Christoph Becker äußert sich zur Coronasituation bei der Caritas

Interview


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 von Caritas
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Kreis Olpe. Nachdem am Mittwoch, 8. April, bestätigt worden ist, dass bei der Caritas 1.000 Coronatest angeordnet wurden, bezieht Caritas-Geschäftsführer Christoph Becker nun Stellung zur aktuelle Situation:


Herr Becker, im Moment sieht es so aus, dass im Kreis Olpe nur Caritas-Einrichtungen von Corona betroffen sind. Wie ist der Stand?

Alle Menschen im Kreis Olpe sind von Corona betroffen. Richtig ist nach unserem Kenntnisstand, dass bisher nur Reihentests in Caritas-Einrichtungen durchgeführt wurden und es dort einen Anteil von positiv getesteten „Kunden“ und Mitarbeitenden gibt. Diese Reihentests sind durchgeführt worden, wenn eine Person zuvor positiv getestet wurde. Das waren Menschen, die ins Krankenhaus eingeliefert wurden und dann nach Symptomen getestet wurden, Menschen, die zu Hause mit unserer Unterstützung gepflegt wurden und natürlich auch Mitarbeitende, die bei sich Symptome festgestellt haben. Bei positivem Testergebnis ist dann die ganze Einrichtung getestet worden, das ist von uns ausdrücklich gewollt und gefordert und wurde vom Gesundheitsamt festgelegt.  
Große Anzahl könnte eine Rolle spielen
Nochmals genauer: Was ist Ihre Erklärung, warum nur Caritas-Einrichtungen betroffen sind?

Alle Fachleute sind sich sicher, dass es eine ganz hohe Dunkelziffer gibt. Das bedeutet, dass auch in anderen sozialen Einrichtungen Menschen tätig sind oder betreut werden, die Corona-positiv sind. Es ist nur dann bisher einfach nicht festgestellt worden, weil keine Person infiziert wurde, die Symptome gezeigt hat und dann getestet wurde.

Dazu kommt, dass der Caritasverband mit 60 Einrichtungen im Kreis Olpe rein statistisch kaum eine Chance hat, nicht als erste Organisation betroffen zu sein. Keine andere Organisation betreut diese Anzahl von Menschen. Unsere Einrichtungen sind voll und der Bedarf steigt.
Spaziergänge außerhalb der Einrichtung
Noch dazu stellen wir vorläufig fest, dass zwei unserer Innenstadthäuser betroffen sind, das Seniorenhaus Gerberweg in Olpe und St. Liborius in Attendorn. Einige der dort lebenden Menschen haben die Möglichkeiten zu Spaziergängen außerhalb der Einrichtungen genutzt. Vor drei oder vier Wochen haben wir uns alle noch anders verhalten. Betroffen sind außerdem zwei unserer Wohnhäuser für Menschen mit Behinderungen. Jeder, der einen Familienangehörigen mit geistiger Behinderung hat, weiß wie herausfordernd das Verhalten sein kann und wie schwierig es ist, alleine in den Einrichtungen den sozialen Kontakt untereinander zu verhindern.

Nicht zuletzt stammt der allergrößte Teil unserer Mitarbeitenden aus dem Kreis Olpe, lebt und arbeitet hier. 90 Prozent sind Frauen, die sich statistisch auch besonders „sozial“ engagieren: im Beruf, im Ehrenamt, in der eigenen Familie. Das ist Realität. Diese Realität bedeutet Nähe, Nähe bedeutet ein erhöhtes Ansteckungsrisiko. 
Bereitschaft wird benötigt
Was bedeutet die Situation für die Caritas-Mitarbeitenden?

Wir haben es mit Extremen zu tun: Es gibt behördlich geschlossene Caritas-Einrichtungen, wo Kollegen jetzt in Kurzarbeit gehen werden. Das ist aber die absolute Ausnahme. Im Grunde brauchen wir gerade jetzt Jeden: Es gibt viele Bereiche, wo Teams mit erheblichen Personalausfällen zu tun haben und kaum wissen, wie sie den Dienstplan abdecken sollen. Wir wissen auch, dass wir trotz scheinbar leicht sinkender Zunahme von Coronafällen insgesamt in vielen unserer Bereiche vor Ort erst am Anfang stehen. Was wir jetzt brauchen, ist die Bereitschaft auch in anderen Bereichen mit einzuspringen, auch im Umgang mit coronainfizierten Kunden.

