medialen Flut oft genug beglückt.
Auch ich will einen klitzekleinen Bruchteil von alledem mitnehmen, was ich für nötig für mich halte, und ich glaube, das immerhin gelingt mir ganz gut, glaube ich.
Es ist nett zu wissen, dass auch Sie sich zwischen Milliarden von Websites und Millionen von Artikeln dieser Art genau hier eingefunden haben.
Ich versuche jetzt etwas Neues, eine neue Herangehensweise, und Sie machen mit! Vergessen Sie alle Zahlen, von denen ich Ihnen erzählt habe, und lassen Sie sich einfach mal treiben... Surfen eben.