„Mensch vor Profit heißt die Devise“

Vor der NRW-Wahl: Robert Hammer (ÖDP) im Interview


Robert Hammer. von © Giulia Chromik/Atta studio
Robert Hammer. © © Giulia Chromik/Atta studio


Ihr Wahlkampf-Slogan lautet „Keine Zukunft ohne Bildung, Schluss mit dem Lehrermangel“. Bitte erklären Sie das genauer.

Nicht nur die jetzige rot-grüne Landesregierung hat in der Bildungspolitik versagt. Ebenso die Regierung Rüttgers zuvor. Schöngerechnete Ausfallstunden, quantitativ unzureichendes und qualitativ (bzgl. Inklusion) zu wenig Lehrpersonal in allen Schulformen, dazu noch die Inklusion, die Hals über Kopf eingeführt wurde, führten zu dem Ergebnis, dass Lehrerverbände, Schulen und Eltern Alarm schlagen. Das muss sich dringendst ändern.

Der ländliche Raum – und damit auch Südwestfalen und der Kreis Olpe – steht angesichts des demografischen Wandels vor mehreren großen Herausforderungen. Eine davon ist die Landflucht junger Menschen. Wie lässt sich diese verhindern?

Durch unsachgemäße Förderung und Forcierung sogenannter „Boom Regionen“ werden ländliche Regionen außer Acht gelassen. Dadurch entstehen innerhalb Deutschlands und vor allem auch innerhalb Nordrhein-Westfalens völlig unterschiedliche Wirtschafts- und Lebensbedingungen. Dies führt zu Wanderbewegungen junger Menschen in die Städte und damit zu schrumpfenden Regionen auf der ländlichen Seite. Es bedarf daher einer Stärkung gerade der ländlichen Gegenden, um sie für die Menschen sowie die Wirtschaft attraktiv machen. Dazu gehört der Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs, die Schaffung von Infrastruktur für junge Leute, der massive Ausbau schnellen Internets sowie die Schaffung der notwendigen Infrastruktur zur Ansiedlung von Zukunftstechnologieunternehmen etc.

Wie lässt sich die medizinische, hausärztliche und pflegerische Versorgung auf dem Land sicherstellen?

Grundpfeiler sind die freie Arzt- und Apothekenwahl. Ein Gesundheitssystem, das Leistungen nach Finanzlage rationiert und eine individuelle Behandlung erschwert oder gar unmöglich macht, sorgt dafür, dass Ärzte nicht in ländliche Gegenden nachkommen. Ein Hausarzt, der pro Quartal für einen Patienten nach derzeitigem Stand durchschnittlich rund 35 Euro bekommt – egal, ob der Patient einmal oder zehnmal im Quartal behandelt werden muss – kann kaum ein Anreiz sein, sich auf dem Lande niederzulassen, wo die Bevölkerung schrumpft, dem auch etwas entgegengesetzt werden muss. Eine gerechte und ausreichende Finanzierung des Gesundheitssystems und damit auch der Hausärzte,  ist meiner Ansicht nach die Bürgerversicherung für alle, ganz gleich, ob Beamter, Angestellter, Arbeiter oder Selbstständiger und Freiberufler.

In bevölkerungsschwachen Gegenden muss eine Grundpauschale für Ärzte ins Gespräch gebracht werden. Darüber hinaus sollten die Pflege- und Krankenversicherung zusammengelegt werden, damit Pflege und Behandlung koordiniert und Unklarheiten bei der Zuständigkeit vermieden werden. So werden oftmals vorbeugende Mittel nicht bezahlt, weil sich weder die eine noch die andere Kasse zuständig fühlt. Erst wenn Krankheit oder Unfall bzw. die Verschlechterung des Pflegezustandes eingetreten sind, fließt das Geld. So eine Zusammenlegung mindert ebenfalls die Kosten und sorgt für Transparenz bei der Bedürftigkeit von Patienten und Pflegebedürftigen.
„Der ÖPNV muss großzügig ausgebaut werden“
Welche Stärken und welche Schwächen sehen Sie für den Kreis Olpe? Wie können diese erhalten und ausgebaut bzw. behoben werden?

