Kolumne: Ich vermisse ernsthaftere Texte


Am Ende werden ihm zwei Schuljahre fehlen: Die 3. Klasse, die er übersprungen hat, und ein Jahr am Gymnasium. Lucas Schwarz macht am Städtischen Gymnasium das so genannte G8- oder „Turbo-Abitur". Der 15-Jährige bezeichnet sich selbst als Film-Junkie, spielt Gitarre - und liebt das Schreiben. Diverse Kurzgeschichten, sogar zwei Romane hat er bislang verfasst, peilt die Teilnahme an Poetry Slams an. Bei LokalPlus erscheint immer samstags die Kolumne des jungen, unbekannten Schriftstellers aus Lennestadt.


Ich habe eine große Faszination für Literatur und auch für Schauspiel. Das sind ganz unterschiedliche Bereiche, könnte man erstmal denken – doch es ist doch so, dass ein Schauspieler nach einem von einem Literaten verfassten Drehbuch agiert, der Figur ihr Leben einhaucht, und ein Schriftsteller filmische Szenen im Leserkopf entstehen lässt. Dies ist noch deutlicher spürbar, wenn der Text vorgetragen wird. Von einem Schauspieler … oder eben auch vom Autor selbst. Der Vortrag einer Geschichte oder eines Gedichtes hat etwas ganz Besonderes an sich. Er verleiht den Worten eine Seele, macht etwas Größeres aus dem einfach hingeschriebenen Text, kann ihn verbessern, verschlechtern, verformen, verändern.
Wettstreit der Dichter
Ich möchte Ihnen etwas über Poetry Slam erzählen. Poetry Slam, ein Wettstreit der Dichter und Schreiber, ein literarischer Vortragswettbewerb und auch ein eigenes Sub-Genre der Literatur. Bei einem Poetry Slam treten verschiedenste Autoren an, ihren selbst verfassten Text vor interessiertem Publikum vorzutragen. Es ist dabei vollkommen egal, über was sie schreiben, und das ist die erste wunderbare Freiheit dieser Gattung: es gibt keinerlei Einschränkungen, keine gedanklichen Barrieren. Wenn da einer einen Text verfassen will über kleine grüne Wesen, die im Bund seiner Unterhose wohnen, soll er das doch bitte tun – wichtig ist nur, dass es dem Publikum möglichst gut verkauft wird.
Poetry Slam auf Vortrag ausgelegt
Und das ist der zweite Punkt, der einen Poetry Slam so besonders macht. Es wird zwar Literatur dargeboten, jedoch nicht auf Papier gebannt und zum Lesen gereicht, nein, die Texte werden vorgetragen. Der Poetry Slam ist explizit auf den Vortrag ausgelegt, und hier machen sich alle Dinge bemerkbar, die ich eben schon über die Besonderheit eines solchen Vortrages angemerkt habe. Das Publikum entscheidet, welche Slammer weiterkommen, und da spielen nun Schauspiel und Literatur gekonnt ineinander. Der Text muss an den Mann gebracht werden, durch stimmliche Betonung, Lautstärke, Geschwindigkeit, Grundtonus, Gebärden und alles, wozu sonst keine Hilfsmittel benötigt werden – denn das ist bei einem Poetry Slam verboten, nur der Text und der Texter dürfen die Bühne betreten – können die Reaktionen beeinflussen. Zu sehen, wie jeder einzelne Slammer seinen eigenen Weg präsentiert, wie man seiner Meinung nach am Besten einen Text wie den seinen vortragen sollte, ist äußerst ergiebig, spaßig und … schlichtweg faszinierend. Poetry Slam kommt aus der Studentenwelt des Amerikas der späten 1980er-Jahre, dort wird unter den Autoren bis heute mehr Wert auf Sozialkritik und Aussage gelegt. Im seit nun immerhin Mitte der 1990er-Jahre laufenden Ableger in deutschen Landen sind diese Punkte natürlich auch oft präsent, doch gerade in den letzten zehn Jahren hat sich der Poetry Slam mehr zu einer Comedy-Veranstaltung gewandelt.
Ich vermisse ernsthaftere Texte
Und das ist ein bisschen schade, und hier kommen wir auch zu dem, was diesen Artikel zu einer Kolumne macht. Ich verstehe es vollkommen, dass man in einem Land mit einer doch recht steckengebliebenen echten Comedy-Szene versucht, mit dem Poetry Slam eine Alternative zu schaffen. Und Slammer wie Jan Philipp Zymny, Torsten Sträter und Marc-Uwe Kling gehören sogar zu meinen absoluten Lieblingen. Ihre Texte unterhalten auf höchstem Niveau.
Zu selten und zu unterschätzt
Gerade der noch sehr junge Zymny, Gewinner der Deutschen Meisterschaften 2013, ist ein komödiantisches Talent sondergleichen, ich kann seine köstlichen Texte, die sich auch durch eine sehr spezielle und schrullige Vortragsweise auszeichnen, nur jedem ans Herz legen … aber ich vermisse ernsthaftere Texte. Die amerikanische Bewegung zeigt immer mal wieder, dass es geht, dass man schwere, vielleicht sogar tabuisierte Themen aufgreifen und gute, aber auf eine andere Art unterhaltsame Texte daraus machen kann. Ich frage mich, warum dass in Deutschland so eine Seltenheit ist. Und hoffe, dass sich in der Szene mit all ihren tollen Komikern und Absurditisten auch noch ein Platz für aussagekräftige, vielleicht ein bisschen düstere, aber ehrliche Sozialkritik finden lässt. Es ist nicht so, als ob diese Art von Slam-Texten nicht existiert – aber sie ist zu selten und zu unterschätzt.
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