Expertin erklärt Auswirkungen der Corona-Krise auf die menschliche Psyche

Zweiteiliges LokalPlus-Interview


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Im großen LokalPlus-Interview erklärt Gabi Grosche von der Erziehungs-, Familien- und Schulberatung bei Caritas AufWind in Olpe, welche Auswirkungen die Corona-Krise auf die Menschen, besonders auf Familien und Kinder, hat. von privat
Im großen LokalPlus-Interview erklärt Gabi Grosche von der Erziehungs-, Familien- und Schulberatung bei Caritas AufWind in Olpe, welche Auswirkungen die Corona-Krise auf die Menschen, besonders auf Familien und Kinder, hat. © privat

Kreis Olpe. Die Corona-Pandemie hält die ganze Welt in Atem. Eine Krise, die das öffentliche Leben lahm legt, Angst um die Gesundheit gepaart mit Existenzangst und psychischer Belastung durch Isolation – viele Menschen erleben einen Ausnahmezustand, wie sie ihn noch nicht kennengelernt haben. LokalPlus sprach mit Gabi Grosche von der Erziehungs-, Familien- und Schulberatung bei Caritas AufWind in Olpe über die psychischen Auswirkungen dieser Krise auf die Menschen, vor allem auf Familien und Kinder.


Welchen Einfluss hat der momentane Zustand in der Corona-Krise auf die Menschen?

Krisen gehören zum Leben dazu. Sie treten auf, wenn in Situationen mit ungewohnten Anforderungen die Handlungsstrategien (erstmal) fehlen. Dadurch wird eine derartige Situation als unkontrollierbar erlebt. Derzeit sind wir mit einer unbekannten Situation konfrontiert. Wir erleben, gerade wenn wir nach Italien, Spanien oder in Länder wie Venezuela oder Indien schauen, wie leicht wir Menschen verwundbar sind. Die Tatsache, dass wir dabei unseren „Feind“ nicht mit unseren Sinnen wahrnehmen können, erhöht dabei noch zusätzlich die Angst, weil dadurch die Bekämpfung sehr viel schwieriger wird.

Wie reagieren Menschen, wenn sie Angst haben?

In Angstsituationen reagieren die Menschen unterschiedlich, und zwar nach den drei in uns angelegten Prinzipien, mit Gefahr umzugehen. Die einen kämpfen (um jede Rolle Klopapier), die anderen stellen sich tot (erstarren in ihrem Tun und verkriechen sich abwartend, bis die Gefahr vorbei ist) und wieder andere flüchten aus dieser Form von Realität (tun so, als ginge die Gefahr vorüber, wenn man so tut, als sei sie nicht da…und feiern weiter).

Man kann aber jetzt auch schon erkennen, dass die existierenden Ängste auch das Bin­dungs­verhalten der Menschen aktivieren. Da werden die Großeltern, die man vorher nicht allzu oft besucht hat, wieder regelmäßig angerufen. Wir erleben, dass wir von einander abhängig sind und uns gegenseitig brauchen. Dies ist in einer Gesellschaft, die zunehmend Ich-bezogen war, eine für manche neue Erfahrung. Viele versuchen, zu helfen und mit ihren Möglichkeiten dazu beizutragen, dass alle die Krise besser überstehen. 

Familien, die sich oft nur eben zum gemeinsamen Abendessen treffen, verbringen plötzlich Stunden, Tage und Wochen nonstop miteinander. Ist Streit da vorprogrammiert?

Gestresste Menschen neigen eher zu aggressivem Verhalten. Auch fehlt vielen von uns der Ausgleich durch sportliche Aktivitäten oder soziale Kontakte mit Freunden. Gleichzeitig erleben viele Menschen derzeit auch eine Entschleunigung des Alltags. In unserem Familienleben, dass in der Regel durch viele Termine bestimmt ist, kehrt sehr plötzlich eine ungewohnte Ruhe ein. Jetzt stehen wir vor der Herausforderung, diese aufgezwungene Freiheit zu nutzen.

Das wird sicherlich nicht allen gleich gut gelingen, denn in Familien, in denen das Zusam­men­leben  schon vor dem Virus schwierig bis unerträglich war, wird sich dies sicher eher noch verstärken.

Bestimmte familiäre Konstellationen sind dabei besonders gefährdet, z.B. Alleinerziehende, Familien mit geringerem Einkommen, psychisch kranke Eltern, aber auch Familien in Trennungssituationen. Deswegen ist es auch wichtig, dass das Beratungswesen und die Psychotherapeuten auch weiterhin versuchen, ihre Arbeit aufrecht zu erhalten und Hilfe da anzubieten, wo sie notwendig ist.

Mit welchen Schwierigkeiten haben in der aktuellen  Situation besonders die Trennungs- und Scheidungseltern zu kämpfen?

Viele getrennt lebende Eltern stehen nun vor der Frage, wie die Betreuung ihrer Kinder gestaltet werden kann. Generell gilt, dass das Risiko einer Virusinfektion keinen Grund darstellt, den Umgang mit einem Elternteil einzuschränken. Gleichwohl können aber Eltern das Bedürfnis haben, sich selbst oder ein Familienmitglied, bei dem ein erhöhtes Risiko besteht, zu schützen.

Gleichzeitig sollte aber auch anerkannt werden, wie wichtig der Kontakt zu beiden Eltern gerade jetzt für das Kind ist. Trotzdem ist es gerade jetzt wichtig, das Kind und seine Gesundheit, aber auch die eigene nicht aus dem Blick zu verlieren und gemeinsam zu einer Lösung zu finden. So kann es eventuell sinnvoll sein, den Kontakt eher über Medien aufrechtzuerhalten und nach Beendigung der Krisensituation ausgedehntere Kontaktmöglichkeiten zu schaffen. Können Eltern keinen Konsens finden, können sie sich an die Jugendämter oder Beratungsstellen wenden. 

Sehen Sie die Gefahr, dass häusliche Gewalt in diesen schwierigen Zeiten zunehmen könnte?

Leider müssen wir davon ausgehen, dass dies bereits der Fall ist. Menschen, die schon im Rahmen der normalen Alltagsbelastungen dazu neigen, die Kontrolle zu verlieren, werden unter den derzeitigen Bedingungen in ihrem Aggressionspotential noch verstärkt werden. Besonders gefährdet sind  Kinder und Frauen. Deswegen ist es wichtig, dass Frauenhäuser, Jugendämter, Hilfehotlines weiter zur Verfügung stehen.

In Familien in denen eine Gefährdung bereits vorher bekannt wurde und Familienhelfer vom Jugendamt eingesetzt wurden, nehmen  diese auch weiterhin ihren Arbeitsauftrag in der Familie wahr. Aber auch jeder von uns ist aufgerufen, aufmerksam zu bleiben für das, was in seiner Umgebung passiert und wenn nötig einzuschreiten oder Hilfe zu holen.

Lest morgen im zweiten Teil des großen LokalPlus-Interviews: Wie  gehen Kinder und Jugendliche mit der Situation um?
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