Die Stärken im Kreis Olpe liegen für mich ganz klar im überaus erfolgreichen Mittelstand, wo Firmen als Weltmarktführer den Ton angeben und damit hiesige Arbeitsplätze jetzt und für die Zukunft sichern. Damit das so bleibt, bedarf es guter Fachkräfte, womit wir wieder beim Thema Bildung wären und damit auch bei einer der größten Schwächen, die allerdings nicht nur den Kreis Olpe betrifft. Darüber hinaus bedarf es des massiven Ausbaus schnellen Internets, um den Standort für entsprechende Unternehmen attraktiv zu machen. Der Öffentliche Nahverkehr muss großzügig ausgebaut werden, um auch den Einzelhandel in den Innenstädten zu fördern. Wer heute in die Innenstädte des Kreises Olpe fährt, nehmen wir einmal Olpe selbst und auch Attendorn, der stößt immer wieder auf das Problem, dass man keine Parkplätze findet.

Der Platz in den Innenstädten ist nun einmal begrenzt, und es lässt sich nicht jeglicher freier Platz zu Parkplätzen ausbauen, was zu einer noch größeren Versiegelung der Flächen führt, als wir sie schon haben, mit all den damit verbundenen Nachteilen. Viele Menschen bleiben also zu Hause und kaufen stattdessen lieber im Internet ein. Würden in vernünftigen Taktungen und ausreichender Anzahl Züge und Busse fahren, könnte das dazu führen, dass die Innenstädte und damit auch der Einzelhandel, der mehr und mehr zu kämpfen hat, belebt werden. Auch die Menschen, die aufgrund von vielerlei Umständen nicht mit einem Auto mobil sind oder sein können, würden davon profitieren und die Maßnahmen das Leben auf dem Land für alle lebenswerter machen.

Südwestfalen gilt als eine der bundesweit bedeutendsten Wirtschaftsregionen. Was muss mit Blick auf die Infrastruktur passieren, damit die Region ihren Status halten und ggf. weiter ausbauen kann?

Die ÖDP tritt für eine ökologisch-ökonomische soziale Marktwirtschaft ein. „Ökonomie nur im Einvernehmen mit Ökologie“. Im Markt regelt sich nicht alles von selbst, die noch immer anhaltende Finanzkrise in der EU ist das beste Beispiel dafür. Deshalb fordern wir neben sozialen auch ökologische Mindeststandards. Umweltfreundliche Wirtschaftspolitik schafft mehr Anreize für bessere Energie-Effizienz sowie Technologie-Innovationen für erneuerbare Energien. Die dadurch auf Dauer eingesparten Kosten machen sich für die Firmen bezahlt bei gleichzeitig steigendem Know-how in einer zukunftsträchtigen Industrie. In den generellen Bereichen erneuerbare Energien, Energieeinsparung, technischer und praktischer Umweltschutz gibt es ebenfalls sehr hohe Potentiale, um Arbeitsplätze auszubauen und zu sichern. Deutschland hat schon immer als innovative Kraft in der Welt Maßstäbe gesetzt und kann dies auch in diesem Bereich der Wirtschaft tun und erfolgreich sein.
Windenergie an Stromspeichermöglichkeiten anpassen
Das Thema Erneuerbare Energien, insbesondere Windenergie und die Ausweisung von Vorrangzonen, löst nach wie vor kontroverse, mitunter äußerst emotionale und auch hitzige Diskussionen aus. Wie sieht Ihre Position zu Erneuerbaren Energien im Allgemeinen und Windrädern im Speziellen aus?

Für die ÖDP gilt ganz klar, dass die erneuerbaren Energien die einzige Möglichkeit sind, unseren Planeten vor weiterer Klimaerwärmung zu schützen. Auch weil sämtliche bisherigen konventionellen Energiegewinnungsformen mit endlichen Ressourcen gewonnen werden und somit nicht ewig zur Verfügung stehen, mal abgesehen von den  sich daraus ergebenden Konsequenzen für Mensch und Umwelt. Das ist auch meine persönliche Position. Ein großes Problem ist leider der ausufernde Windenergiebereich, der völlig plan- und sinnlos vorangetrieben wird, ohne dass diese Energie so genutzt werden könnte, so wie es sinnvoll wäre, weil es derzeit keine adäquaten Speichermöglichkeiten des erzeugten Stromes gibt.

