2,6 Millionen Kinder kommen mit Alkoholmissbrauch der Eltern in Berührung

Interview mit Verena Stamm


  • Kreis Olpe, 30.11.2022
  • Verschiedenes
  • Von Christine Schmidt
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Verena Stamm ist Suchtpräventionskraft bei Caritas-AufWind Wenden. von Caritas
Verena Stamm ist Suchtpräventionskraft bei Caritas-AufWind Wenden. © Caritas

Kreis Olpe. Die Aktionstage „Sucht hat immer eine Geschichte“ sind am Donnerstag, 24. November, eröffnet worden. Im Interview erzählt Verena Stamm von Caritas-AufWind, was Außenstehende tun können und wie vor allem Kindern aus suchtbelasteten Familien geholfen werden kann.


Frau Stamm, am 24. November, wurden die Aktionstage zum Thema Sucht eröffnet. Was genau erwarten Sie von der Aktionswoche?

Viele Suchterkrankte leben in Familien und nicht selten gehören zu diesen Familien auch Kinder. Daher haben wir das Thema „Kinder aus suchtbelasteten Lebensgemeinschaften“ als Schwerpunktthema der Aktionstage „Sucht hat immer eine Geschichte“ gesetzt. Kinder, die mit einem suchtkranken Elternteil aufwachsen, sind häufig in vielfältiger Weise und massiv belastet. Sie wachsen in schwierigen Lebensumständen auf, ihre Eltern zeigen ein ungünstiges Erziehungsverhalten und dies führt in vielen Fällen zu negativen Auswirkungen für die Kinder.

Kinder aus suchtbelasteten Familien haben zum Beispiel ein stark erhöhtes Risiko, später selbst Probleme mit Alkohol oder Drogen sowie andere psychische Probleme und Erkrankungen zu entwickeln. Mit den Aktionstagen wollen wir auf die Situation der betroffenen Familien aufmerksam machen, so dass im besten Falle Ressourcen für spezifische Hilfsmöglichkeiten geschaffen und Vernetzung gefördert wird.

Eröffnung der Aktionstage „Sucht hat immer eine Geschichte“ von privat
Eröffnung der Aktionstage „Sucht hat immer eine Geschichte“ © privat

Sie sagen, es gibt bislang nicht genügend Hilfsangebote im Kreis Olpe. Heißt, der Bedarf auch hier auf dem Land ist groß? Was fehlt Ihrer Meinung nach noch?

Leider sind Menschen, die auf dem Land leben, nicht geschützt vor problematischem Konsum oder Sucht. Ich denke, jedem, der sich in seinem Alltag umsieht, wird deutlich, welchen Stellenwert hier bei uns beispielsweise der Konsum von Alkohol hat. In Zahlen heißt das, dass 2,65 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren im Laufe ihres Lebens mit einem Elternteil mit der Diagnose Alkoholmissbrauch oder -abhängigkeit zusammengelebt haben. Das ist jedes sechste Kind in Deutschland.

Hier wird schnell deutlich: Es braucht spezielle Angebote für die betroffenen Erwachsenen, die auch ihre Elternrolle einbeziehen. Es braucht mehr Angebote für die Kinder, um ihre Lebenssituation zu verbessern und sie vor späterem eigenen Suchtverhalten oder psychischer Erkrankung zu schützen. Es braucht stärkende Angebote für Familien allgemein, mit und ohne Suchtbelastung. Es braucht Sensibilisierung für das Thema, Qualifizierung von Fachkräften und last but not least braucht es Netzwerke, um das Thema voran zu bringen. Hier gibt es im Kreis Olpe noch diverse Ansatzpunkte, um die Situation der Betroffenen zu verbessern.

Motivation von außen

Sie helfen, wenn sich Personen mit Suchtproblemen bei Caritas- AufWind melden. Was erleben Sie, wie schwer ist der Schritt zur ersten Kontaktaufnahme?

