Christoph Lütticke: Neue Wege bei Nachwuchs-Rekrutierung

Kreisbrandmeister erklärt die Vereinbarkeit der vier Fs


  • Kreis Olpe, 23.11.2016
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  • Von Rüdiger Kahlke
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 von Nils Dinkel
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Kreis Olpe. Nachwuchs-Sorgen, abnehmende Tagesverfügbarkeit, Konkurrenz zu Ganztagsschulen, Vereinen und anderen Freizeitangeboten. Zudem sind die Menschen mobiler geworden, wollen sich weniger binden. Das geht auch zu Lasten der Feuerwehren. 175 Jahre nach Gründung der ersten freiwilligen Feuerwehren in Deutschland steht für die Verantwortlichen die Sicherung der Einsatzfähigkeit auf der Agenda. Der Kreis Olpe ist dabei laut Kreisbrandmeister Christoph Lütticke so etwas wie eine Insel der Seligen. Das Interview zum Abschluss der großen Feuerwehr-Serie von LokalPlus.


Herr Lütticke, 175 nach Gründung der ersten freiwilligen Feuerwehren in Deutschland stellt sich die Frage, ob diese Organisationsform noch zeitgemäß ist.

Zum Teil ja, zum Teil nein. Es gibt ja das Projekt des Ministeriums für Inneres und Kommunales und des Verbands der Feuerwehren "Feuerwehrensache", in dem, ich sag´ es mal so, die Organisations-Kultur überprüft wird, weil es schon sehr beamtenmäßig nach speziellen Voraussetzungen geht. Quereinstieg ist kaum möglich. Von daher ist es auch dort ein großes Thema. Unter anderem geht es um die Aufnahme von Kindern in die Feuerwehr, in Kinderfeuerwehren ab sechs, nicht unter dem Aspekt Konkurrenz zu anderen Vereinen oder Organisationen, sondern darum, die Kinder frühzeitig ´ranzubringen.

Es wird auch darüber nachgedacht, wie man den Einstieg in die Feuerwehr einfacher gestalten kann. Das neue Katastrophenschutzgesetz ist ja jetzt auch darauf eingegangen, dass auch Personal in die Feuerwehr kann, das keinen Einsatzdienst macht. Sie kommen also ins Feuerwehrhaus und können während des Einsatzes andere Tätigkeiten übernehmen - bis hin zum Brötchenschmieren.

Oder wie ich mit auch gut vorstellen kann: Kinderbetreuung. Aufgrund der Elternzeit, die auch – Gott sei Dank - jetzt einige Männer machen, die, wenn sie tagsüber zuhause sind, vor der Frage stehen, wenn es denn zum Einsatz kommt: Wohin mit dem Kind? Das heißt, dass auch ältere, ehemalige Feuerwehrangehörige, die Aufgabe in dieser Zeit übernehmen können.

Grundsätzlich aber Freiwillige Feuerwehr ja, weil Berufsfeuerwehr oder hauptamtlicher Dienst nicht zu bezahlen ist?

Ja. Man muss sich ja überlegen, welche Kommune es sich noch leisten kann, jetzt eine Berufsfeuerwehr oder eine hauptamtliche Wache zu unterhalten. Es geht ja nicht um Gerätschaften, Material oder das Haus. Es geht ja ums Personal. Dies ist finanziell nicht zu stemmen. Unsere Tagesverfügbarkeit im Kreis Olpe ist noch relativ gut, dass wir darauf noch verzichten können. Ich bezeichne mich ja immer als den glücklichsten Kreisbrandmeister, weil er keine hauptamtliche Wache hat. Wir haben uns bei den Mitgliederzahlen nicht immens gesteigert, aber immer wieder sind wir nach oben gegangen.
 von Rüdiger Kahlke
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Wieso ist das im Kreis Olpe so günstig, während es woanders eng wird?

Wenn man mal in die Jugendfeuerwehren schaut, da sind wenige Kids oder Jugendliche drin, die keinen Bezug zu einem Feuerwehrangehörigen haben. Den Vorteil haben wir. Bei uns ist es noch attraktiv. Viele bringen ihre Verwandten mit.

Nachwuchsmangel scheint ja im Kreis nicht das große Problem zu sein?

