Fassungslos im freien Fall
Selbstversuch: Tandem-Fallschirmsprung aus 3000 Metern Höhe
- Kreis Olpe, 15.06.2017
- Von Sven Prillwitz
Sven Prillwitz
Redaktion
Schmallenberg/Kreis Olpe. Ich hatte es schon seit einigen Jahren vorgehabt, aber nie die Zeit für einen Tandem-Fallschirmsprung gefunden. Vielleicht konnte ich mich auch einfach nicht überwinden. Und dann, Anfang Mai, kam zufällig der Kontakt zum Fallschirmsportclub Sauerland zustande, dessen Mitglieder am Flugplatz Rennefeld in Schmallenberg (Hochsauerlandkreis) ihrem Extrem-Hobby nachgehen und teilweise aus dem Kreis Olpe kommen. Damit war für mich klar: Jetzt gibt´s kein Zurück mehr. Auf zum Selbstversuch.
Der freie Fall aus 3000 Metern Höhe fühlt sich wie ein Sturz ins Nichts an, vor allem aber völlig unwirklich. Kein Platz für Panik. Während der Wind brüllt und wir im Höllentempo auf die Erde zurasen, arbeitet mein von Emotionen und Eindrücken völlig überlastetes Gehirn in Zeitlupe. Oder im Zeitraffer. Irgendwo tief in mir drin und gleichzeitig so weit weg spüre ich einen sonderbaren Mix aus Leichtigkeit und Euphorie, Distanziertheit und Fassungslosigkeit.
Danach geht´s in der Horizontalen weiter, Blickrichtung nach unten. Unsere Fallgeschwindigkeit erhöht sich in der Beschleunigungsphase von anfangs 120 auf konstante 200 Stundenkilometer. Eigentlich wären es sogar 300 km/h, aber der Bremsschirm, den Denis nach drei Sekunden geöffnet hat, verlangsamt unseren Fall. Zahlen und Fakten, die für mich in diesem Moment überhaupt nicht existieren.
Ein kurzer, ganz kurzer Moment der Klarheit. Das haben mir die Jungs vorher im Flieger noch mehrfach eingebläut: Lächeln! Das kriege ich hin, zeige sogar mit beiden Daumen nach oben. Dann drückt Denis meine Hände nach unten, ich kralle mich wieder ins Gurtzeug. Der Sturz gen Erde geht weiter, das Gefühl des Unwirklichen übernimmt wieder die Kontrolle.
20 bis 30 Mal hat Denis es in seinen 15 Jahren als Tandemmaster mit über 1000 begleiteten Sprüngen schon erlebt, dass sich seine Passagiere im freien Fall übergeben haben. Heute bleibt er davon verschont. Dafür fällt mein Hohlkreuz ziemlich flach aus.
In Denis´ Statistik tauchen auch „acht bis zehn“ Leute auf, die sich in letzter Sekunde entschieden haben, nicht springen zu wollen. Einer davon habe an Bord des Flugzeugs festgestellt, dass er Flugangst hat. „Die anderen wurden kreidebleich, haben sich verkrampft und beim Rausgehen gesperrt“, erzählt Denis. Abbruch, im Flugzeug zurück auf die Erde. Sicherheit geht vor.
„Weil ich ein anderes Leben vor den Bauch geschnallt habe“, wie Denis sagt. Weil jeder Passagier im Flug unberechenbar sei, erklärt mir Kevin Kleibrink, ein weiterer Tandemmaster. Idealerweise soll man deshalb die Hände am Gurt lassen und auf Kommandos warten. Manch einer greife aber schon mal instinktiv und aus Panik hinter sich. Nach irgendetwas, woran man sich festhalten könnte. „Dann kann´s brenzlig werden“, sagt Kevin. Hin und wieder fallen Passagiere sogar in Ohnmacht.
Alles Szenarien, auf die Tandemmaster in einer „ziemlich harten“, Hunderte Stunden Theorie, Praxis und mehr als 500 Sprünge umfassenden Ausbildung vorbereitet werden, sagt Kevin. Jeder Tandemsprung sei Routine, aber eben auch jedes Mal und mit jedem Passagier anders.
Dann setzt das dankenswerte Gefühl des Unwirklichen wieder ein. Und ein Stück weit sogar Gelassenheit. Der Rest ist Schweben, Schauen und Staunen, während Denis den Schirm steuert und wir uns in mal engen, mal weiten Schleifen weiter dem Boden und dem Landeplatz nähern. Nur an diesem Schirm und diesem Gurtzeug hängend. Irgendwie verrückt.
