„Jede erwachsene Frau muss sich wehren und klare Grenzen setzen“
Ehemalige Femen-Gründerin Zana Ramadani im Interview
- Kreis Olpe, 23.11.2018
- Von Sven Prillwitz
Sven Prillwitz
Redaktion
Kreis Olpe. Im Mai 2013 stürmten zwei junge barbusige Frauen in Mannheim den Laufsteg, auf dem das Finale der TV-Castingshow „Germany´s Next Topmodel“ ausgetragen wurde. Aus Protest gegen das in der Sendung vermittelte Frauenbild. Eine der beiden Aktivistinnen hatte ein Jahr zuvor den deutschen Ableger der radikal-feministischen „Femen“-Gruppierung gegründet. Ihr Name: Zana Ramadani. Mittlerweile gehört die 34-Jährige der Gruppe zwar nicht mehr an, kämpft aber immer noch für die Gleichberechtigung der Geschlechter. Als Autorin. Mit klaren Worten und provokanten Thesen. LokalPlus-Redakteur Sven Prillwitz hat am Rande der Netzwerkmesse „Frauen in Südwestfalen“ in Olpe mit Zana Ramadani gesprochen.
Das ist für mich natürlich sehr schwer. Das Frauenbild, das dort propagiert wird, ist inakzeptabel. Das hat nichts mit Selbstbestimmung zu tun. Mit dieser Sendung wird das „Weibchenbild“ gefördert: Füge dich und werde ein Weibchen, dann wirst du bewundert und kriegst alles – vor allem, wenn du ein Hungerhaken bist und den Mund hältst. Oder du musst Influencerin werden und Make-up-Tutorials machen. Das finde ich schrecklich, und eine solche Sendung mache ich für diese Entwicklung und Klischees mitverantwortlich.
2013 stürmten Sie das Finale der Show in Mannheim. Es gelang Ihnen auch, Heidi Klum aus nächster Nähe anzuschreien. Auf ihren nackten Oberkörper hatten sie „Sadistic Show“ geschrieben. Wie kam es zu dieser Aktion, die bundesweit für große Aufmerksamkeit sorgte?
Es ging uns nicht darum, Heidi Klum wachzurütteln, sondern darum, die Mehrheit der Menschen, die diesen Schrott gucken, zu erreichen. Wir haben hinterher viele E-Mails und Briefe von Eltern erhalten, die uns geschrieben haben, dass sie durch unsere Aktion erst angefangen hätten, darüber nachzudenken, dass eine Show wie diese negativ für die Entwicklung ihrer Kinder und das Frauenbild ist. Und dass sie darüber mit ihren Töchtern geredet haben. Damit war für uns schon viel gewonnen.
Ist der Kampf gegen das Patriarchat und für die Gleichberechtigung im digitalen Zeitalter, in dem alles sofort abrufbar ist, noch schwieriger?
Ja, weil Medien und Digitalität einen so großen Einfluss auf Kinder und Jugendliche haben. Es ist ja nicht nur „Germany´s Next Topmodel“. Es wird mit einer Sendung wie „Sylvies Dessous Models“ ja noch schlimmer. Und dann gibt es noch Magazine wie „Bento“, die offen Pornografie und Sexualität propagieren. Diese Formate sind sich ihrer Verantwortung gar nicht bewusst und wie sehr sie Jugendliche und auch schon Kinder beeinflussen. Das ist die Pornofizierung der Gesellschaft.
In einem Interview haben Sie Frauen eine Mitschuld daran gegeben, Opfer von Sexismus zu sein.
Das ist unserer Sozialisierung geschuldet. Wenn wir als erwachsene Frauen Männer nicht in die Schranken weisen und das Spiel mitspielen, wird sich nichts ändern. Jede erwachsene Frau muss sich gegen einen blöden Spruch wehren und klare Grenzen setzen anstatt hinterher ´rumzuheulen. Ansonsten machen sich Frauen mitschuldig.
