Tag der seltenen Erkrankungen: „Manche wollen oder können damit nicht umgehen“

Kinder- und Jugendhospiz Balthasar betreut betroffene Familien


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Leben mit einer seltenen Erkrankung: Viele Familien im Kinder- und Jugendhospiz Balthasar sind davon betroffen. von Kathrin Menke
Leben mit einer seltenen Erkrankung: Viele Familien im Kinder- und Jugendhospiz Balthasar sind davon betroffen. © Kathrin Menke

Olpe/Kreis Olpe. „Selten sind viele“ lautet das Motto des Tags der seltenen Erkrankungen am Samstag, 29. Februar. Am „Rare Disease Day“, der immer auf den letzten Tag im Februar fällt, machen Menschen weltweit auf die Situation und Anliegen von Betroffenen und ihren Angehörigen aufmerksam.


Allein in Deutschland leiden rund vier Millionen Menschen an einer seltenen Erkrankung. Obwohl die Krankheitsbilder sehr unterschiedlich sind, verlaufen sie fast alle fortschreitend und chronisch, gehen mit Invalidität und eingeschränkter Lebenserwartung einher und führen oft bereits im Kindesalter zu Symptomen.  

Im Kinder- und Jugendhospiz Balthasar in Olpe haben viele der jungen Gäste eine seltene Erkrankung. So auch der 13-jährige Sven (alle Namen geändert), der seit seiner Geburt an einem Adenylosuccinat-Lyase-Mangel leidet, einer Krankheit, von der weltweit weniger als 100 Menschen betroffen sind.
 von Catriona Rath
© Catriona Rath
„Man schätzt aber, dass es eine höhere Dunkelziffer gibt, da die Symptome sehr unspezifisch sind. Auch wir haben die Diagnose erst nach vier Jahren erhalten, da niemand diese Krankheit kannte“, erklärt Svens Mutter Sabine Herscheid.

Da sie sich von Anfang an vieles selbst erarbeiten und erkämpfen musste, ist sie inzwischen zu einer echten Expertin geworden. Durch die Krankheit war der vorgeburtliche Aufbau der DNA gestört, was jedoch während der Schwangerschaft und nach der Geburt überhaupt nicht ersichtlich war.
Krankengymnastik brachte keine Verbesserung
„Rückblickend kann man schon sagen, dass es Auffälligkeiten gab, aber damals haben wir und auch die Ärzte das nicht erkannt“, erinnert sich Sabine Herscheid. „Wir haben geglaubt, Sven sei nur etwas verzögert und bräuchte vielleicht nur einen Schubs.“ Trotz des Gefühls, dass etwas nicht stimmt, stand nie außer Frage, dass sich Sven mit der entsprechenden Förderung sicher noch gut entwickeln würde.

Aber auch die Krankengymnastik brachte keine Verbesserungen. Mit 13 Monaten konnte er immer noch nicht den Kopf heben. Erst als er vier Jahre alt war, lernte die Familie Fachärzte kennen, die die Diagnose der seltenen Stoffwechselkrankheit stellen konnten.
Boden unter den Füßen weggezogen
Den Eltern fiel es schon schwer genug, auszusprechen, dass ihr Sohn behindert ist. Als klar wurde, dass er sogar lebensverkürzt erkrankt war, war das ein riesiger Schock, der ihnen den Boden unter den Füßen wegzog. Ihren Mann und sie habe die Diagnose zusammengeschweißt, aber den Freundeskreis habe die Tatsache, dass Sven so schwer krank war, zweigeteilt.

„Manche wollen oder können damit einfach nicht umgehen“, erzählt Thomas Herscheid, Svens Vater. „Sogar unter Eltern, die selbst schwerstbehinderte Kinder haben, hat man mit der Diagnose ‚lebensverkürzt erkrankt‘ eine Sonderstellung. Alle klammern sich eben ans Leben.“
Tochter Carla ist gesund
Als Familie Herscheid endlich eine Diagnose hatte, änderten sich auch die Überlegungen zur Familienplanung. Nun war klar, dass Svens Krankheit genetisch bedingt ist. Gerne wollten die Eltern ein zweites Kind. Schnell war aber klar, dass weder Abtreibungen noch vorgeburtliche Diagnostik in Frage kommen. „Wir haben uns für ein Kind entschieden und nicht für medizinische Experimente“, erklärt Sabine Herscheid. Ihre Tochter Carla ist gesund.
 von Catriona Rath
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Die vierköpfige Familie meistert ihr Leben inzwischen gut. Bis zu vier Wochen im Jahr fahren sie ins Kinder- und Jugendhospiz Balthasar, um zur Ruhe zu kommen und die Batterien wieder aufzuladen. Der Austausch mit den anderen Familien und den Mitarbeitern gibt ihnen neue Kraft und Rückhalt für den Alltag. Zu Hause wird die Mutter mehrmals in der Woche von einem Pflegedienst entlastet.

Wenn Sabine Herscheid über ihr Leben spricht, lacht sie viel. Die zweifache Mutter hat eine unglaublich positive und herzliche Ausstrahlung. Woher nimmt sie die Kraft, ein Leben mit so vielen Ängsten und auch Einschränkungen anzunehmen? Ihr Glaube gebe ihr Kraft, das Grundvertrauen in den Sinn des Ganzen, sagt sie.
Andere Familien profitieren
Außerdem profitieren mittlerweile auch andere Familien von den Erfahrungen, die sie und ihr Mann sich angeeignet haben. Sie beraten andere Eltern mit schwerkranken Kindern und haben über das Internet sogar Familien kennen gelernt, deren Kinder dieselbe seltene Stoffwechselkrankheit haben.

Für die Zukunft wünscht sich die Familie, dass seltene Erkrankungen viel mehr ins öffentliche Bewusstsein gerückt werden. So unbeschwert, wie Svens gesunde Schwester mit ihrem Bruder umgehe, so müsste es die ganze Gesellschaft tun, finden die Herscheids. Außerdem brauche es dringend mehr Gelder, damit seltene Erkrankungen und mögliche Therapien besser erforscht werden können.
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