Das „Blut der Chemie“ und seine Geschichte

Adventskalender: Eine Reise durch die Historie des „Siciliaschachts“


 von s: Ina Hoffmann
© s: Ina Hoffmann

Draußen ist es regnerisch und kalt, aber im Bergmannstreff auf dem Gelände der ehemaligen Erzförderungsstätte „Siciliaschacht“ ist es gemütlich und warm. Umgeben von zahlreichen Exponaten wie Öllampen, Spitzhacken und Gestein aus der Grube erzählen Dr. Bruno Heide, 32 Jahre lang Bergwerksdirektor in Meggen, Heinz Slotta und Wilhelm Wolters von der Geschichte des Meggener Erzlagers und aus ihrer Zeit als Mitarbeiter für Sicilia. Alle haben jeweils mehrere Jahrzehnte unter Tage oder als technische Angestellte für die Förderanlage gearbeitet.


„Vor etwa 370 Millionen Jahren gelangten heiße metallhaltige Lösungen aus dem Erdinneren über kleine Risse und Spalten in das Meggener Becken. Diese wurden durch ein Korallenriff aufgestaut, wodurch ein 2x3 Kilometer großes Erzlager entstand“, berichtet Dr. Heide und zeigt an mehreren Schautafeln, wo sich das Lager befand.
Im Jahr 1737 wurde im etwa drei Kilometer entfernten Halberbracht ein Erzlager nahe der Oberfläche gefunden. „Zunächst dachte man, es handele sich um Eisenerz, aus dem das begehrte Eisenmetall hergestellt werden kann“, erzählt Dr. Bruno Heide. „Also begann man, das Erz abzubauen. Allerdings befand sich dieses nur an der Oberfläche. Es handelte sich um Schwefelkies mit 42% Eisenanteil, aber auch 40 % Schwefelanteil. Dadurch ist es unmöglich, dieses Eisen zu verhütten. Also wurde der Abbau stillgelegt“.
Fortschritt in der Chemie bringt Sicilia in Schwung
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wird Schwefelsäure für vielfältige Prozesse in der chemischen Industrie benötigt. Um die Schwefelsäure herzustellen, braucht man Schwefelkies, welcher damals hauptsächlich aus Sizilien importiert werden musste. Da erinnerte man sich an die Schwefelkies-Vorkommen in Meggen und begann im Jahr 1852 diese zu fördern. „Den Schwefelkies ans Tageslicht zu bringen, war in der Anfangszeit eine sehr schwere Arbeit. Die Kumpel mussten mit Spitzhacken und Schaufeln arbeiten und die gefüllten Loren mit reiner Muskelkraft nach oben schieben. Wenn sie genügend Geld verdienen wollten, mussten sieben solcher schweren Loren pro Schicht an die Oberfläche transportiert werden“, berichtet Heinz Slotta und deutet auf die Lore, die heute ein Ausstellungsstück des Museums ist.
„Die Gewerkschaft Sicilia erhielt ihren Namen in Anlehnung an die Insel Sizilien, aus der bisher der Schwefel bezogen worden war. Unsere Grube wurde zur bedeutendsten westfälischen Schwefelquelle“, erzählt Dr. Heide.
300 Pferde brachten Schwefelkies nach Balve
„Der erste Kunde kam aus Wocklum bei Balve. Acht Jahre lang wurde der Schwefelkies mit Pferdewagen dorthin gebracht. Dazu wurden 300 Pferde in Meggen untergebracht, um jährlich 10.000 Tonnen in den Märkischen Kreis zu bringen“, erzählt Dr. Heide. Als 1861 der Eisenbahn-Anschluss kam, konnte der Schwefelkies erheblich leichter transportiert werden. „Schwefel ist das Blut der Chemie. Es wird in der chemischen Industrie in erheblichen Mengen benötigt. Dadurch stieg die Produktion des Meggener Schachtes immer weiter an“, so Heide.
Meggener Schwerspat rettet holländische Deiche
Im Jahr 1890 wurde um den Abbau von Schwerspat erweitert, da am Rande des Erzvorkommens ein etwa 10 Millionen Tonnen großes Schwerspat-Lager gefunden worden war. Schwerspat findet vielfältige Verwendung: Der Meggener Schwerspat wurde als Rohstoff für Lihtopone, eine weiße Farbe, weiterverarbeitet. „Schwerspat ist etwa doppelt so schwer wie normales Gestein. Viel von unserem Schwerspat wurde nach Holland exportiert, wo es genutzt wurde, um Land zu gewinnen und Deiche zu verstärken. Während Steine einfach vom Meer weggeschwemmt wurden, blieb der Schwerspat liegen“, weiß Heinz Slotta. Das Meggener Schwerspatlager wurde im Laufe der Jahre restlos abgebaut. Während der beiden Weltkriege wurden große Mengen an Schwefelsäure benötigt, um Explosivstoffe herzustellen. In den Jahren 1943 und 1944 wurde die Belegschaft durch Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter auf 4000 Männer aufgestockt, um die geforderte Menge Schwefelkies von einer Millionen Tonnen pro Jahr fördern zu können. Nicht alle Kumpel konnten unbeschadet ans Tageslicht zurückkehren. Im Jahr 1944 entzündete sich ein unterirdisches Sprengstofflager, das 74 Arbeiter in den umliegenden Gängen verschüttete. Insgesamt starben bei den 140 Jahren andauernden Arbeiten in Sicilia 274 Bergwerksleute.