Die Debatte habe ich zum Teil kritisiert, weil da auch schon ein misslungenes Kompliment oder ein misslungener Flirtversuch gleichgesetzt wurde mit einer Vergewaltigung. Mir geht es um das Verbale, da müssen wir Frauen die Vorreiterin sein und uns wehren. Da sind wir für unsere Kinder in der Verantwortung. Ich verstehe nicht, dass viele Frauen das nicht erkennen wollen.
Welche weiteren Möglichkeiten sehen Sie im Kampf gegen Sexismus?
Ich bin auch für schärfere Strafen. Das es z.B. für Vergewaltigung überhaupt Verjährungsfristen und niedrige Strafen gibt, ist mehr als nur unmoralisch. Da hilft auch kein Sorgentelefon für Opfer.
Ich bin gegen eine einfache Frauenquote. Wir brauchen natürlich Frauen in leitenden Positionen, aber die sind nicht z.B. von Altersarmut betroffen. Deshalb dürfen wir uns nicht nur auf Spitzenpositionen konzentrieren. Noch mehr müssen wir auf die normalen Frauen gucken – und viele von denen arbeiten eben in Niedriglohnjobs. Die sind von Altersarmut betroffen. Der Großteil der Angestellten in Pflegeberufen ist weiblich. Männer wollen solch einen Job nicht machen, weil sie nicht für 8,50 Euro fremde Fäkalien schrubben wollen.
Wie wird der Beruf des Pflegers denn für beide Geschlechter attraktiver – und besser bezahlt?
Wir brauchen generell eine verbindliche Geschlechterquote auch im Niedriglohn-Sektor, denn dann müssten Unternehmen verpflichtend auch Männer einstellen. Männer möchten aber nicht für das wenige Geld arbeiten. Also müssten die Löhne generell angehoben werden, um die Berufe attraktiver zu machen. Da ist der Staat gefordert, Strukturen zu schaffen. Natürlich muss aber auch gegen Lohnungleichheit geklagt werden. Solange es keine Präzedenzfälle gibt, kann und wird nichts passieren.
Halten Sie das für realistisch?
Das muss Normalität werden. Der feministische Kampf ist auch ein Kampf für die Selbstverwirklichung des Mannes. Berufe in der Pflege und der Kindererziehung gelten nach wie vor als Frauenberufe. Männer werden da eher skeptisch gesehen.
Ich bin stockkonservativ. Die christliche Gesellschaft hat mir als Kind einer muslimischen Familie viel Positives und Gleichberechtigung beigebracht. Das Konservative ist humanistisch und hat viel mit Anstand und Respekt zu tun. Die Zeit bei „Femen“ widerspricht meinem konservativen Bild nicht.
„Femen“ war eine neue Ausdrucksform meines politischen Kampfes, eine Möglichkeit, Menschen auf eine andere Art zu erreichen: mit dem Natürlichsten überhaupt, einer nackten weiblichen Brust, die aber eben nicht sexualisiert ist, sondern vielleicht auch hängt – und dazu eine Botschaft vermittelt. Davon fühlen sich viele Leute bedroht, werden aggressiv und sind irritiert. Sie wollen Titten sehen, aber eben nicht so. Wir haben das Prinzip der Sexualisierung umgedreht.
Anfang 2015 haben Sie der „Femen“-Bewegung den Rücken gekehrt. Wie kam es dazu?
Dafür gibt es viele Gründe. Der Schriftzug „Thanks Bomber Harris“ (eine Anspielung auf den Luftwaffen-General, der 1945 die Bombardierung Dresdens befahl, Anm. d. Red.), den eine Aktivistin gleich zweimal bei einer Aktion aufgemalt hatte, ging mir zu weit. Aktiv zu Gewalt aufrufen, das passte für mich nicht zu „Femen“.
