"Hier ist meine Heimat. Hier will ich sterben."

Rüdiger (54) lebt seit vier Wochen im Elisabeth-Hospiz in Altenhundem


Rüdiger in seinem Reich: Fotos und Autogrammkarten von Tom Astor schmücken die Wand über seinem Bett, mittendrin ein "Sauerland-Schild". von s: Kerstin Sauer
Rüdiger in seinem Reich: Fotos und Autogrammkarten von Tom Astor schmücken die Wand über seinem Bett, mittendrin ein "Sauerland-Schild". © s: Kerstin Sauer

„Das war mein größter Wunsch: Zurück ins Sauerland zu ziehen. Und hier zu sterben.“ Rüdiger wurde in Essen geboren, wuchs aber im Sauerland auf. Hier liegen seine Wurzeln, sagt er. Hier ist seine Heimat. Und hier will er im St.-Elisabeth-Hospiz in Altenhundem seine letzten Lebenstage verbringen.


„Hallo, ich bin der Rüdiger. Einfach nur Rüdiger.“ Offen, freundlich, vielleicht etwas angespannt wirkt Rüdiger bei der Begrüßung. Er öffnet die Tür zu seinem kleinen Reich: „Hier wohne ich“, sagt der 54-Jährige mit einer ausholenden Armbewegung. Auf dem Schränkchen links steht eine kleine Stereoanlage, flankiert von Trucks im Miniformat. Geradeaus ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen, eine Weihnachtskarte lugt unter dem Papierstapel hervor. Rechts an der Wand reihen sich 70 CDs aneinander, „hauptsächlich Country-Musik“, sagt Rüdiger. Daneben das schmale Bett, die Bettwäsche bezogen mit schwarz-gelber BVB-Garnitur. „Ich mag den BVB“, sagt Rüdiger, fügt aber sofort hinzu „Tom Astor mag ich mehr“ und zeigt auf die Riesen-Sammlung von Autogrammkarten mit persönlicher Widmung, die die Wand zieren. Mittendrin: Ein „Sauerland“-Schild.
Rüdiger hat Magenkrebs. Er weiß, dass er sterben wird. Doch was derzeit für ihn zählt, ist das Leben. Mit Stolz trägt er den Tom-Astor-Hut, ein Gürtel mit einer großen Truck-Schnalle hält die Hose um den dünnen Körper. Leicht nach vorne gebeugt sitzt der 54-Jährige auf seinem Stuhl, als er zu erzählen beginnt: „Im Krankenhaus habe ich meine Diagnose bekommen. Der Arzt hat sich daraufhin mit mir zusammengesetzt und mir Vorschläge gemacht: Weil ich alleinstehend bin, legte er mir ein Hospiz nahe.“
Schwerer Schritt
Und da Rüdiger immer den Wunsch hatte, zurück ins Sauerland zu ziehen, stellte er sich im Elisabeth-Hospiz in Altenhundem vor. Doch der Schritt über die Türschwelle, so erinnert er sich, war schwer: „Ich dachte auf einmal: Will ich das überhaupt? Alles aufgeben und hier einziehen?“ Mehr als eine Stunde sprach er mit Einrichtungsleiterin Monika Kramer. Und plötzlich, so sagt er und streckt beide Daumen in die Höhe, „war alles klar: Hier möchte ich hin und hier will ich sterben.“ Und nach einem kurzen Zögern fügt er leise hinzu: „Da, wo ich mich wohlfühle. Da, wo meine Heimat ist. Ich will im Sauerland sterben.“
Rüdiger wirkt nicht verzweifelt. Ängstlich. Im Gegenteilt: Als er von seinem Tagesablauf berichtet, wird er lebhaft: „Nach dem Aufstehen genieße ich erstmal meinen Kaffee“, sagt er und deutet auf die kleine Kaffeemaschine auf dem Schränkchen. „Dann mache ich hier meinen Rundgang: Jeden Morgen zünde ich in der Kapelle eine Kerze an und danke, dass ich den Tag noch erleben darf.“ Danach geht er in die Gemeinschaftsküche und frühstückt mit den Mitarbeitern, bevor er sich wetterfest anzieht und raus geht: „Ich bewege mich gerne. Gehe gerne in den Wald, mit meinem Fernrohr, oder auch mal in den Ort.“ Gelegentlich besucht er auch die Senioren im Josefinum, das eine Etage unter dem Hospiz liegt.
