Corona in der dunklen Jahreszeit: Doppelte Belastung für die Psyche?

Dr. Andreas Emmerling-Skala im Gespräch


  • Kreis Olpe, 07.11.2020
  • Dies & das
  • Von Kerstin Sauer
    Profilfoto Kerstin Sauer

    Kerstin Sauer

    Redaktion

Topnews
Der November ist bekannt als Beginn der dunklen Jahreszeit: Die Tage werden immer kürzer, es wird kälter und dunkler. Ein Tipp des Experten in dieser Zeit: in schönen Erinnerungen schwelgen und Pläne für die Zeit danach machen. von pixabay
Der November ist bekannt als Beginn der dunklen Jahreszeit: Die Tage werden immer kürzer, es wird kälter und dunkler. Ein Tipp des Experten in dieser Zeit: in schönen Erinnerungen schwelgen und Pläne für die Zeit danach machen. © pixabay

Kreis Olpe. Als „Lockdown light“ bestimmen die neuen Regelungen, die seit Montag, 2. November, gelten, den Alltag auch der Menschen im Kreis Olpe. Doch anders als im März, als der Frühling vor der Tür stand, greifen sie nun im dunklen Monat November. Was bedeutet das für die psychische Gesundheit der Menschen? Wie können wir mit den neuen Auflagen umgehen und gleichzeitig den Mut nicht verlieren? Ein Gespräch mit Andreas Emmerling-Skala, Heilpraktiker für Psychotherapie, aus Altenhundem.


Der November ist der „dunkelste“ Monat im Jahreskreis. Warum schlägt das vielen Menschen auf die Stimmung?

Licht macht wach, unsere innere Uhr wird von der Sonne geeicht. Wie viele Sonnenstunden hat der normale November? Wer je im Sommer in der Nähe des Polarkreises war, der hat erlebt, wie die langen Tage der Stimmung Flügel verleihen, wie viel Energie diese langen Tage geben. So sehr viel anders als Bären oder Eichhörnchen sind wir gar nicht – aber dürfen wir so darauf reagieren wie sie: zurückziehen, Winterruhe halten, etwas länger schlafen? Der Dezember hat die Wintersonnwende, ab der wir spüren, wie es mit den Tagen wieder „aufwärts“ geht. Im November aber geht es nur „abwärts“, dem Ende entgegen, wir gedenken der Toten. Neujahr dagegen ist die Zeit der neuen Vorsätze.

Gibt es Gruppen, die psychisch besonders von diesem zweiten Lockdown zu dieser Jahreszeit betroffen sein könnten?

Das kann ich mir schon vorstellen, aber wem (außer Politikern) hilft solches Wissen im gelebten Leben weiter? Gruppen werden statistisch definiert, doch jeder von uns lebt sein Leben mit einzelnen, mit ganz bestimmten Menschen. Also: Kümmern wir uns um die, die uns nahe stehen oder zu unseren Nächsten werden, mit der ganzen Kraft, die in unseren Herzen ruht. Sprechen wir mit ihnen und nicht über sie.

Wie können die Menschen „gut“ durch diese dunkle Zeit der Einschränkungen kommen?

Gerade in Sorgenzeiten benutzen wir unser Denken, ohne wirklich zu denken, und bleiben in sumpfigen, oft gefühlsgetränkten Gedanken stecken. Dann ist es gut, das Denken einzusammeln: durch Aufschreiben, durch Beten; oft ist dieses Auf-den-Punkt-und-zur-Sprache-bringen auch ein Zur-Ruhe-bringen. Sich danach fragen, was ruhig macht. Die Zeit nicht zerfetzen: Wenn Zeit vorhanden ist, sie am Stück nutzen mit dem Gedanken „ich entscheide mich dafür“: Schon das ist eine Insel selbst bestimmten Lebens. Ich kann auf die Suche gehen nach dem, was mir je gut getan hat, es aufgreifen und meinem jetzigen Leben anpassen. Ich kann mir wohltuende Erinnerungen suchen und erfrischende Pläne. Wenn ich mich in sie versenke, können sie ihre Kraft entfalten, nur darf ich sie nicht durch mein Bewusstsein wischen wie Fotos über den Bildschirm meines Smartphones. Das Denken einsammeln und auf die Probe stellen: Mich fragen, ob das, was mein Denken fesselt, wirklich alles ist, was mein Leben ausmacht. Was ist mir wichtig? Wofür bin ich dankbar? Und es aufschreiben, Tag für Tag. Und aussprechen zu dem hin, mit dem ich lebe, zu der hin, die mir ihre Freundschaft schenkt.

Dr. Andreas Emmerling-Skala. von privat
Dr. Andreas Emmerling-Skala. © privat

Empfanden viele Familien die „Entschleunigung“ im Frühling noch als angenehm, so sind sie jetzt besorgt: Das Wetter wird schlechter, die Tage werden dunkler, man kann nicht mehr viel Zeit im Freien verbringen. Sind da Familienkrisen vorprogrammiert? Gibt es Tipps, wie Streitigkeiten vermieden oder beigelegt werden können?

Ja. Aber anders als Ängste, Sorgen und Depressionen sind Familienkrisen Handlungen. Und wer handelt, könnte auch anders handeln. Es wäre schön, wenn wir in den Zeiten der „Entschleunigung“ gelernt hätten, befriedigend miteinander umzugehen. Auch da hilft das Erinnern: Wieso hat es damals überhaupt geklappt? Was sind die Stimmungen hinter der aktuellen Unzufriedenheit? Ist die Familie nur der Austragungsort eines anderen Ärgers? Andere Krisen sitzen tiefer. Ich jedenfalls erlebe die Corona-Zeit als eine, die Verborgenes sichtbar macht – und Wahrheit gegenüber sich selbst ist der gründlichste Weg zur eigenen psychischen Gesundheit.

Die neuen Regeln sorgen vielerorts nicht für Beruhigung, vielmehr nimmt die Angst vor einer Erkrankung zu, die Menschen werden im Umgang miteinander unsicher und zurückhaltend. Glauben Sie, dass irgendwann wieder eine Rückkehr zu einem „normalen“ Miteinander möglich ist?

Die Regeln sollen auch gar nicht beruhigen, sie sollen Verhalten ordnen. Ich kann Vorsicht walten lassen, ohne unsicher zu sein. Ich meine es ernst mit diesem Ausdruck: Vorsicht walten lassen ist eine Art bewussten Handelns: Ich bin nicht ausgeliefert, ich weiß, was ich mache und fühle mich gut dabei, weil ich meine Verantwortung mir gegenüber und meinen Nächsten gegenüber wahrnehme. In den aufgewühlten Sorgen um körperliche Gesundheit und wirtschaftliche Existenz glimmt Todesangst. Bei den meisten funktioniert die Verdrängung der Angst vor dem Tod ganz gut, das ist auch ein Stück psychischer Gesundheit, oft jedenfalls. Aber jetzt gilt eben doch der Satz: Bedenke den Tod, auf dass du klug wirst. Ich weiß nicht, ob ich mir ein „normales“ Miteinander für die Zukunft wirklich wünschen soll. Ich denke an die Schwaden von Neid, Missgunst, Gier, Rechthaberei, Eitelkeit und Eifersucht, die über unser Land ziehen. Ich würde mir einen bewussteren Umgang miteinander wünschen: Zu wissen, dass der Andere, der mir nahe kommt, ein Geschenk ist und ein Geschenk auf Zeit. 


Artikel teilen: