Vor dem Krieg geflohen, aber die Angst ist trotzdem der ständige Begleiter

Zweifache Mutter im Gespräch


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Geschafft: Tetiana und ihre Söhne Aljosha und Artem (v.l.) sind bei den Großeltern Tetiana und Martin Baumgarten in Sicherheit. Aber die Sorge um Ehemann Vladislav bleibt. von Nicole Voss
Geschafft: Tetiana und ihre Söhne Aljosha und Artem (v.l.) sind bei den Großeltern Tetiana und Martin Baumgarten in Sicherheit. Aber die Sorge um Ehemann Vladislav bleibt. © Nicole Voss

Bamenohl. Fröhlich und ungezwungen springt Artem über das Sofa. Die Schrecken und das Leid der vergangenen Wochen hat der Fünfjährige vergessen oder verdrängt. Seit einer Woche wohnt er mit seiner Mutter Tetiana und dem vier Monate alten Bruder Aljosha in Bamenohl. Seine Oma, die ebenfalls Tetiana mit Vornamen heißt, und ihr Mann Martin Baumgarten haben das Trio von der polnisch-ukrainischen Grenze abgeholt.


Die drei Familienmitglieder sind vor den Wirren des Krieges aus der Ukraine geflohen. Keine leichte Entscheidung für Tetiana. Ihr Mann und Vater der zwei Kinder, Vladislav, muss im Kriegsgebiet bleiben.

Die Angst ist also nach wie vor ein ständiger Begleiter. Mehrmals täglich spricht Tetiana via Internet mit ihrem Mann. Er erzählt von mehrfach in der Nacht heulenden Sirenen. Während der Alarme suchen der Security-Mitarbeiter und die weiteren Männer Schutz in Kellern.

Tetiana ist natürlich froh, mit ihren Kindern in Sicherheit zu sein, aber die Ungewissheit, ob es ihrem Mann gut geht, und die Angst, dass etwas passieren könnte, stehen ihr ins Gesicht geschrieben. Die 25-Jährige wirkt zurückhaltend und etwas eingeschüchtert.

Züge waren überfüllt

Auch ihre Schwiegermutter Tetiana Baumgarten ist in großer Sorge um ihren Sohn. Noch im Dezember war die Bamenohlerin zu Besuch in der Ukraine. „Da hatte noch keiner mit sowas gerechnet“, blick sie zurück. Schwiegertochter Tetiana hatte schon frühzeitig nach Absprache mit ihrem Mann Vladislav beschlossen, das Land mit ihren Kindern zu verlassen.

Der erste Versuch, mit dem Zug an die polnische Grenze zu kommen, scheiterte. Die Züge waren überfüllt. Die dreiköpfige Familie fand keinen Platz. Die Sorge, dass sie die Flucht nicht mehr schaffen könnte, blieb, bis die zweifache Mutter am 7. März erfuhr, dass es Busse gibt, die zum Grenzgebiet fahren. Die Kosten von 100 Euro für zwei Personen, für ukrainische Bürger schon sehr hoch, konnten dank einer finanziellen Zuwendung von Tetiana und Martin Baumgarten bezahlt werden.

24 Stunden Busfahrt

Die Fahrtzeit von etwa 24 Stunden ist mit einem vier Monate alten Baby kein Zuckerschlecken. Zudem wurde die Fahrt durch zwei Pausen unterbrochen. „Sirenen heulten und es wurde gefährlich“, blickt Tetiana zurück, der die Schrecken der vergangenen Wochen noch anzusehen sind. Parallel machten sich Tetiana und Martin Baumgarten von Bamenohl aus auf die gut 1.300 Kilometer lange Strecke zur polnisch-ukrainischen Grenze.

Trotz Bandscheibenprobleme nahm Alleinfahrer Martin Baumgarten die Tour mit einer Übernachtung in Sachsen gerne für seine Enkel und Schwiegertochter in Kauf. Angekommen an einem ehemaligen Einkaufszentrum, das zu einem Auffanglager umfunktioniert wurde, das bestens mit Toiletten, Polizeipräsenz und Anlaufstellen ausgestattet ist, erwartete das Paar aus Deutschland trotzdem ein mittleres Chaos - viele Menschen inmitten der Hilfsgüter.

Welle der Hilfsbereitschaft

„Wir hatten Glück. Kaum hatten wir geparkt und waren um die Ecke gegangen, haben wir Tetiana gesehen“, blickt Martin Baumgarten zurück. Zurück in der Gemeinde Finnentrop erwartete die Familie eine Welle der Hilfsbereitschaft. Kleidung, Maxi-Cosi, Betten, Spielzeug, Süßigkeiten und vieles mehr wurden gespendet.

„Es war so viel, dass wir schon einige Sachen an weitere Hilfsbedürftige gegeben haben“, so Tetiana Baumgarten, die im Namen der Familie allen Unterstützern dankt und sagt, dass ihr Bedarf gedeckt ist. Die geflüchtete Familie ist bei der Gemeinde Finnentrop registriert.

Ein Eindruck von der polnisch-ukrainischen Grenze. von privat
Ein Eindruck von der polnisch-ukrainischen Grenze. © privat

Gerne hätten sie auch einen Kindergartenplatz für den fünfjährigen Artem, der im Sommer in die Schule kommt, gefunden. Aber alle Kindergärten sind laut Martin Baumgarten überfüllt. „Wir bemühen uns, dass er zweimal in der Woche in eine Betreuungsgruppe im Begegnungszentrum Bamenohl gehen kann“, sagt der Großvater.

Beim Blick in die Zukunft hat Artem eine klare Meinung. Er möchte, sobald der Krieg beendet ist, nach Hause zurück, auch wenn es ihm hier gut gefällt. Martin und Tetiana Baumgarten hoffen auf einen Kompromiss zwischen Russland und der Ukraine und sind optimistisch, dass die gegen Russland verhängten Sanktionen Wirkung zeigen.

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