"Jeder einzelne Mensch ist unverzichtbar"

Podiumsdiskussion der Jungen Union NRW auf der Burg Bilstein zum Thema "Sterbehilfe" / Hochkarätige Diskutanten


Diskussion zum Thema Sterbehilfe auf der Burg Bilstein: (v.l.) Florian Müller, Dr. Reinhard Hunold, Dr. Nikolaus Schneider, Karl-Josef Laumann, Prof. Dr. Peter Schallenberg, Torsten Benzin und Florian Braun. von s: Kerstin Sauer
Diskussion zum Thema Sterbehilfe auf der Burg Bilstein: (v.l.) Florian Müller, Dr. Reinhard Hunold, Dr. Nikolaus Schneider, Karl-Josef Laumann, Prof. Dr. Peter Schallenberg, Torsten Benzin und Florian Braun. © s: Kerstin Sauer

Ist Sterbehilfe legal? Darf ein Mensch selbst entscheiden, mit Hilfe anderer aus dem Leben zu gehen? Oder sollte man ihn so lange am Leben erhalten, wie nur möglich?


Es war ein interessantes, aber vor allem vielschichtiges und emotionales Thema, das sich die Junge Union (JU) NRW für eine Podiumsdiskussion auf der Burg Bilstein ausgesucht hatte. Und dank der fünf hochkarätigen Experten auf dem Podium sehr informativ, fundiert und abwechslungsreich für die 150 Gäste, meist Mitglieder der JU NRW, die wieder pünktlich zum Ferienbeginn an Seminaren der zweitägigen „Summer JUniversity“ , diesmal in Bilstein, teilnahmen.
Fünf hochkarätige Diskutanten
Der Diskussion stellten sich – moderiert von Florian Müller, stellvertretender Landesvorsitzender der JU NRW – Dr. Nikolaus Schneider (Evangelische Kirche Deutschlands), Torsten Benzin (stellv. Vorsitzender Sterbehilfe Deutschlands), Prof. Dr. Peter Schallenberg (Lehrstuhl für Moraltheologie an der Theologischen Fakultät Paderborn), Staatssekretär Karl-Josef Laumann (Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung) sowie Dr. Reinhard Hunold vom St.-Martinus-Hospital Olpe (Chefarzt der Palliativmedizin).
Und während seine vier Mitstreiter weitestgehend einer Richtung folgten, fand sich Torsten Benzin von der einzigen Organisation, die in Deutschland Sterbehilfe anbietet, oft in einer defensiven Rolle als Befürworter der Sterbehilfe wieder. „Es ist ein Thema, das momentan brennt“, sagte NRW-Landesvorsitzender Florian Braun mit Blick auf die Debatte im Bundestag: Vier fraktionsübergreifende Gesetzesentwürfe zur Sterbehilfe liegen vor. Sie reichen von einer weitgehenden Freigabe – sofern die Hilfe nicht am Profit ausgerichtet ist – über eine ärztlich attestierte Selbsttötung bis hin zu einem weitreichenden Verbot der Sterbehilfe.
Braun weiter: „Es ist ein emotional schwieriges Thema. Uns als jungen Menschen scheint das Thema noch weit entfernt zu sein – aber die Berührungsmomente werden zunehmen.“ Staatssekretär Laumann betonte, dass das Thema alle betreffe: „Diese Debatte treibt die Menschen um und gehört daher ins Parlament. Die Menschen haben Angst vor Leid, Schmerzen und Einsamkeit, viele sterben unter unwürdigen Umständen.“
Seniorenheime seien jedoch oft nicht so gut ausgestattet, dass eine gute Sterbehilfe geleistet werden könne: „Deswegen müssen wir Hospize und die Palliativmedizin bekannter machen.“ Dem schloss sich Dr. Reinhard Hunold an: „Man muss an den Pflegeheimen arbeiten, dort investieren, um die Menschen gut in den Tod zu begleiten.“
Schlag ins Gesicht
Seiner Ansicht nach seien Gruppierungen, die sich „Sterbehilfe“ nennen, ein Schlag ins Gesicht der Palliativmedizin: „Sie sollten sich Suizid-Hilfsvereine nennen. Sterbehilfe leisten nicht sie, sondern wir in der Palliativmedizin: Wir begleiten den Menschen bis in den Tod, garantieren ihm mit der palliativen Sedierung, dass er schmerzfrei sterben wird.“ Die Patienten könnten jederzeit auf die Hilfe der Palliativmedizin zurückgreifen.