Wie mechanisch ziehe ich auf Denis´ Anweisung die Gurte der Freifallstabilisatoren fest, die sich auf Beckenhöhe befinden. Durch die Stabilisatoren und die Haken im Schulterbereich werden unsere Gurtzeuge verbunden (siehe folgendes Video). So werden unsere Körper im freien Fall eng zusammengehalten. Sobald sich der Fallschirm geöffnet hat, wird Denis die Haken der Stabilisatoren lösen, damit ich vor ihm hängen kann.
Und ich denke daran, wie schnell ich mich als Außenstehender als Teil dieser Gemeinschaft gefühlt habe. Wie schnell ich Vertrauen gefasst habe, während ich immer mal wieder aufkeimende Zweifel und Nervosität bekämpft und den Wind verflucht habe.
Wie in Trance zwänge ich meine Beine durch die enge Luke, blicke fassungslos und gleichzeitig etwas distanziert in die Tiefe – als ob ich durch die Augen eines anderen sehen würde. Jetzt geht´s mit diesem Gefühl der Unwirklichkeit so richtig los. Ist das jetzt Schicksalsergebenheit? Auf jeden Fall auch großes Vertrauen in Denis. Und dann fallen wir auch schon.
Das Video vom Sprung
Ich ziehe die Beine an, so schnell und so hoch ich kann. Unterdrücke den Reflex, mich mit den Füßen abfangen zu wollen. Unsanft setzen wir jeweils auf dem Hintern auf, mir bleibt kurz die Luft weg. Wir rutschen über das Gras, werden langsamer, stoppen. Wir sind unten, es ist vorbei. Adrenalin-Kick! Auf etwas wackligen Beinen stehe ich auf. Grinse, bin voller Euphorie. Wahnsinn! Unfassbar! Zu viel, um es begreifen zu können.
Ob ich es nochmal tun würde? Das weiß ich direkt nach der Landung nicht. Ich muss das alles nämlich erst noch verarbeiten.
Zwei Tage später kriege ich immer noch schweißnasse Hände, wenn ich mir das Foto- und Videomaterial von meinem Tandemsprung anschaue. Gleichzeitig ist da aber auch dieses Kribbeln, die Überlegung, nochmal aus dem Flugzeug zu springen. Damit, das haben mir die Mitglieder des Fallschirmsportclubs vorher augenzwinkernd immer wieder erzählt, sei es damals auch bei ihnen losgegangen.
Zahlen, Fakten und Preise
- Der Fallschirmsportclub Sauerland Schmallenberg bildete sich 1994 aus dem Fallschirmspringer-Club Iserlohn.
- Dem Verein gehören 58 Mitglieder an, darunter 40 aktive Fallschirmspringer und sechs Lehrer. Sechs Piloten befördern die Mitglieder ehrenamtlich in die Luft.
- Seit 2014 ist Ulrich Steinbach aus Altenhundem 1. Vorsitzender.
- Die Mitgliedschaft im Verein kostet 150 Euro pro Jahr. Für jeden Sprung aus 3000 Metern Höhe zahlen Mitglieder 24 Euro, Gastspringer 27 Euro.
- Der Absprung erfolgt bei einem Tandem aus 3000 Metern Höhe.
- Vor einem Tandemsprung (Kosten: 190 Euro) muss der Passagier einen Beförderungsvertrag unterschreiben. Damit versichert er unter anderem, keine Knochenbrüche oder schweren Erkrankungen in den vergangenen zwölf Monaten gehabt zu haben. Im Vereinsheim spricht ein Tandemmaster den Fallschirmsprung mit dem Fluggast durch und übt mit diesem die richtigen Körperhaltungen ein.
- Overall und Gurtzeug stellt der FSC.
- Auf Wunsch kann gegen zusätzliche Kosten ein Video des Sprungs bestellt werden.
- Das Mindestalter für einen Tandemsprung liegt bei circa 12 Jahren.
- Ab einem Gewicht von 90 Kilogramm entscheidet der Tandemmaster, mit welchem Passagier er einen Sprung für möglich hält.
- Der FSC bietet auch die Ausbildung zum Fallschirmspringer an. Voraussetzung dafür ist die Teilnahme an einem zweitägigen Einführungskurs mit Theorie und Praxis; am zweiten Tag steht dabei der erste Alleinsprung aus 1200 bis 1400 Metern Höhe an. Der Fallschirm öffnet sich hierbei automatisch. Aktuell lassen sich sieben Personen ausbilden.