Piraten zwischen Selbstverständnis und Wirklichkeit

Halbe und Hempelmann über Relevanz und Rampenlicht, Digitalisierung und Demokratie


  • Kreis Olpe, 30.09.2017
  • Von Sven Prillwitz
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Willi Hempelmann (links) und Bastian Halbe (rechts) sprachen mit LokalPlus-Redakteur Sven Prillwitz über Ziele, Ideen und die aktuelle Situation der Piraten. von Christine Schmidt
Willi Hempelmann (links) und Bastian Halbe (rechts) sprachen mit LokalPlus-Redakteur Sven Prillwitz über Ziele, Ideen und die aktuelle Situation der Piraten. © Christine Schmidt

Kreis Olpe. Um die Piraten ist es beinahe ganz still geworden. Die Kleinpartei bewegt sich längst nur noch am äußersten Rand der gesellschaftlichen und politischen Wahrnehmung. Aktueller Beleg: das Ergebnis der Bundestagswahl. Gerade einmal 0,4 Prozent der Zweitstimmen entfielen auf die selbsternannten Kämpfer für die „digitale Revolution“. Womit sich unweigerlich die Frage stellt: Hat die Partei überhaupt noch irgendeine Relevanz? Ja, denn ihre Themen seien aktueller denn je, sagen die Piraten im Kreis Olpe. Das Problem: Mit dem Selbstverständnis der Partei sei es schwierig, in der Politik Fuß zu fassen.


Ein kurzer Rückblick: 2011 und 2012 waren die beiden erfolgreichsten Jahre der Piraten, weil ihnen der Einzug in vier Landtage gelang, unter anderem in NRW. Neben dem Schwerpunkt Netzpolitik hatte die Partei die Stärkung von Bürgerrechten, die Informationsfreiheit und mehr staatliche Transparenz als weitere Ziele ausgegeben. Und nicht zuletzt die Forderung nach basisdemokratischen Abstimmungen. Die Ein-Themen-Partei hatte sich programmatisch breiter aufgestellt und brachte frischen Wind in die deutsche Parteienlandschaft. Es wurde eine kurze Brise, denn die Piraten verschwanden auch wegen interner Querelen schnell in der Beinahe-Bedeutungslosigkeit.

Einen weiteren Grund dafür sehen Willi Hempelmann und Bastian Halbe, zwei von derzeit 32 Mitgliedern der Piratenpartei im Kreis Olpe, in der mangelhaften Außendarstellung. Zwar hätten es typische Piraten-Themen auf die politische Agenda geschafft, wie etwa die Veröffentlichung von Nebeneinkünften von Politikern oder mehr Transparenz des Staatswesens, sagt Halbe. Allerdings sei die Partei selbst landes- und bundesweit medial und damit gesellschaftlich kaum wahrgenommen worden, ergänzt Hempelmann: „Wir hatten keine Öffentlichkeit, wir waren einfach nicht da. Und wenn man totgeschwiegen wird, kann nichts passieren.“
„Sachthemen sind heute nicht mehr gefragt“
Die Kritik des 72-jährigen Olpers, der sich wegen seines Wunsches nach direkter Demokratie vor Jahren von der CDU ab- und den Piraten zuwandte, richtet sich aber nicht nur an die Nachrichtenmedien. Seine Kritik beinhaltet auch die politische Debatte. „Sachthemen sind heute nicht mehr gefragt“, sagt Hempelmann. Es gehe um nur noch um Personen statt um Inhalte. Politiker, die es weit nach oben schaffen wollen, müssten „Vertrauen erwecken, schlaue Sprüche haben und gut gelitten“ sein, aber eben nicht konkret oder greifbar.
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Politiker müssen aber auch bereit sein, sich ins Rampenlicht zu stellen. Hier setzt dann – gewissermaßen – die Selbstkritik an, denn echte Frontleute gebe es bei den Piraten eben nicht. Soll es eigentlich auch nicht. „Wir sind nicht die Leute, die sich auf die Bühne stellen. Wir sind eher zurückhaltend und diskutieren lieber am runden Tisch miteinander statt auf der Bühne nach vorne zu drängen“, sagt Hempelmann.
„Liquid Democracy“ und verschlafene Jahre
Also auch ein hausgemachtes Problem? „Ein Stückweit ja“, sagt Bastian Halbe. Bei den Piraten gilt noch immer die Idee der „Liquid Democracy“, der direkten, der „flüssigen“ Demokratie für und durch den Einzelnen. Der flachen Hierarchien, der Selbstbestimmung. Ein Selbstverständnis, das sich mit der politischen Wirklichkeit beißt. Das wissen auch die Piraten. „Wir hatten die Diskussionen. Aber wenn wir die Köpfe haben, gehen die Themen flöten. Wir müssen die Themen aber in die Köpfe bringen“, sagt Halbe.

