Adrenalinkick „House Running“: 28 Meter senkrecht in die Tiefe

Selbstversuch in Köln


  • Kreis Olpe, 14.08.2017
  • Von Barbara Sander-Graetz
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    Barbara Sander-Graetz

    Redaktion

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 von Andreas Graetz
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Köln. „Was mache ich hier eigentlich?“ Diese Frage stelle ich mir, während das Adrenalin durch meine Adern schießt. Ich schaue auf meine Schuhe und denke, die hättest du auch mal putzen können. Doch geputzte Schuhe sind gerade mein kleinstes Problem. Ich stehe am Samstag, 12. August, auf dem Dach des Dorint Hotel in Köln und soll jetzt 28 Meter senkrecht die Fassade hinablaufen. „House Running“ nennt sich das. Hätte ich mal meine Klappe gehalten.


Kurz vor meinem letzten runden Geburtstag hatte ich nämlich die Idee gehabt, unbedingt mal mit dem Gesicht nach unten senkrecht und von einem Seil gesichert eine Hausfassade herunterzulaufen. Die Hauswand wird also zum Fußboden. In fröhlicher Runde verkünde ich meiner Familie damals diese waghalsige Idee – und meine Schwägerin merkte sich das. Mein Pech. Zum Geburtstag lag der Gutschein schließlich auf dem Tisch, da und das Grinsen im Gesicht meiner Familie gab es gratis dazu. Vielen Dank!

Zunächst lag der Gutschein auf meinem Schreibtisch. Er fiel mir immer mal wieder in die Hand. Ich müsste einen Termin machen, aber man hat ja immer so viel zu tun. Doch dann nahm ich die Sache in Angriff. Ich buchte für einen Samstagnachmittag im August. Da würde das Wetter sicher gut sein.
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Weit gefehlt. Im Sauerland regnet es wie aus Kübeln, als ich mich auf den Weg ins Rheinland mache. In Köln ist es zum Glück weniger nass. Mein Mann kommt mit. Er selbst verspürt kein Verlangen, senkrecht eine 28 Meter hohe Hauswand hinunterzugehen. „Manch du mal“, lauten seine aufmunternden Worte.

Ich melde mich in der Lobby des Hotels an. Hier warten schon einige andere Wagemutige auf ihren Weg vom Dach zum Boden. Julia am Empfang drückt mir einen Bogen in die Hand und will wissen, ob das Ganze gefilmt werden soll. Klar, wenn ich das schon mache, muss es auch dokumentiert werden.
Flott und sicher oder zögerlich
Wir haben noch etwas Zeit und  schauen draußen vor dem Hotel zu, wie andere ihr „House Running“-Erlebnis meistern. Manche sind richtig flott und sicher unterwegs, andere zögern.

Dann ist es soweit. In der Lobby bekommen wir die Gurte angeschnallt und überprüfen nochmals, dass unsere Hosen- und Jackentaschen leer sind. „Nicht dass jemand unten von Gegenständen getroffen wird, und auch Handys überleben den Sturz nicht“, erklären die beiden Frauen, die uns anschließend zum Dach begleiten.
Der Startpunkt und die „Ein-Prozent-Regel“
Hier oben ist es ganz schön windig und viel höher als es von unten aussieht. Doch es gibt jetzt kein Zurück. Den Dom im Nacken, geht es zum Startpunkt. „Rund ein Prozent brechen hier oben ab“, erklärt mir Mitarbeiter Thorsten. Das Prozent will ich auf keinen Fall sein.

Vor mir verschwinden ein junger Mann und anschließend seine Freundin über die Dachkante. „Sie sind so das klassische Alter“, erzählt er weiter. „Das machen meistens Menschen zwischen 20 und 30 Jahren.“ Na toll, da falle ich aber weit aus der Zielgruppe. „Oder es wird auch gern zu Junggesellenabschieden geschenkt und Frauen überraschen damit ihre Männer zu Geburtstag oder Weihnachten.“ Tja, oder wie in meinem Fall: Die eigene Familie haut es als kollektiv Geschenk raus.
Mit dem „Tunnel“ geht´s vorwärts
Jetzt bin ich an der Reihe. Keine Chance mehr, zu kneifen. Die Seile werden durch die Karabinerhaken gezogen. Meine Absicherung. Der Mann neben mir – seinen Namen vergesse ich in der Aufregung – erklärt mir, was ich zu tun habe, worauf ich achten muss. Ich habe dicke Schweißerhandschuhe an. „Wenn du die zumachst, bleibst du stehen. Wenn du mit deinen Händen einen Tunnel bildest, geht es voran. Die Geschwindigkeit bestimmst du.“
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Adrenalinkick „House Running“: 28 Meter senkrecht in die Tiefe
Doch bis es so weit ist, muss ich erst einmal den Schritt über die Kante schaffen. Gerade ich, der zu Hause nicht vom Dach auf eine Leiter steigen kann. Und dann ist sie wieder da, die Frage: „Was mache ich hier eigentlich?“ Meine Füße kleben förmlich auf der Plattform, gehen automatisch einen Schritt zurück. „Ich kann das nicht“, denke ich.
„Tarzan“ als Fixpunkt
Doch das ist für das Team nichts Neues. Man spricht mir Mut zu. Ein Mädchen legt ihre Hand auf meinen Rücken und sagt: „Mach´ den ersten Schritt.“ Ich schaue in die Ferne, sehe ein Plakat, das für das Musical „Tarzan“ wirbt. Das möchte ich ganz bestimmt nicht sehen. Aber immerhin eignet sich das Plakat als Fixpunkt, damit ich nicht zu Boden schauen muss, und beuge mich vor. Endlich sehe ich die Hauswand. Bis dato sah es nach freiem Fall aus. Mein Körper spendiert mir nochmals eine große Portion Adrenalin, und ich mache einen Schritt über die Kante. 

Ich strecke dein Körper und die Beine durch, schaue nach unten und gehe los. Meine ersten Schritte sind wie die eines Roboters. Ich halte das Seil fest und komme damit nicht von der Stelle. Aber ich muss für den Film – mein „House Running“-Debüt wird ja schließlich gefilmt – nochmal über meine Schulter schauen. Und dann geht es los. Ich habe verstanden, dass das Seil zu mir ziehen muss, um vorwärts zu kommen – oder in diesem Fall abwärts.
Wie Neil Armstrong
Anfangs gehe ich langsam und hölzern. Doch dann werde ich mutiger. Dopamin hat sich breit gemacht in meinem Kopf, und jetzt genieße ich das „House Running“. Auf halber Strecke springe sogar ein paarmal von der Hauswand ab. So muss es sich angefühlt haben, als Neil Armstrong auf dem Mond ging. Jetzt sind mir 28 Meter eigentlich zu kurz. Unter angekommen, könnte ich sofort nochmal rauf und wieder runter laufen.

Das Grinsen in meinem Gesicht verliere ich auch die nächste Stunde nicht. „House Running“ ist ein echter Kick, und ich bin sicher nicht das letzte Mal dabei gewesen. Danke, liebe Familie!
 von Andreas Graetz
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