Vortrag von Lissy Eichert

"Kirche muss an der Basis betrieben werden, nicht von oben herab."


  • Wenden, 13.11.2015
  • Von Katja Fünfsinn
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    Katja Fünfsinn

    Redaktion

Pastoralreferentin Lissy Eichert UAC war zu Gast in ihrer Heimatgemeinde Ottfingen, um über ihre Arbeit im sozialen
Brennpunkt Berlin-Neukölln zu berichten. von s: Katja Fünfsinn
Pastoralreferentin Lissy Eichert UAC war zu Gast in ihrer Heimatgemeinde Ottfingen, um über ihre Arbeit im sozialen Brennpunkt Berlin-Neukölln zu berichten. © s: Katja Fünfsinn

Lissy Eichert ist in Ottfingen aufgewachsen. Seit 1993 lebt und arbeitet die pallottinische Pastoralreferentin im Berliner Brennpunkt-Bezirk Neukölln. Auf Einladung der KAB Ottfingen ist sie für einen Vortrag in das Pfarrheim ihrer Heimatgemeinde gekommen.


"Es ist toll, nach Hause zu kommen. Auch in Berlin bleibt man im Herzen immer Ottfinger." Pastoralreferentin Lissy Eichert hieß ihr Publikum nicht nur mit diesem Beweis ihrer Verbundenheit zur Heimatgemeinde Ottfingen willkommen, sie hatte auch beinahe jeden mit Handschlag begrüßt. "Manche Gesichter habe ich wiedererkannt, manches Lachen klingt vertraut und mit manchen bin ich ja sogar verwandt", fasste sie zusammen. Denn Lissy Eichert ist als Elisabeth Eichert in Ottfingen geboren und aufgewachsen, bevor sie zum Studium nach Vallendar gegangen ist (siehe Extra-Kasten unten). Seit 1993 lebt die heute 50-jährige Pallottinerin in Berlin und arbeitet im Brennpunkt-Viertel Neukölln.
Die Pallottiner
Die Pallottiner oder Gesellschaft des Katholischen Apostolates (SAC) wurden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Vinzenz Pallotti gegründet. Pallotti war der Meinung, dass jeder Mensch eine von Gott geschenkte Berufung hat. Mit dem Herz ausgeübt können alle Berufe – Lehrer, Hausfrau, Elektriker – eine solche Berufung sein. Der Grundgedanke der Pallottiner ist, dass jeder Mensch – geweiht oder nicht - seine Gabe in die Arbeit für andere Menschen einbringt. Derzeit zählt die Gemeinschaft rund 2500 Mitglieder, der weibliche Zweig, die Pallottinerinnen, entstand 1838.
Die KAB Ottfingen hatte Lissy Eichert ins Pfarrheim eingeladen, rund 70 Zuschauer waren am Donnerstagabend, 12. November, gekommen.
Das Armenviertel Europas
Lissy Eicherts Vortrag stand unter dem Motto "Kirche im Umbruch und wie der Heilige Geist heute mitredet". Neukölln werde auch das Armenviertel Europas genannt, erläuterte Eichert. "Da herrscht krasse Armut." Jeder Vierte sei Hartz-IV-Empfänger, jeder Dritte käme aus einem anderen Land. In der katholischen Kirchengemeinde St. Christophorus verankert, verstehen sich Lissy Eichert, Bruder Klaus Schneider SAC und Patre Kalle Lenz SAC als pastorales Seelsorge-Team. Und da von Anfang an festgestanden habe, dass das Projekt "Kirche im sozialen Brennpunkt" nur in einem weit verzweigten Netzwerk funktionieren kann, hat sich St. Christophorus mit Nachbargemeinden zur „Katho­li­schen Kir­che Nord-Neukölln“ zusammengeschlossen.
Sozial, spirituell und kulturell
Die Arbeit von Lissy Eichert und ihren Mitstreitern basiert auf drei Säulen: Sie ist sozial (Obdachlosenarbeit, Kirchenasyl), spirituell (Glaubenskurse, verschiedene Gottesdienstformen) und kulturell (internationales Essen, Kleinkunst). "Wir wollen einen Glauben vorleben, der den Menschen im Alltag hilft und unsere Gemeinde so gestalten, dass jeder gerne kommen möchte", betonte Lissy Eichert. Ein wichtiges Fundament sei der Dialog untereinander und vor allem mit Gott.