Die schwierige Balance zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Ein Akt, der den Piraten zuletzt nicht gelungen sei, so der 24-Jährige. „Wir haben die letzten drei bis vier Jahre verschlafen. Wir sind aus den Landtagen rausgeflogen mit dem Ergebnis der Bundestagswahl jetzt als krönender Negativserie“, sagt Halbe. Bei der Bundestagswahl 2013 holten die Piraten noch 2,2 Prozent – auch dank einiger Protestwähler, die in diesem Jahr ihr Kreuz bei anderen Parteien gemacht hätten. „Jetzt muss umgedacht werden“, sagt Halbe.
Chancen und Risiken der Digitalisierung
Er könnte einer derjenigen sein, die dafür den – notwendigen – Schritt in die vordere Reihe machen. Bei der Landtagswahl im Mai kandidierte der damals 23-Jährige bereits. Bei der Bundestagswahl ließ er sich nicht aufstellen, in vier Jahren dagegen sei das für ihn zumindest vorstellbar. Denn sowohl für Halbe als auch für Hempelmann steht fest: Die „digitale Revolution“, der Hauptantrieb der Piraten, ist längst im Gange. „Wir reden von der totalen Vernetzung und von gewaltigen Auswirkungen, ohne dass der Großteil wirklich weiß, wovon die Rede ist. Wir sind ganz am Anfang der Digitalisierung, die unendlich viele gute Chancen bietet, aber eben auch hohe Risiken birgt“, sagt Hempelmann. Als Stichworte nennt er Gentechnik, Automatisierung und künstliche Intelligenz.
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Als Partei, die diese Herausforderungen und Chancen kompetent begleiten könnte, nennt Halbe die Piraten. „Ich sehe momentan keine Alternative, die die Digitalisierung vorantreiben und Neuland gestalten kann“, sagt der Jungpolitiker. Und wechselt – mit Blick auf die Digital-Situation im Kreis Olpe – in den Angriffsmodus. Die Vectoring-Technik, die beim Breitbandausbau zum Einsatz kommt, sei „Zukunftsverschleppung“, weil das Internet damit schlichtweg nicht leistungsstark genug sei.
Nachholbedarf bei direkter Demokratie
„Glasfaser muss jetzt in die Häuser, sonst müssen wir die Straßen bald wieder aufreißen für neue Leitungen“, fürchtet Halbe. Es gehe darum, das digitale Neuland auch im Kreis Olpe „jetzt zu gestalten, sonst wird es über uns hereinbrechen“, sagt Halbe. Dafür brauche es auch einen offenen wirtschaftlichen Wettbewerb zwischen Anbietern und nicht nur eine an Fördergeldern orientierte Auftragsvergabe. Nur so könne zukunftssicher in Technik und Standorte investiert werden. Der Kreis Olpe und vor allem die Unternehmen hätten in Sachen Digitalisierung bereits zwei Jahre verloren, schätzt Hempelmann.

Und auch in Sachen direkter Demokratie sehen die Piraten für den Kreis Olpe dringenden Handlungs- und vor allem Verbesserungsbedarf. Etwa durch die Einführung offener Listen für den Rat in Städten und Gemeinden, damit Personen völlig unabhängig von parteipolitischen Vorgaben Politik und Gesellschaft mitgestalten können.
Kritik am Rathaus-Bürgerentscheid in Olpe
Auch der Bürgerentscheid in Sachen Rathaus-Neubau in Olpe hätte, geht es nach den Piraten, ganz anders ablaufen müssen. Hempelmann kritisiert beispielsweise den „massiven Einfluss von IHK und Steuerzahlerbund auf die Öffentlichkeit“ und das Briefwahl-Verfahren an sich, das letztendlich „nur 25 Prozent der Olper Bevölkerung“ im Frühjahr habe entscheiden lassen. Der Vorschlag der Piraten: Wahlkarten an jeden Bürger verteilen, die binnen einer Woche in eine Urne eingeworfen und/oder online ausgefüllt werden können.

Es sind ein paar Ideen, mit denen die Piraten „gegen Stillstand und Ideenlosigkeit“ ankämpfen und „alte verkrustete Strukturen“ aufbrechen wollen, wie es auf der Homepage heißt. Bislang ist es jedoch verbales Säbelrasseln. Ob sie mit ihrem Kampf für die „digitale Revolution“ und die direkte Demokratie die große Bühne entern können, ist wohl auch eine Frage, wie starr oder flüssig das Selbstverständnis ist.
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