Sicilias Rettung durch Zink und Blei
Ende der 1950er Jahre ging der Preis für Schwefelkies stark zurück, da Schwefel als Abfallprodukt bei der Raffination von Erdgas anfiel. „Das Bergwerk stand kurz vor dem Aus, als Dr. Heide die rettende Idee kam: In unserem Werk waren 4- 10% Zinksulfide und 2% Bleisulfide mit dem Schwefelkies verwachsen. Das Erz wurde gemahlen, um Zink und Blei zu gewinnen. Eine neue Anlage reicherte die Sulfide zu Konzentraten an, welche dann zur Weiterverarbeitung an Metallhütten verkauft wurden. So wurde Sicilia gerettet“, berichtet Wilhelm Wolter, ehemaliger Bergwerksmitarbeiter. 30 Jahre lang wurde der Zink- und Bleisulfid-Abbau in Meggen betrieben. In den 1970ern war das Meggener Bergwerk der größte Zinkkonzentrat-Lieferant in Europa.
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Das „Blut der Chemie“ und seine Geschichte
Ein Film, der im Siciliaschacht gedreht wurde, zeigt heute noch die Arbeit der Bergwerksleute in den 1970er Jahren. Mit Sprengstoff wurden die neuen Bohrlöcher freigelegt. Um Einstürze zu verhindern, wurden lose Steine abgeklopft und die Gänge mit Spritzmörtel verhärtet. Über die 1972 angelegte fünf Kilometer lange Walther-Rampe gelangten große Fahrzeuge zum Abtransport des Erzes in die Stollen. Zwei dieser Fahrzeuge sind heute noch vor der Schachthalle geparkt. In einem großen Gebäude neben der Schachthalle sind die Arbeitsplätze der Maschinisten noch vollständig erhalten. Ein großes Rad und ein Kompressor waren alles, was der Maschinist bei seiner Arbeit sah. „Alles hier ist noch voll funktionsfähig. Einfach diesen Hebel nach vorne schieben und schon fuhr der Korb mit den Kumpeln zehn Meter pro Sekunde in die Tiefe“, erklärt Heinz Slotta. Die Maschinen röhren, zwei Pfeile auf einer Anzeigetafeln bewegen sich und zeigen an, wo sich Korb und Gegengewicht gerade befinden.
Da der Abbau wirtschaftlich nach mehr rentabel war, wurde die Grube am 31. März 1992 geschlossen. „Das Erzlager unter unseren Füßen bestand aus etwa 55 Millionen Tonnen Metallerz. Während der 140 Jahre dauernden Bergwerksarbeiten wurden 48 Millionen Tonnen davon abgebaut“, so Dr. Heide.
Aus nach 140 Jahren
Bis 1998 wurde in dem Meggener Bergwerk noch gearbeitet. „Es waren umfangreiche Nacharbeiten nötig, um viele Grubengänge zu sichern, damit niemand zu Schaden kommt“, so Dr. Heide. Die meisten unterirdischen Gänge, die Walther-Rampe und der Korbschacht wurden mit einem Gemisch aus Asche und Wasser, das ähnlich aushärtet wie Beton, verfüllt. Ein Rohr im Boden der Schachthalle, genau dort, wo einst der Korb mit den Bergwerksleuten in die Tiefe fuhr, lässt nur noch erahnen, dass es damals 600 Meter tief hinab ging. Wilhelm Wolters lässt einen Stein in das Rohr fallen. Etwa 50 Meter tiefer trifft der Stein auf die Wasseroberfläche. „Von dem Grundwasser, das in die Stollen eindrang, mussten täglich 1000 Liter abgepumpt werden, damit die Arbeiten überhaupt möglich waren. Heute hat es sein Revier zurückerobert“, erzählt Slotta. Viele Gebäude der ehemaligen Bergwerksanlage wurden abgerissen. „Als dem Förderturm der Abriss drohte, hat sich der Heimatverein eingeschaltet und dafür gesorgt, dass die noch stehenden Gebäude unter Denkmalschutz gestellt werden“, so Slotta. Im Jahr 1998 wurde darin das heutige Museum eröffnet, das den Besuchern einen beeindruckenden Einblick in die Arbeit der Bergwerksleute bietet. Und so thront auch heute noch der Förderturm des Siciliaschachtes über Meggen und zeugt von der bewegten Bergwerksgeschichte.
Der Besuch des Bergbaumuseums
- Das Bergbaumuseum „Siciliaschacht“ ist sonntags von 15 bis 18 Uhr geöffnet. - Der Eintritt kostet für Kinder 1 Euro, für Erwachsene 2,50 Euro. Familien erhalten einen Sonderpreis von 5 Euro. -Weitere Besucherinformationen unter: http://www.bergbaumuseum-siciliaschacht.de/
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