Pallotti-Mobil und Forum Asyl
Sie skizzierte einige Projekte, mit denen Bedürftigen geholfen wird. Das Pallotti-Mobil ist eine Nachbarschafts-Hilfe, in der Langzeitarbeitslose und ehemals Obdachlose die Wohnungen von Sozialhilfe-Empfängern renovieren. "Mein Lieblingsprojekt", wie Lissy Eichert verriet. "Die Menschen merken über die Arbeit, dass sie gebraucht werden. Ein Tag mit Feierabend kann sehr helfen." Mit dem Forum Asyl soll asylsuchenden Menschen geholfen werden. Ganz aktuell ist der Sprachunterricht in neu angemieteten Räumen dazu gekommen. Die Bildungsstätte hätten sie dank einer Geldspende über 200 000 Euro realisieren können.
Zwei Filme gezeigt
In einem Film, den die Mitglieder des gemeinnützigen Filmprojekts "pallotti media" gedreht hatten, zeigte Lissy Eichert den Zuschauen die Straßenmusik-Aktion "Up to the streets". In einem anderen Film wurde die Gemeinde St. Christophorus vorgestellt: Eine mitsorgende Gemeinde mit lebendigen Gottesdiensten, in der die Menschen sich beteiligen und ihre Berufungen in Projekten wie Fahrradwallfahrten, Hauskreisen oder Kinderfreizeiten einbringen.
Im Anschluss an ihren interessanten und kurzweiligen Vortrag war noch Zeit für einige Fragen aus dem Publikum. Die drehten sich um die Finanzierung der Projekte, die Unterbringung von Obdachlosen oder Tipps für die Flüchtlingshilfe. Eine Frau wollte wissen, wie man es schaffe, die eigene Gemeinde lebendiger zu gestalten. Lissy Eichert konnte zwar weder ein Erfolgsrezept nennen, noch sagen, warum in ihrer Gemeinde immer viele Besucher in die Gottesdienste kämen.
Gemeinsam mit Menschen leben
Sie wisse aber: Mitglieder kehrten der Kirche den Rücken, weil sie keinen Nutzen im Alltag in ihr sehen. "Und soll ich Ihnen etwas sagen? Die Menschen haben Recht", fasste Lissy Eichert zusammen. Kirche müsse an der Basis, nicht von oben herab betrieben werden. "Wir müssen gemeinsam mit den Menschen leben, die wir erreichen wollen." Sie sei sich sicher: Das System der katholischen Kirche sei im Umbruch. "Wir müssen unsere Kirchen aufmachen und offen für Neues sein."
Lissy Eichert: Von Ottfingen nach Berlin
Nach dem Abitur am städtischen Gymnasium in Olpe studierte Lissy Eichert Theologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Vallendar. Sie gründete mit zwei jungen Männern die erste pallottinische Kommune in Vallendar - ein bis dahin vollkommen unbekanntes Lebensmodell für die Pallottiner. Acht Jahre lang lebten und arbeiteten Männer und Frauen gemeinsam, demonstrierten gegen Mülheim-Kärlich sowie den NATO-Doppelbeschluss und organisierten Hausaufgabenhilfen für türkische Kinder. Mit Bruder Klaus Schneider SAC und Patre Kalle Lenz ging sie 1993 nach Berlin, wo die St. Christophorus Gemeinde in Neukölln das Pallottiner-Trio aufnahm. Lissy Eichert absolvierte eine Ausbildung zur Pastoralreferentin. Seit über 20 Jahren praktizieren sie und ihre Kollegen nun gelebten Glaube vor Ort. Seit Februar 2015 ist Lissy Eichert eine Sprecherin des ARD-Formats "Das Wort zum Sonntag".
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