Augenblicklich ist die Windenergie nur für Investoren interessant, denn diese bekommen, völlig gleichgültig, ob der Wind weht oder nicht, ob also die Energie erzeugt wird oder nicht, pro Windrad eine jährliche üppige Pacht, die meines Wissens im mittleren fünfstelligen Bereich liegt. Die Windenergie wird dermaßen exzessiv ausgebaut, dass ökologische Systeme auf der Strecke bleiben, Unmengen Tiere sterben müssen, seriöse Naturschutzorganisationen sprechen von bis zu 250.000 Fledermäusen sowie bis zu 200.000 Vögeln bei derzeitigem Stand und dass Flächen in Größenordnungen gerodet und verbraucht werden, die im negativen Sinne beispiellos sind. Ich stehe für eine vernünftig genutzte Windenergie, die den Realitäten der Speichermöglichkeiten gerecht werden muss und nicht für eine Windenergie, welche einer Politik entsprungen ist, die ausschließlich der Windenergielobby und den Investoren nützt. Hier haben die verantwortlichen Politiker ihr Mäntelchen am Garderobehaken der Lobbyisten und der Windenergieindustrie abgegeben.

Ebenfalls umstritten: das sogenannte „Turbo-Abi“ (G8) an den Gymnasien. In NRW läuft das erste Volksbegehren seit 39 Jahren mit dem Ziel, zum Abitur nach 13 Jahren (G9) zurückzukehren. Welches Modell bevorzugen Sie und warum?

Das Volksbegehren läuft zurecht. Die ÖDP und auch ich sind ganz klar für G9, denn eine gute Bildung braucht Zeit. G8 wurde nur deshalb eingeführt, weil die Industrie es seit Ende der 70er Jahre versäumt hatte, für ausreichend Fachkräfte zu sorgen, indem sie Ausbildung und Weiterbildung einfach nicht vorantrieb. Die Rechnung bezahlen die Schüler und Schülerinnen, die nunmehr so schnell wie möglich als Fachkräfte zur Verfügung stehen sollen. Zusätzlich durch Stundenausfälle und Lehrermangel wird, statt vernünftiger Ausbildung, ein Turboabi durchgezogen, welches m.E. nur eine mindere Qualität hat. Nicht umsonst gehen einige Bundesländer, darunter Bayern, die Vorreiter des G8 waren, zurück zum G9.

Nochmal Bildung: Viele Schulen und Kommunen fühlen sich mit dem Thema Inklusion allein gelassen und mitunter überfordert. Was kann man dagegen unternehmen?

Die Schulen und Gemeinden haben völlig Recht, dass sie von der derzeitigen Landesregierung alleingelassen werden. Frau Löhrmann macht keine Realpolitik, sondern eine Politik durch eine ideologische Brille. Ich bin sogar der Ansicht, dass sie Chancengleicheit verhindert. Die Lehrerverbände schlagen Alarm, weil, gerade was die Inklusion betrifft, keine ausreichenden und vor allem keine ausreichende Anzahl qualifizierter Sonderfachkräfte zur Verfügung stehen. Diese Arbeit müssen jetzt die Lehrer und Lehrerinnen übernehmen, die keine sonderpädagogische Ausbildung haben und damit nur sehr eingeschränkt für solche Aufgaben qualifiziert sind.

Das führt dazu, dass niemanden geholfen ist, weder den Inklusionsschülern und -schülerinnen, noch den Schülern und Schülerinnen, die solcher Fachkräfte nicht bedürfen. Das Einzige, was dagegen unternommen werden kann, ist, dafür zu sorgen, dass genügend  qualifiziertes Lehrpersonal vorhanden ist, dass die derzeit völlig absurde Inklusionsregelung rückgängig gemacht wird, bis es möglich ist, die Inklusion, wie sie sein muss, sach- und fachgerecht anbieten zu können. Die rot-grüne Landesregierung hat hier eine, ich wiederhole mich gern, ideologische Bildungspolitik aufoktroyiert, ohne Rücksicht auf sämtliche Betroffenen.
Schutzpersonen gehören in Wohnviertel
Nach dem Anschlag auf den Mannschaftsbus des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund kurz vor Ostern ist die Debatte um das Thema Innere Sicherheit wieder voll entbrannt. Braucht es (in NRW) mehr innere Sicherheit – und falls ja, wie genau sollte das Ihrer Meinung nach aussehen?