Wir liegen schon seit 2004 immer über 400 bei den aktiven Mitgliedern der Jugendfeuerwehr. Aktuell liegen wir bei 427, ein leichter Rückgang in letzter Zeit. Das liegt aber auch daran, wer gerade in die aktive Wehr übergegangen ist. Im Moment können wir noch auf Holz klopfen und sagen: Wir liegen da sehr gut. Ich sehe allerdings das Problem, dass auch der Konkurrenzdruck größer wird. Die Sportvereine, die uns auch die Kinder wegnehmen und die Ganztagsschulen. Drei ganze Tage sind die Kinder auch in der Schule. Allerdings da gibt es auch einen Ansatz. Die Stadt Olpe ist da mit im Boot und geht auch in die Schulen und macht Unterricht. Das kommt hervorragend an.

Bei der freiwilligen Feuerwehr muss das alles noch nebenbei passieren, neben dem normalen Dienst. Das ist ein guter Aufhänger, nicht nur um den Jugendlichen etwas beizubringen, sondern auch zu sagen: Hoppla, das ist ja doch interessant bei der Feuerwehr. Denn nur mit den roten Autos holen wir keinen mehr hinterm Tisch weg.
Mögliches Modell: Flüchtlinge in der Feuerwehr
 Ist die Rekrutierung von Frauen oder jetzt aktuell auch von Flüchtlingen und Asylbewerbern ein Weg, um die Einsatzstärken zu gewährleisten?

Personalgewinnung von Menschen mit Migrationshintergrund war immer schon ein Thema. Wenn die Sprachbarrieren aufgehoben sind und das Verständnis für Feuerwehr da ist, ist das sicher kein Problem. Häufig besteht eine große Distanz, weil Uniform getragen wird. Die haben eine ganz andere Einstellung zu Uniformträgern aufgrund ihrer Erfahrung mit dem Krieg. Da müssen sicher noch einige Barrieren abgebaut werden. Mit Sicherheit machbar. Man muss sie einfach an die Hand nehmen. Im Rahmen der Flüchtlingsintegration, die von vielen Ehrenamtlichen geschultert wird, ist das wahrscheinlich einfacher, sie jetzt mitzunehmen.

Was muss passieren, damit die freiwilligen Feuerwehren einsatzfähig bleiben?

Das ist ein ganz großes Thema. Wir haben im Kreis dazu eine Arbeitsgruppe „Feuerwehr der Zukunft" gebildet. Da werden auch die Themen der Tagesverfügbarkeit, Mobilität der Mitglieder der Feuerwehren angesprochen. Es geht dabei um die Vereinbarkeit der vier "Fs": Familie, Firma,  Feuerwehr und Freizeit. Wenn das in Einklang gebracht werden kann, hätten wir auch kein Problem mit der Tagesverfügbarkeit. Die Familie muss mitmachen, das heißt, auch die müssen wir als Führungskräfte mitnehmen. Als ich zur Feuerwehr kam, wurde sonntags geübt und um elf Uhr kam das Bier auf den Tisch. Da wird mancher Sonntag in den Familien kaputt gewesen sein. Das wäre heute undenkbar. Da hätten wir heute keine Leute mehr in der Feuerwehr.

Ja, und die Arbeitgeber müssen mitspielen. Auch das ist ein großes Thema. Im einfachen Handwerk ist es noch überschaubar, aber auch da wird es eng, wenn jemand zum dritten Mal in der Woche rausgefahren ist. Auch da müssen Anreize geschaffen werden. Beim Projekt „Feuerwehrensache" gibt es einen Arbeitgeber-Tisch. Auch da gibt es Ideen und Ansprachen, dass ich sich das verbessert. Aus- und Fortbildungen müssen immer lange im Voraus geplant werden. Es gibt häufig kurzfristige Absagen, weil der Arbeitgeber sagt, im Moment geht es nicht. Das ist schon schwieriger geworden. Auch das Freizeitverhalten hat sich geändert. Man ist mobiler geworden. Wir verschließen nicht die Augen davor.  Man macht da schon was für die Feuerwehr-Angehörigen, um sie auch dabei zu halten. Es geht nur gemeinsam: Wenn ich Feuerwehr mache, muss auch die Freizeit stimmen.

Wenn Sie sich etwas wünschen könnten, wäre das...

... dass es in der Feuerwehr-Familie so bleibt, wie es ist, weil ich feststelle, dass der Grundkonsens, also auch das menschliche Miteinander, gut funktioniert und die Feuerwehr eine große Familie ist, in der man sich auch noch unterstützt und wo Werte etwas gelten.
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