Bis auf einige wenige Sätze vermeidet Rüdiger das Thema Tod. Widmet sich lieber seinem größten Hobby: Country-Sänger Tom Astor und seiner Musik. „Seit mehr als 30 Jahren bin ich ein Fan von ihm“, erzählt er und deutet auf die Autogramme, die über seinem Bett hängen. „Das ist mein erstes“, sagt er und zeigt auf ein Foto mit dem jungen Tom Astor. „Und das“, Rüdigers Augen leuchten, als er auf ein weiteres Autogramm zeigt, „ist mein neuestes: Das hat Tom Astor mir letzte Woche zugeschickt“.
Tom Astor am Telefon
Das Grinsen will nicht mehr von seinem schmalen Gesicht weichen. Am Sonntag, 13. Dezember, so erzählt Rüdiger, habe auf einmal sein Telefon geklingelt. „Wer ist denn da“, habe er gefragt. Die simple Antwort: „Hier ist Tom Astor!“ Mehr als eine halbe Stunde telefonierte Rüdiger mit seinem Idol. Erzählte, wie es ihm geht, stellte und beantwortete Fragen. Eine Überraschung, die die Mitarbeiter des Hospizes organisiert hatten. Ihnen hat Rüdiger es also auch zu verdanken, dass Tom Astor, mit bürgerlichem Namen Wilhelm Bräutigam aus Schmallenberg, ihm eine Weihnachts-CD, das Autogramm und einen Button schickte. „Ich bin gesprungen wie ein kleines Kind“, sagt Rüdiger und strahlt übers ganze Gesicht.
"Schmerzen verdränge ich"
Überhaupt: Der 54-Jährige lacht viel. Sagt: „Mir geht es hier sehr gut. Psychisch bin ich bei 90 Prozent, körperlich bei 60 Prozent.“ Klar habe er Schmerzen. „Aber die verdränge ich. Das kann ich hier sehr gut.“ Denn im Elisabeth-Hospiz fühlt er sich wohl. „Ich bin seit vier Wochen hier“, sagt er, „und ich bereue keinen Tag.“ Im Gegenteil: Mit Blick auf die Mitarbeiter, die für ihn da sind, sich kümmern und ihm zuhören, betont er leise: „Ich kann nur Danke sagen.“
Sein größter Wunsch? Der 54-Jährige überlegt nicht lange. „Ich möchte meinen Geburtstag im April erleben. Und zwei Wochen danach auf ein Tom-Astor-Konzert in Elspe.“ Die Karte dafür hängt schon an seiner Wand. Krankenschwester Gabi Hohmann wirft einen Blick darauf. Lächelt. Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude.
Leben und Sterben im Hospiz
• Das Wort Hospiz kommt aus dem lateinischen und bedeutet „Herberge“. Hospiz waren im Mittelalter Gasthäuser, die Pilgern Gastfreundschaft boten. Daher werden die Patienten im Hospiz „Gäste“ genannt. • Die Hospizarbeit beruht auf vier Säulen: die palliativpflegerische, die palliativmedizinische, die psychosoziale Begleitung und die religiös/spirituelle Komponente. • Ziel der Hospizarbeit ist es, die Lebensqualität der Gäste zu verbessern. Daher ist es ein Hauptanliegen Symptomen vorzubeugen und sie zu lindern (Schmerztherapie, Symptomkontrolle). • Das Hospiz hat sechs Einzelzimmer, die der Gast jeweils nach seinen Wünschen gestalten kann; alle anderen Räume wie die Küche und das Wohnzimmer sind Gemeinschaftsräume. • Die Verweildauer der Gäste im Hospiz ist unterschiedlich, von wenigen Tagen bis vielen Monaten. Die meisten Gäste versterben im Hospiz. • Seinen Abschied kann der Gast selbst gestalten: Wünsche in Bezug auf z.B. Kleidung, Verabschiedungsfeier, Beerdigung und Ablauf werden berücksichtigt. • Verstirbt der Gast im Hospiz, wird er in seinem Zimmer gewaschen und angekleidet, das Zimmer wird zur Verabschiedung hergerichtet, Kerzen werden angezündet. Ein bis zwei Tage haben die Angehörigen Zeit, sich hier, wo der Verstorbene seine letzten Wochen verbracht hat, zu verabschieden. • Auch das Mitarbeiterteam nimmt Abschied. Gemeinsam wurden Abschieds- und Trauerrituale entwickelt, um mit der Situation umzugehen. „Das Sterben ist niemals gleich, denn jeder Gast ist einzigartig und wertvoll“, sagt Hospizleiterin Monika Kramer. Und Krankenschwester Gabi Hohmann fügt hinzu: „Mein Vorsatz ist: Mach jeden Tag zum besten Tag – ohne Schmerzen, ohne Beschwerden, mit vielen guten Momenten.“
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