Messer-Miete mindert Mindestlohn

NGG appelliert an Arbeitnehmer, Tricksereien nicht zu dulden


  • Kreis Olpe, 09.05.2015
  • Von Matthias Clever
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    Matthias Clever

    Redaktion

 von Symbol ©jackfrog / lia
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Kochen, putzen und schneiden: Sebastian, so will der junge Mann in diesem Artikel heißen, arbeitet seit einigen Jahren in verschiedenen Gastronomiebetrieben für einen Stundenlohn von rund sechs Euro. Durch den Anfang des Jahres eingeführten Mindestlohn erhoffte er sich eine Gehaltserhöhung um mehr als ein Drittel. Doch die Realität sieht anders aus: Sebastian verdient weiter nur knapp mehr als 6 Euro die Stunde.


„Mit der Einführung des Mindestlohnes, sagte mir mein Chef Anfang des Jahres, dass ich ab sofort eine Miete für die Messer bezahlen müsste“, erzählt Sebastian, der seinen richtigen Namen nicht lesen möchte, aus Angst gekündigt zu werden. Mehr als zwei Euro soll er pro Stunde an den Chef für die Benutzung der Messer bezahlen. Alternativ stellte der Chef ihn vor die Wahl, für mehrere hundert Euro ein eigenes Messerset zu kaufen. „Das ist zu viel Geld. Geld, das ich nicht habe.“ Daher zahlt Sebastian die Miete. Real kommt er so statt auf 8,50 Euro auf knapp mehr als 6 Euro.
Zahlreiche „8,50-Euro-Tricksereien“
„Das ist ein Skandal“, wettert Helge Adolphs im Gespräch mit LokalPlus. Der Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in Südwestfalen kennt die „8,50-Euro-Tricksereien“. In Fachkreisen werden bei Fällen wie dem von Sebastian von einem „Messer-Geld“ gesprochen. Adolphs: „Mit diesem Winkelzug schaffen es Arbeitgeber, den tatsächlich gezahlten Stundenlohn unter die gesetzlich vorgeschriebene Höhe von 8,50 Euro zu drücken.“ Der NGG-Geschäftsführer bezeichnet eine solche Abgabe als „totalen Quatsch“ und vergleicht dies mit der Forderung eines Chefs an seine Sekretärin für die Nutzung des Computers eine Miete zu bezahlen.
Aus der Praxis kennt Helge Adolphs noch zahlreiche andere Ideen von Arbeitgebern, um den Mindestlohn zu umgehen. Der Geschäftsführer der NGG Südwestfalen spricht von einer „ausgefuchsten Mindestlohn-List der Arbeitgeber“.

So ist die Einführung eines „Reinigungsgeldes für das Waschen von Arbeitskleidung“, ebenso wie kostenloses Betriebsessen, das plötzlich berechnet werde, nicht akzeptabel. „Es geht dabei immer nur um das Eine: Darum, durch die Hintertür den gesetzlichen Mindestlohn auszuhebeln. Darum, weniger als die ohnehin mageren 8,50 Euro Lohn zu zahlen“, sagt Helge Adolphs.
Weniger Stunden werden aufgeschrieben
Einen weiteren Trick kennt Sebastian aus dem Bekanntenkreis: Real werden zehn und mehr Stunden gearbeitet und letztlich nur sechs oder sieben Stunden eingetragen. Oder es werden statt 8,50 Euro nur 6,50 Euro ausgezahlt und dann gibt es noch einen Warengutschein. „All das ist nicht erlaubt. Jeder Arbeitgeber ist verpflichtet, für jede gearbeitete Stunde mindestens einen Lohn von 8,50 Euro pro Stunde zu bezahlen“, macht Helge Adolphs im LokalPlus-Gespräch deutlich.
„Betroffene müssen sich zur Wehr setzen"
Menschen wie Sebastian rät Adolphs, die Arbeitsstunden festzuhalten. Um eine korrekte Entlohnung zu sichern, müssten die Arbeitszeiten dokumentiert werden. Dazu reiche es, den Beginn und das Ende der Arbeit aufzuschreiben. Danach sollte zuerst ein Gespräch mit dem Arbeitgeber geführt werden. „Betroffene müssen sich zur Wehr setzen und darauf bestehen, dass mindestens 8,50 Euro pro Stunde bezahlt werden.“ Falls ein solches Gespräch nichts bringe, stehe die Gewerkschaft zur Verfügung. Spätestens dann lenkten Arbeitgeber ein. Bisher hätte die NGG im Kreis Olpe noch nicht wegen eines Verstoßes gegen den Mindestlohn klagen müssen.
„Dokumentation der Arbeitszeit schon vorher nötig"
Im Zusammenhang mit dem Thema Mindestlohn betont der Gewerkschafter, dass pauschale Abgeltungen nicht rechtmäßig seien. Das Arbeitszeitgesetz sehe vor, dass nicht mehr als zehn Stunden täglich gearbeitet werde. Jede Stunde, die über die Zeit von 40 Stunden in der Woche gearbeitet werde, müsse ausgeglichen werden – entweder durch abfeiern oder durchs Ausbezahlen.

