Tradierte Geschlechterrollen drängen Frauen in die Altersarmut

Podiumsdiskussion bei Netzwerkmesse in Olpe


  • Kreis Olpe, 21.11.2018
  • Von Sven Prillwitz
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    Redaktion

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Die Teilnehmerinnen der Podiumsdiskussion: (von links) Josefine Paul, Dr. Uta Stiersdorfer, Zana Ramadani und Schwester Mediatrix Nies. Die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth hatte ihre Teilnahme wegen eines wichtigem Termins absagen müssen. von Sven Prillwitz
Die Teilnehmerinnen der Podiumsdiskussion: (von links) Josefine Paul, Dr. Uta Stiersdorfer, Zana Ramadani und Schwester Mediatrix Nies. Die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth hatte ihre Teilnahme wegen eines wichtigem Termins absagen müssen. © Sven Prillwitz

Olpe. Bei der Netzwerkmesse „Frauen in Südwestfalen“ ging es am Mittwoch in der Stadthalle auch um das Thema Altersarmut. Warum vor allem Frauen davon betroffen sind? Weil nach wie vor tradierte Geschlechterrollen an der Tagesordnung seien, erklärten die vier Teilnehmerinnen der Podiumsdiskussion.


Die sogenannte „Care-Arbeit“ bezeichnet das Sich-Kümmern um Menschen. Das Pflegen alter und hilfsbedürftiger Personen und die Erziehung und Betreuung von Kindern. „Care-Arbeit“ wird sowohl privat als auch beruflich geleistet – und gilt nach wie vor in erster Linie als „Frauenaufgabe“. Oder als „Frauenproblem“, sagte Josefine Paul.
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Die frauenpolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion NRW benutzte den Begriff „Retraditionalisierung des Frauenbilds“. Weil es noch immer in erster Linie Frauen seien, die sich in der Familie um Kinder und um alte Menschen kümmern und zu Hause bleiben. Und damit weniger Karriere-Chancen haben und eine niedrigere Rente beziehen. Die „Vollzeiterwerbs-Biografie“ sehe noch immer den Mann in der Rolle des Geldverdieners. Ein Klischee, das es auch übrigens auch Männern erschwere, ihre Arbeitszeit zu reduzieren und mehr Care-Aufgaben zu übernehmen, so Paul.
Frauen arbeiten häufig in schlecht bezahlten sozialen Berufen
Ein anderes Problem, diesmal bezogen auf berufliche „Care-Tätigkeiten“, zeigte Zana Ramadani auf, ehemalige Femen-Aktivistin und Autorin. In erster Linie arbeiten Frauen als Erzieherin oder Pflegerin. Bei den sogenannten sozialen Berufen handle es sich häufig um Jobs mit Niedriglohn-Bezahlung. Die Folge: Trotz einer Vollzeitstelle drohe Frauen in diesen Berufen von Anfang an Altersarmut.

Noch aussichtsloser ist die Perspektive Ramadani zufolge für alleinerziehende Frauen: Die stünden vor dem Problem, überhaupt erst einmal einen Kita-Platz für den Nachwuchs finden zu müssen, um überhaupt für einen Niedriglohn arbeiten gehen zu können. Das Erziehungsgeld als staatliche Unterstützung sei „lächerlich“.
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Aus diesem Grund sprach sich Ramadani auch gegen eine für Politik und Wirtschaft geforderte Frauenquote aus. „Damit reden wir nur über die Frauen, die Karriere machen wollen, aber eben nicht über diejenigen, die ein ganz normales Leben führen wollen.“
„Warum wird Pflegezeit zu Hause nicht auf die Rente angerechnet?“
Die Bezahlung in sogenannten „Care-Berufen“ stufte Schwester Mediatrix Nies (Gesellschaft der Franziskanerinnen zu Olpe) für die Betroffenen noch als zweitranging ein. Wichtiger sei der Blick auf die Arbeitszeiten. Personal werde in Pflegeberufen nämlich rund um die Uhr benötigt. Es fehle jedoch an Pflegern. Auch für private Care-Tätigkeiten forderte Schwester Mediatrix ein Umdenken: „Warum wird Pflegezeit zu Hause nicht auf die Rente angerechnet?“

Pflegegeld als Lohnersatz-Leistung sei eine wichtige Möglichkeit, dass Menschen Verantwortung für Familie und Pflege übernehmen können, hatte zuvor auch Josefine Paul angeregt. Die Grünen-Politikerin kritisierte, dass die „Wertigkeit von Arbeit“ immer noch so unterschiedlich eingestuft werde. Es sei unverständlich, dass der Beruf des Kfz-Mechanikers etwa deutlich besser bezahlt werde der des Pflegers oder Erziehers.
Altersarmut als „Generationenproblem“
Für die Anschaffung des Ehegatten-Splittings sprach sich Dr. Uta Stiersdorfer aus. Zustimmung erhielt die HNO-Fachärztin und Autorin von den übrigen Diskussionsteilnehmern und Großteilen des Publikums. Stiersdorfer sieht die Altersarmut vor allem als „Generationenproblem“. Frauen, die jetzt in Rente sind, hätten noch genug Geld zur Verfügung.
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Für jede Generation danach werde es wegen der sinkenden Rentenbezüge und der Alterung der Gesellschaft zunehmend schwieriger. Vor allem für Frauen, denn: „Eine junge Frau mit Kind oder Kindern kann die von der Bundesregierung vorgesehene Erwerbsbiografie gar nicht mehr erfüllen“, so Stiersdorfer.
Josefine Paul: Es braucht mehr Frauen in der Politik
Josefine Pauls Vorschlag, eine solidarische Rentenkasse einzuführen, in die alle Erwerbstätigen einzahlen, sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein, erklärte Stiersdorfer. Tosenden Applaus erhielt dagegen eine Frau aus dem Publikum. Sie forderte neben der Vermögenssteuer auch eine konsequente Besteuerung von Unternehmensgewinnen – und zwar „da, wo der Umsatz gemacht wird“.

Entscheidend für den Kampf um Frauenrechte und Gleichberechtigung ist für Josefine Paul auch die Anzahl weiblicher Abgeordneter. „Wenn weniger Frauen im Parlament sind, werden frauenrelevante Themen aus weniger diskutiert“, sagte die Grünen-Politikerin. Im Bundestag gibt es derzeit nur 30,9 Prozent Frauen, im NRW-Landtag nur 27,1 Prozent. Daher könne eine Quote eben doch wichtig sein.
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Abschließend fragte Moderation Anne Willmes (WDR) die vier Teilnehmerinnen der Diskussionsrunde nach ihren Wünschen für die Zukunft. Die Antworten: mehr Mut und politisches Engagement von Frauen (Paul und Stiersdorfer), eine „Beurteilung ausschließlich nach Fähigkeiten stat nach Geschlecht“ (Ramadani) und „mehr gegenseitige Wertschätzung“ (Schwester Mediatrix). Und unterm Strich: echte Gleichberechtigung.
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