Wie reagieren die Menschen, insbesondere ältere Menschen, die Sie betreuen?

Wir spüren, wie Isolations- und Abschirmmaßnahmen unsere Bewohner und Patienten, Familien und Betreute belasten und zu teilweise heftigen Reaktionen führen, aber auch mit welcher Geduld viele Menschen diese Situation aushalten. Das tut weh und beeindruckt zugleich. Die neuesten Verordnungen verschärfen dies für uns noch in einer Zeit, wo in Teilen der Gesellschaft schon wieder Forderungen nach Lockerung laut werden.
Mitarbeiter engagieren sich extrem
Wir bekommen auch Nachfragen und vereinzelt Kritik, vielleicht aus direkter Betroffenheit und Ohnmacht. Dass Menschen jetzt Sorge haben um sich selbst oder um ihre Angehörigen, ist verständlich. Das kann und darf auch zu Absagen von Aufträgen führen, das müssen und können wir akzeptieren. Auch, wenn es nicht gerecht ist: Menschen äußern in ihrer Not und Verzweiflung vielleicht auch mal Dinge, die unangemessen sind. Wenn ich etwas verteidige, dann unsere Mitarbeitenden, die sich extrem engagieren. Das wird auch anerkannt. Das tut gut und motiviert immer wieder aufs Neue.

Alle beklagen sich über den Mangel an Schutzausrüstung wie Masken und Mundschutz? Wie ist das bei Ihnen?

Wir haben das Material, aber es war und ist mühsam und sehr teuer in der Beschaffung. Es gibt Menschen und Firmen, die uns mit Rat und Tat, mit Material und Hilfe unterstützen, andere versuchen, das große Geschäft zu machen oder lassen uns nach Zusagen im Stich. Beides ist offensichtlich menschlich, auch das ist eine Erfahrung.

Wir haben zentral und im Verbund mit unserer Caritas-Einkaufsgenossenschaft und lokalen Akteuren große Mengen an Schutzausrüstung geordert. Nicht immer sind die Lieferfristen nach unseren Vorstellungen, wir sind jedoch jetzt gut gerüstet und erwarten aktuell auch noch größere Mengen. Aus Solidarität haben wir natürlich auch anderen die Beschaffung von Material angeboten.
Neuer Zusammenhalt
Corona setzt auch Energie frei, hört man. Was kommt bei Ihnen an?

Wir erfahren auch einen neuen Zusammenhalt, kreative Ideen, Improvisationstalent und Energie für neue Lösungen. Gleichzeitig müssen wir auch akzeptieren, wenn Kollegen sagen und empfinden „Ich kann nicht mehr!“ oder auch „Ich will das nicht!“. Jeder Mensch ist anders und das gilt auch für das Maß an Kreativität oder Belastungsfähigkeit. 

Wie ist die Organisation Caritas in Sachen Corona aufgestellt?

Seit März erheben wir täglich alle Zahlen von Verdachtsfällen, Quarantänemaßnahmen, bestätigte Fälle und das natürlich differenziert nach „Kunden“ und „Mitarbeitenden“. Es gibt einen systematischen Austausch mit anderen Caritasverbänden, wir werden von unserem Spitzenverband in Paderborn unterstützt. 

Herausfordernd ist es, die fast täglich neuen Erlasse und Verordnungen umzusetzen, wobei wir mit unseren Maßnahmen oft vor der tatsächlichen rechtlichen Wirkung gehandelt haben. Unsere Führungskräfte sind ansprechbar, wir informieren unsere Mitarbeitenden, auch unser Arbeitskreis „Seelsorge“ ist sehr rührig unterwegs. Wir tun das, was möglich ist und oftmals sehr viel mehr.
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