Ein anderer Grund war, dass viele Mädchen aus gutbürgerlichen Kreisen nicht aus Überzeugung mitgemacht haben, sondern weil sie einfach mal rebellieren wollten – unter einem Pseudonym. Die waren nicht bereit, Konsequenzen auf sich zu nehmen. Dann ging es damit weiter, dass bei Kritik am Islam sofort die Nazi-Keule geschwungen wurde. Ein Mordaufruf war dann das i-Tüpfelchen.
Eine muslimische Frau ist für die Erziehung zuständig. Sie hat die Werte Ehrbarkeit, Jungfräulichkeit und dem Mann zu Diensten zu sein verinnerlicht. Das gibt sie weiter an ihre Kinder. Sie erzieht die Jungs zu Prinzen und Machos mit allen Rechten, die Tochter aber darf nichts. Im islamischen Kulturkreis definiert sich die Ehre über die Sexualität der Mädchen. Wurde die Tochter nicht richtig erzogen und verletzt die Ehre der Familie, ist die Mutter schuld daran.
Ich möchte diesen Frauen erklären: Deine Tochter ist nicht dein Eigentum, sondern ein selbstbestimmter Mensch, der dieselben Rechte hat wie dein Sohn. Das gilt auch innerhalb des Glaskastens der muslimischen Community. Frauen sollten auch allein im Café sitzen dürfen, ohne ihre Ehre zu verlieren. Und sie haben auch ein Recht sich ihren Ehemann ohne die „Empfehlung“ der Eltern auszusuchen.
Wer in der Öffentlichkeit stark polarisiert, muss sicherlich auch einiges einstecken. Wie ist das bei Ihnen?
Von einfachen Hate-Mails bis hin zu Morddrohungen ist alles dabei. Wenn man das westliche Patriarchat kritisiert, erntet man viele blöde Kommentare, übrigens auch aus dem linken Spektrum. Das sind Beleidigungen, die körperlich-reduzierend sind. Damit kann ich leben, darüber lache ich.
Haben Sie schon mal daran gedacht, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen?
Bis vor kurzem hatte ich nur Verantwortung für mich, jetzt habe ich die auch für meine Tochter. Da haben mir die Drohungen teilweise die Kehle zugeschnürt. Ich kann mich aber nicht zurücknehmen. Gerade als Frau sehe ich mich dazu verpflichtet, den Weg in eine bessere, gleichgestellte Gesellschaft vorzubereiten, in der Frauen selbstbestimmt leben können. Wenn ich nicht dazu bereit bin, das Geringste zu tun, wie kann ich das dann von anderen Menschen erwarten?
Zur Person: Zana Ramadani
Zana Ramadani kam 1991 mit ihrer Familie als Siebenjährige aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland.
Sie wuchs in Siegen-Wilnsdorf in einer muslimischen Familie auf. Wegen anhaltender Auseinandersetzungen mit ihrer Mutter ging sie im Alter von 18 Jahren in ein Frauenhaus.
Ramadani war Vorsitzende der Jungen Union in Wilnsdorf. Bis heute ist Sie CDU-Mitglied.
Aus beruflichen Gründen zog Ramadani, gelernte Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte, 2014 nach Berlin.
Im Sommer 2012 gründete sie den deutschen „Femen“-Ableger der „Femen“-Gruppe. Knapp zweieinhalb Jahre später verließ sie die Gruppierung.
Die Bestsellerautorin veröffentlichte 2017 mit „Die verschleierte Gefahr. Die Macht der muslimischen Mütter und der Toleranzwahn der Deutschen“ ihr erstes Buch.
2018 brachte sie mit „Sexismus: Über Männer, Macht und #Frauen“ ihr zweites Buch heraus.
Außerdem dreht sie Reportagen und Dokumentarfilme und hält Vorträge. Workshops bietet sie ebenfalls an.
Ramadani ist Mutter einer kleinen Tochter.