Tier als Therapie


 von s: Ina Hoffmann
© s: Ina Hoffmann

„Wie viele Silben hat das Wort Schildkröte?“, fragt Logopädin Bianca Hartelt. Timo überlegt kurz und antwortet richtig. Dann nimmt er ein Leckerchen und wirft es zielsicher in den Behälter mit der Zahl Drei. Nicht ohne sich vorher an Gordon zu wenden und ihm zu sagen, dass er noch warten muss bis die Übung beendet ist.


Gordon vom Rodeland ist ein zehnjähriger Elo und gehört zum Team des Therapiezentrums in Finnentrop. Er war der erste Therapiebegleithund im Kreis Olpe. Als Welpe kam er zur staatlich anerkannten Logopädin Bianca Hartelt, die ihn ausbilden ließ. „Zunächst ist es sehr wichtig, dass der Hund gehorcht. Deshalb haben wir eine Hundeschule besucht, wo Gordon lernte, auf Ruf- und Handzeichen zu reagieren“, erklärt sie. Danach wurde der Elo zwei Jahre lang mit seiner Besitzerin im „Münsteraner Institut für tiergestützte Therapie“ ausgebildet.
„Es ist sehr hilfreich, wenn ein Therapiehund ein freundliches Wesen besitzt – so wie Gordon“, erklärt Bianca Hartelt. Elos sind besonders geeignet, um in der tiergestützten Therapie eingesetzt zu werden, da sie eine hohe Reizschwelle haben und kaum Hüte- oder Jagdverhalten zeigen, weshalb sie als ruhige und ausgeglichene Tiere gelten. Weil die Nachfrage nach tiergestützter Therapie stetig anwächst, verstärkt die fünfjährige Hündin Fanny das Team der Logopädie.
„Für die Tiere ist das keine Arbeit“
Wenn den ganzen Morgen lang bei einem Auswärtstermin viele Menschen Gordons Aufmerksamkeit gefordert haben, ist der Hund natürlich erschöpft und hat sich eine Pause verdient. Dann kommt nachmittags Fanny zum Einsatz und arbeitet mit den Patienten. Dabei werden die Hunde keineswegs überfordert, weiß die Logopädin: „Für die Tiere ist das keine Arbeit. Sie bekommen Leckerchen, werden gestreichelt, spielen und bekommen viel Aufmerksamkeit. Gordon und Fanny lieben das“. Gordon bleibt gelassen neben Timo liegen, bis alle Silben richtig benannt und alle Leckerchen verteilt sind. Dann werden die Behälter im Therapieraum versteckt und Gordon geht auf die Suche nach seiner Belohnung. Timo freut sich, als der Hund alle Leckereien gefunden hat. „Die Logopädie macht mir immer Spaß. Ob mit oder ohne Hunde- aber mit Gordon und Fanny ist es noch besser“, erzählt der 15-jährige, der seit einigen Jahren begeistert mit den Elos lernt. Mit deren Unterstützung verbessert er seine Konzentrations- und Merkfähigkeit. Beim Tierarzt-Spiel benennt er Körperteile und diagnostiziert, dass der Hund kerngesund ist. „Letzte Woche haben wir mit Fanny Zirkus gespielt. Ich war der Direktor und habe die Ansagen gemacht. Fanny hat viele Kunststücke gezeigt: Sie ist durch einen Reifen gesprungen, über kleine Hindernisse und durch einen Tunnel gekrabbelt“, erinnert er sich.
Besserer Zugang zu schüchternen Patienten
Die Probleme der Patienten, die zur Logopädie kommen, sind vielfältig. Behandelt werden Sprach-, Sprech-, Stimm-, Schluck- und Hörstörungen. Dazu zählen unter anderem Sprachentwicklungsverzögerungen, Stottern und Lese- und Rechtschreibschwächen. Durch die Hilfe ihres Hundes erhält die Logopädin leichter Zugang zu schüchternen Patienten. „Wenn die Menschen zu Beginn nicht mit mir sprechen möchten, weil sie Scheu vor Fremden haben, entdecken viele von ihnen schnell ihre Zuneigung zu dem Tier und kommen so auch mit mir ins Gespräch. Die Hunde sind sowohl Gesprächsstoff als auch Gesprächspartner“, erklärt Bianca Hartelt.
