Stephanie Krömer: „Auch Talente auf den 2. Blick werden berücksichtigt“
Neue Arbeitsagentur-Chefin im großen LP-Interview
- Kreis Olpe, 28.08.2023
- Wirtschaft , Verschiedenes
- Von Kerstin Sauer
Kreis Olpe / Siegen. Stephanie Krömer hat zum 1. Februar die Leitung der Agentur für Arbeit Siegen – zuständig auch für den Kreis Olpe – übernommen. Bei einem Besuch in der LokalPlus-Redaktion stellt sich die 41-Jährige, die in Begleitung von Pressereferentin Nadine El Moussaoui kommt, den Fragen – und zeigt schnell: Sie ist mit Begeisterung, Motivation und vielen Plänen an den Start gegangen.
Grundsätzlich verzeichnen wir einen positiven Trend mit leichten Unsicherheiten. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist nach Corona wieder gestiegen. Wir haben viele familiengeführte Unternehmen in der Region, die sich sehr stark machen für ihren Betrieb. Die Rekrutierungsherausforderungen werden für unsere Unternehmen deutlich größer: Wie verändern sich die Märkte? Worauf fokussieren wir uns mit unseren Produkten?
Die Zukunftsausrichtung beschäftigt unsere Firmen, ebenso die Haupttrends Automatisierung und Digitalisierung. Das möchte ich aber nicht negativ bewerten: Wir bemerken eine vorsichtige Zurückhaltung, auch in den neuen Stellenmeldungen. Das ist aber in einer neuen realistischen Sicht der Dinge begründet.
Vor allem im Arbeits- und Fachkräftebedarf, den wir jetzt schon haben, der sich aber in Zukunft noch viel drastischer darstellt. Das hat zum einen mit der demografischen Entwicklung zu tun, aber auch mit der Altersstruktur in den Betrieben: Viele sehr kompetente Mitarbeiter scheiden altersbedingt aus – jetzt gilt es, das Knowhow in den Firmen zu halten und den Wissenstransfer sicherzustellen. Herausfordernd ist diese Situation besonders, weil die Anzahl derjenigen, die suchen, kleiner geworden ist.
60 Prozent unserer ausgeschriebenen Stellen erfordern eine Fachkräfteausbildung, Tendenz steigend. Etwa 20 Prozent sind auf Helfer-Niveau. Diejenigen, die Anlern- und Helfertätigkeiten ausführen, können wir aber gut für die Zukunft ausbilden und rüsten. Die Anforderungen an einen Beruf haben sich generell geändert: Während es früher reichte, eine Ausbildung absolviert zu haben, werden heute selbst bei guter Ausbildung oder Studium immer wieder Anpassungs-Qualifizierungen gebraucht, um am Puls der Zeit zu bleiben.
Vor Corona haben wir geprüft: Wohin passt der Bewerber? Aber dieses Matching von der Stange klappt gar nicht mehr. Heute arbeiten wir vermehrt auch mit den Unternehmen zusammen: Nicht nur die Suchenden werden beraten, sondern es ist jetzt eine Arbeitsmarktberatung auch für die Betriebe. Wir gucken uns die Altersstruktur an, die Arbeitszeit- und Beschäftigungsmodelle, und überlegen gemeinsam: Wie kann die individuelle Unternehmensstrategie aussehen? Oberstes Ziel von allen ist, die Kräfte in der Region zu halten. Damit steht und fällt die Unternehmenskraft der einzelnen Betriebe.
Das ist branchenübergreifend. Besonders groß ist der Bedarf in der IT- und Kommunikationsbranche, weil das viele Unternehmen betrifft, vor allem auch durch das Thema Digitalisierung. Aber auch im Gastgewerbe, im Baugewerbe, in der Pflege und im Gesundheitswesen, in der Erziehung und im Unterricht werden Fachkräfte gesucht. Überall ist die Bedarfslage so groß, weil ausscheidende Mitarbeiter kompensiert werden müssen
Schon ab der siebten Klasse arbeiten unsere Berufsberater eng mit den jungen Leuten zusammen. Weil der Arbeitsmarkt zu einem Bewerbermarkt geworden ist, raten wir, nach Interesse und Neigung zu gucken. Das bringt viel Motivation mit und sorgt für einen guten Einstieg in den Beruf. Wir raten dazu, die Entscheidung bewusst mit Hilfe von Eltern, Berufsberatern und Freunden zu treffen.
Einige Jahre lang hatte die Studienneigung stark zugenommen – seit dem letzten Jahr bemerken wir aber eine kleine Trendwende. Meiner Meinung nach tun Eltern ihren Kindern aber keinen Gefallen, sie in Richtung Gymnasium zu lenken, ihnen einen hohen Einstieg zu empfehlen und nur den guten Verdienst im Blick zu haben. Eltern kennen ihre Kinder am besten – sie sollten gemeinsam gucken, wo die Stärken und die Schwächen des Kindes liegen und danach zu entscheiden. Wir versuchen, realistisch bei den Chancen zu einer dualen Ausbildung zu unterstützen, daran können sich ganz facettenreiche Wege anschließen. Und auch im Handwerk gibt es tolle Berufe, die sehr anspruchsvoll sind und wo man sehr gut verdienen kann.
Sicherlich haben junge Talente auch mit weniger guten Zeugnissen Chancen, die sie früher nicht gehabt hätten. Wer seinen Bereich und seine Nische gefunden hat, der kann sich entfalten. Viele Arbeitgeber haben inzwischen gemerkt, dass Noten alleine nicht die Aussagekraft haben. Was zählt, sind der persönliche Eindruck und die Motivation des Bewerbers. Wir beobachten, dass die Unternehmen umsichtiger sind: Auch die Talente auf den zweiten Blick werden berücksichtigt, und das ist gut so.
Wichtig ist: Wir dürfen niemanden auf der Strecke lassen. Gerade die Abgänger aus den Corona-Jahren brauchen Perspektive und Orientierung. Aufgrund der besonderen Umstände haben sie sich in teilweise in eine andere Richtung entwickelt. Diese Jugendlichen dürfen wir nicht verlieren.