Jeder Arbeitgeber, der sich gegen die Zeiterfassung wehre, habe nichts Gutes mit seinen Angestellten vor. Dass viele Unternehmen die Dokumentationspflicht als Bürokratiemonster abtäten, sei „zwar ausgesprochen laut, aber völlig grundlos“. Im Gastgewerbe sei das Dokumentieren von Arbeitszeiten längst gängige Praxis – schon deshalb, um Überstunden oder Nachtzuschläge ordentlich zu bezahlen. Der NGG-Geschäftsführer fordert die heimischen Bundestagsabgeordneten deshalb auf, jetzt „keine Arbeitgeber-Reparaturen am Mindestlohngesetz vorzunehmen“. Ein „Mindestlohn light“, der etwa durch eine fehlende Dokumentation der Arbeitszeiten nicht kontrolliert werden könne, werde „zum Flopp“.
Notruf-Nummer
Wer beim Mindestlohn ausgetrickst werde, solle sich an seine Gewerkschaft wenden. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) habe hierfür auch eine Mindestlohn-Hotline geschaltet: 03 91 / 4 08 80 03 (Montag bis Freitag von 7 bis 20 Uhr, Samstag von 9 bis 16 Uhr zum Festnetztarif).
Kommentar
Von Matthias Clever

Hurra, hurra! Der Mindestlohn ist da. Seit Beginn des Jahres steht jedem Arbeitnehmer ein Stundenlohn von mindestens 8,50 Euro zu. Hurra? Nein. Die Realität zeigt, welche perfiden Wege Arbeitgeber nehmen, um das richtige Ziel zu umgehen.

Bei Lichte betrachtet bleibt vom hehren Ziel Mindestlohn nicht viel übrig. Zahlreiche Ausnahmeregelungen und kreative Arbeitgeber-Ideen zum Unterwandern des Mindestlohnes sorgen dafür, dass real vielerorts weiter weniger gezahlt wird.

So sind im Gesetz etwa Minderjährige ohne Berufsabschluss, Auszubildende und Praktikanten von der Regelung ausgeschlossen. Arbeitgeberverbände haben Recht, wenn sie sagen, dass diesen Gruppen nicht immer ein Mindestlohn gezahlt werden kann. Anders sieht es aber bei „branchenspezifischen Lösungen“ vieler regulärer Arbeitnehmer aus. Bis 2018 wird der Mindestlohn erst nach und nach für alle Branchen eingeführt.

Beschäftigte in der Landwirtschaft und im Gartenbau, Friseure oder Arbeiter in der Fleischwirtschaft können von Arbeitgebern weiter mit Mini-Löhnen abgespeist werden. Für Zeitungszusteller kommt der Mindestlohn sogar erst Anfang 2018 – und auch dann soll es weiterhin Ausnahmen geben, etwa wenn der Zusteller nach Stückzahl bezahlt wird. Subventioniert wird die Zeitungszustellung übrigens aktuell durch Steuergeld-Zuschüsse.

Der Schritt eines Mindestlohnes war mehr als überfällig und richtig. Wir brauchen aber nicht weitere Ausnahmen, Subventionen und Schlupflöcher, sondern ein konsequenteres Gesetz. Es kann nicht sein, dass Arbeitnehmer wie Ackergäule schuften und nur wie Ponys gefüttert werden.
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