Die Rolle des Arztes, so Dr. Hunold weiter, sei, Hilfe zum Leben zu geben. Daher habe er ein Problem damit, eine Gruppe von Menschen freizustellen und ihrem Handeln gesetzliche Legalität zu geben.
Demografischer Wandel
Mit Blick auf den demografischen Wandel warnte er: „Es wird immer mehr alte und kranke Menschen geben, die den Wunsch haben, nicht mehr zu leben. Unsere Aufgabe muss es sein, sie zu begleiten und ihnen die Angst zu nehmen.“ „Jedem Menschen sollte es selbst überlassen sein, wann er sterben möchte“, betonte indes Torsten Benzin von der Sterbehilfe Deutschland. Sein Verein hat im Jahr 2014 44 Menschen in den Tod begleitet – bei einer Anzahl von 10.000 Suizidfällen pro Jahr sei das ein verschwindend geringer Anteil.
Seit 150 Jahren sei Suizid in Deutschland straffrei, keiner Gruppe – weder Kirche noch Politik – sollte es zustehen, dazu eine rechtliche Entscheidung zu treffen. Benzin: „Man darf einem Menschen in dieser Situation nicht eine andere Meinung aufzwingen.“ Ein Punkt, in dem Dr. Nikolaus Schneider mit ihm übereinstimmte: „Es ist richtig: Man darf sterbenden Menschen diesen Entschluss nicht staatlich aufzwingen. Vielmehr sollten wir ihm vermitteln und das Vertrauen geben, dass Gott ihn durch das Sterben tragen wird.“
Das Leben schützen
Die Aufgabe des Staates hingegen sei es, Leben zu bewahren, zu beschützen und zu fördern – „und genau das muss die Rechtsordnung sicher stellen.“
Diskussionen um die Sterbehilfe kennt Dr. Schneider auch aus seiner eigenen Familie: Seit Jahren, so betonte er auf dem Podium, ringe er mit seiner Frau um dieses Thema. Schneider: „Die Meinung meiner Frau ist folgende: Gott hat mich als sein Gegenüber geschaffen, mir Freiheit und Verantwortung gegeben. Ein Ausdruck dieser Freiheit sollte es sein, dass ich mich selbst für den Tod entscheiden kann.“
Mit Gott an der Seite
Eine Auffassung, die Dr. Schneider selbst nicht teilt: „Ich glaube, dass Gott im Sterben an meiner Seite steht und mich begleitet.“ Und doch haben er und seine Frau sich geeinigt: Sollte es irgendwann dazu kommen, dass sie sich für die Sterbehilfe entscheidet, dann „würde sie nicht verlangen, dass ich ihr den Gift-Cocktail reiche – aber wenn sie alles organisiert hat, werde ich bei ihr sein und ihre Hand halten.“ Laut Moraltheologe Prof. Dr. Peter Schallenberg ist die zentrale Frage: „Inwieweit mischt sich das Recht in private Belange ein?“
Er selbst stelle sich gegen die Erlaubnis zur Selbsttötung: „Die Würde des Menschen ist unantastbar, jeder einzelne Mensch ist unverzichtbar. Das müssen wir den todkranken Patienten vermitteln: Du bist wichtig.“ Die Entscheidung, freiwillig aus dem Leben zu gehen, könne ein Mensch für sich überhaupt nicht treffen.
Wie lange am Leben erhalten?
Eine Stimme aus dem Publikum meldete sich zu diesem Thema: Der junge Mann berichtete von seiner Mutter, die elendig sterben musste – seitdem vertrete er die Ansicht, dass die Medizin einen Menschen viel länger am Leben erhalten könne, als Gott es gewollt hätte. Prof. Dr. Schallenberg nahm sich dieser Meinung an: „Gott will, dass wir würdig rüber gehen. Aufgabe der Medizin ist es, das Leben erträglich und lebenswert zu machen.“ Und der sterbende Mensch dürfe dabei nicht vergessen: Du bist unbedingt erwünscht. „Um jeden Preis?“, konterte der junge Mann aus dem Publikum. Schallenberg überlegte kurz, um dann überzeugt und nachdrücklich zu betonen: „Ja. Fast um jeden Preis.“
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