Ich denke, dass die innere Sicherheit partiell nicht so ist, wie sie sein sollte. Das betrifft aus meiner Sicht aber eher die Einbruchszahlen, die im Jahr 2016 um ca. 16 % gestiegen sind. Es bedarf daher mehr Polizei auf den Straßen. Für mich und auch für die ÖDP gehört der Schutzmann (Frau) wieder in die Wohnviertel. Dies sorgt dafür, dass dunkle Gestalten abgeschreckt werden. Ebenso müssen sich die Länder mit ihrer Polizeiarbeit vernetzen dürfen, damit Banden, die über die Landesgrenzen hinaus operieren, identifiziert und bekämpft werden können. Darüber hinaus ist es notwendig, die Zugangsmöglichkeiten zum Polizeiberuf zu erleichtern, damit sich genügend Menschen für den Polizeiberuf interessieren können. Es ist für den mittleren Dienst m.E. nicht notwendig, ein Abitur vorzuweisen, der Realschulabschluss oder ein vergleichbarer Hauptschulabschluss ist ausreichend. In der einfachen Polizeiarbeit muss auch ein qualifizierter Hauptschulabschluss möglich sein.

Sieben Städte und Gemeinden verteilt auf 135.000 Einwohner. Macht eine verstärkte interkommunale Zusammenarbeit im Kreis Olpe Sinn?

Da dürfte eine pauschale Antwort kaum möglich sein. Man darf nicht vergessen, dass es viele gewachsene Strukturen gibt, die nicht einfach auseinandergerissen werden sollten, indem man über die Köpfe dieser Menschen entscheidet, wie sie nun zusammenarbeiten müssten. So etwas bedarf, soll es Sinn machen, eines Vertrauensaufbaus von entsprechenden Stellen, sodass sich niemand übervorteilt fühlen darf. Und das kostet Zeit.

Vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise beklag(t)en die hiesigen Kommunen und der Kreis Olpe eine Benachteiligung des ländlichen Raums gegenüber Großstädten, wenn es um die Verteilung von Landesmitteln geht. Haben die „Metropolen“ eine Sonderstellung?

Das vermag ich nicht zu sagen, weil ich keinen Einblick in die Verteilung der Landesmittel habe.

AfD, Pegida und besorgte Bürger: Seit der Flüchtlingskrise finden rechtspopulistische und offen fremdenfeindliche Thesen vermehrt Gehör und Verbreitung. Wie beurteilen Sie das?

Wenn ich mir die massiv zurückgehenden Zahlen ansehe, wie viele Menschen noch an Pegida-Demonstrationen teilnehmen, wenn ich sehe, dass die Prozentzahlen bei den Wahlumfragen für die AfD rückläufig sind, kann ich dem nicht mehr zustimmen. Ich bin davon überzeugt, dass die Mehrzahl der Menschen in unserem Land gute Demokraten sind und wissen, wo ihr Platz ist. Und der ist nicht bei den Extremisten, übrigens auch nicht bei den Extremen der linken Seite des politischen Spektrums.
Forderung nach fairer Handelspolitik
Welche politischen Ziele, die in diesem Interview bislang noch nicht genannt wurden, verfolgen Sie außerdem?

Es geht auch um eine faire Handelspolitik gegenüber den so genannten Entwicklungsländern, deren Einwohner oft aus purer Not heraus versuchen, sich in einem anderen Land eine bessere Existenz zu ermöglichen. Wenn Konzerne wie Nestle, die für unsere angenehme Lebensweise sauberes Wasser aus armen Ländern verkaufen, während die dortige Bevölkerung verseuchtes Wasser trinken muss, ist das ein schmutziges Geschäft. Wenn Lebensmittel billiger exportiert werden, als sie die dortigen Kleinbauern herstellen können, dann hat das mit Fairness nichts mehr zu tun.

Vervollständigen Sie abschließend folgenden Satz: Sie sollten in den Landtag einziehen, weil…

... ich für eine Parteipolitik stehe, die nicht von Lobbyisten bestimmt wird und die nicht durch üppige Parteispenden durch Firmen und Konzerne in Millionenhöhe korrumpiert werden kann, weil die ÖDP keinerlei Firmenspenden annimmt. Und weil ich für die Menschen da sein möchte und nicht für die Interessen derer, die das Geld haben und meinen, damit die Politik beherrschen zu wollen. Mensch vor Profit heißt die Devise.
Zur Person: Robert Hammer
  • Alter: 55
  • Wohnort: Attendorn-Dünschede
  • Familienstand: verheiratet
  • Kinder: eine Tochter
  • Beruf: Zauberkünstler und Theaterschauspieler (unter dem Namen Robert Marteau)
  • Parteimitglied seit: 2017, vorher SPD
  • Bisherige und aktuelle politische Ämter: noch keine
  • Politisches Vorbild: Willi Brandt, Egon Bahr, Hans Dietrich Genscher
  • Hobbys: Musik machen (Gitarre und Keyboard), Sport
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