Nach meiner Erfahrung brauchen viele unserer Klienten viel Zeit und oftmals auch eine gewisse Motivation von außen, um den Schritt machen zu können, sich Hilfe zu suchen. Die Motivation kann aus der Familie kommen, aus dem weiteren sozialen Umfeld, vom Arbeitsplatz oder aus dem medizinischen Bereich. Wobei eine gewisse eigene Erkenntnis dann letztendlich auch wichtig ist, um auch wirklich im Hilfsangebot zu landen.

Oft spielen zuerst Scham und Ängste eine große Rolle auf dem Weg in die Beratungsstelle. Ich habe aber auch immer wieder die große Erleichterung und Dankbarkeit erlebt, wenn Klienten im Schutz der Schweigepflicht vielleicht zum ersten Mal offen über ihre Probleme reden konnten und weiterführende Unterstützung bekommen haben.

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Eröffnung der Aktionstage „Sucht hat immer eine Geschichte“

Sie unterstützen von Sucht betroffene Familien und Kinder. Wie kann eine solche Begleitung aussehen?

Bei Caritas- AufWind arbeiten Fachleute aus der Suchtberatung und aus verschiedenen familienbezogenen Arbeitsbereichen Hand in Hand. In der Suchtberatung schulen wir unseren Blick darauf, dass die Suchtkranken, die eigentlich zu uns kommen, um ihren Konsum zu verändern, eventuell auch Vater oder Mutter sind. Wir richten dann den Fokus auch auf die elterlichen Fähigkeiten und vermitteln bei Bedarf in entsprechende Hilfsangebote.

In den familienbezogenen Arbeitsbereichen ist es wichtig, dass die Fachkräfte sensibel für mögliche suchtbezogene Hintergründe sind und sicher im Umgang damit. Im Rahmen der Vernetzung können wir dann im weiteren Verlauf jeweils auf die professionellen Fähigkeiten der Kollegen zurückgreifen.

Sucht als Krankheit

Wie gehen Sie speziell mit Kindern aus suchtbelasteten Familien um? Gibt es da gesonderte Hilfe wie zum Beispiel die Smily Kids?

Die Smily Kids sind sicher als erstes zu nennen, wenn es um Hilfen für die betroffenen Kinder und ihre Eltern im Kreis Olpe geht. Es gibt aber auch das Angebot „AKISIA“ von der Beratungsstelle Kompass, bei dem vor allem Kinder von psychisch kranken Eltern Unterstützung finden. Ein ganz neues und sehr niedrigschwelliges Angebot für Kinder findet in der KOT Drolshagen und in der OT in Grevenbrück statt. Beide Angebote laufen ebenfalls über Kompass.

Allen Angeboten gemeinsam ist, dass die Kinder dort offen über ihre Situation sprechen können. Dafür ist eine klare Schweigepflicht wichtige Voraussetzung. Hilfreich ist es ebenfalls, dass sie lernen, Sucht als Krankheit zu sehen, für die sie nicht verantwortlich sind. Gemeinsames Spielen, kreativer Ausdruck und einfach Kind sein können sind zusätzlich ganz wichtig.

Verständnis zeigen

Wie kann das Umfeld einer betroffenen Familie noch besser sensibilisiert werden? Was können Außenstehende tun?

Die wichtigste Hilfe, die Außenstehende leisten können ist, nicht weg zu sehen. Auch, wenn betroffene Familien aus Scham und Angst ein Problem wahrscheinlich erstmal abstreiten werden, sind wertschätzend formulierte Rückmeldungen doch langfristig effektiv.

Es ist hilfreich, klare Beobachtungen zu benennen, die auf einen problematischen Konsum hinweisen und der eigenen Sorge darüber Ausdruck zu verleihen. Wenn Betroffene oder ihre Familienmitglieder sich öffnen, dann brauchen sie erstmal jemanden, der zuhört. Es geht gar nicht immer um Lösungen, sondern erst einmal darum, Verständnis zu bekommen.

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