Zu den Hunden finden viele Patienten schneller Vertrauen, da das Tier sie nicht wegen einer Schwäche misstrauisch beäugt, wie es ihnen vielleicht im Alltag manchmal ergeht. „Ein Tier nimmt die Menschen einfach so wie sie sind und freut sich über ihre Aufmerksamkeit“. Der Kontakt zu dem Tier stärkt auf diese Weise das Selbstvertrauen der Patienten. Sie sind aufmerksamer, konzentrieren sich auf die Übungen und reagieren offener auf äußere Reize. Allein durch die Anwesenheit regt Gordon die Patienten zum Sprechen an.Auch Demenzpatienten, die sich den Namen ihrer Logopädin nicht merken können, haben den Hund so sehr in ihr Herz geschlossen, dass sein Namen stets präsent ist, da er Abwechslung in ihren Alltag bringt.
Alle lieben die Hunde
„Es ist immer schön zu sehen, welche Wirkung die Hunde auf die meisten Menschen haben. Viele freuen sich schon tagelang auf den Besuch“, weiß Bianca Hartelt. Ob Kinder oder Erwachsene, körperlich oder geistig behinderte Menschen, Jung oder Alt – alle lieben die Hunde. Wöchentlich besucht Bianca Hartelt mit Gordon und Fanny das Seniorenzentrum Habbecker Heide in Finnentrop und das Richard-Winkel-Seniorenzentrum in Maumke, die Ganztagsbetreuung des Grundschulverbands Lennetal, verschiedene Kindergärten oder die Geriatrie-Abteilung des Attendorner Krankenhauses. Schlaganfallpatienten, Menschen mit Depressionen oder Hirnschäden- viele ziehen sich leicht zurück, sind antriebslos und lassen nur schwer andere an sich heran. Gordons Anwesenheit öffnet das Gespräch zwischen Patient und Therapeut und bringt Freude in den oft tristen Alltag.
Neuer Spaß in Sitzungen
Die 21-jährige Anika kommt seit neustem extra wegen der tiergestützten Therapie jede Woche aus Attendorn in die Praxis. Viele Jahre der Logo- und Ergotherapie haben das Mädchen therapiemüde werden lassen. Durch die Spiele mit den Hunden kommt für sie neuer Spaß in die Sitzungen. Ob bei logopädischen oder ergotherapeutischen Behandlungen- die Hunde sind immer dabei. Beim Tischkicker wird die Feinmotorik trainiert. Alle Leckerchen, die vom Gegenüber nicht gehalten werden können, sammelt Fanny begeistert auf. Auch beim Wurfspiel mit dem Hund als Ziel ist Anika treffsicher. Fanny bleibt ruhig liegen, obwohl die Leckerchen ihr direkt vor die Nase geworfen werden. Erst wenn das Mädchen das Kommando gibt, holt die Hündin sich ihre Belohnung.
„Die Hunde brauchen klare Befehle. Anikas Stimme war früher recht zart. Durch das Training mit den Tieren ist sie bestimmter geworden“, freut sich Logopädin Bianca Hartelt. Auch bei der Ergotherapie hilft der Hund mit: „Anikas linker Arm ist oft spastisch. Die Übungen mit dem Hund helfen dabei, den verkrampften Arm viele Stunden lang zu entspannen“, erklärt Ergotherapeutin Bianka Bremer. Begeistert schleckt Fanny das aufgetragene Lachsöl von Anikas Hand. „Das hilft den Muskeln sich leichter zu entspannen. Zudem ist es natürlich eine spielerische Art der Therapie, die den Patienten viel mehr Spaß macht“.
„Ich möchte den Hund selber erziehen“
Wegen ihrer Begeisterung für die Tiere wird Anika in einigen Wochen selbst einen Welpen bekommen, der sie ins Therapiezentrum begleiten wird. „Ich möchte den Hund selber erziehen und hier lerne ich vieles dazu“. Für die geliebten Vierbeiner steht Anika bei vielen Übungen aus dem Rollstuhl auf, um Fanny zum Beispiel einen Fußball zuzuschießen. „Ich möchte für meinen Hund üben, damit ich mit ihm auch ganz viele tolle Sachen machen kann“, erklärt sie.
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