Michael Lehmann (USA): „Die Amis wissen, wie man eine Show aufzieht“
Interview mit einem gebürtigen Rönkhauser über die Wahl
- Finnentrop, 11.11.2020
- Dies & das
- Von Kerstin Sauer
Kerstin Sauer
Redaktion
Detroit/Rönkhausen. Die ganze Welt hat in den vergangenen Tagen auf die USA geblickt: Die Wahlen bewegten die Gemüter, sorgten für Unruhe, Spekulationen, Unverständnis auch in Deutschland. Einer, der alles live vor Ort miterlebte, ist Michael Lehmann (44): Der gebürtige Rönkhauser ist Präsident der Gedia USA Holding, arbeitet in Detroit, lebte elf Jahre in Amerika und seit drei Jahren in Kanada. Im Telefongespräch mit LokalPlus erzählt er, was los ist in den USA – und räumt mit einigen Vorurteilen auf.
Es dauerte Tage, bis das Wahlergebnis feststand: Biden hat gewonnen. Wie haben die Menschen um Sie herum reagiert?
Erleichtert. Viele natürlich, weil ihr Kandidat Biden gewonnen hat, aber viele sind auch einfach froh, dass die Wahl vorbei ist. Das Ergebnis hat natürlich bei den Demokraten für Volksfeststimmung gesorgt, aber eine ähnliche Reaktion hätte man sicherlich auch von den Trump-Anhängern erwarten können, wenn die Republikaner die Wahl gewonnen hätten.
Genau das ist für viele Menschen in Deutschland unverständlich: Viele schütteln den Kopf über Trump, seine Haltung und seine Allüren. Wie kann es sein, dass er trotzdem so viele Anhänger hat?
Fangen wir vorne an. Ca. 150.000.000 Menschen haben in den USA gewählt. Stand heute haben ca. 76.185.000 für die Demokraten und 71.295.000 Bürger für die Republikaner abgestimmt. Joe Biden war der Kandidat für die Demokraten, Herr Trump für die Republikaner. Es ist sicherlich falsch wenn man sagt, dass über 71 Millionen Menschen in den USA Trump-Anhänger sind. Viele, die auf dem Wahlzettel Donald Trump angekreuzt haben, schütteln wie sicherlich viele Menschen in Deutschland den Kopf über das Verhalten und die Aussagen des Noch-Präsidenten Trump. Jedoch war diese Wahl nicht nur die Wahl zwischen Biden und Trump, sondern auch eine Wahl zwischen fundamental unterschiedlichen Sichtweisen. Als Beispiel möchte ich hier das Thema ‚Pro Life vs. Pro Choice‘ nennen. Stehen die Demokraten für eine Selbstbestimmung der Frau beim Thema Abtreibung (Pro Choice), dann haben die Republikaner hier eine mehr konservative Sicht zu dem Thema und versuchen mit Hilfe des Obersten Gerichtes (Supreme Court) die Rechte des ungeborenen Kindes zu schützen. Für viele ist das kein einfaches Thema. Wenn Sie ein starker Verfechter für ‚Pro Life‘ sind, dann hatten Sie bei dieser Wahl eigentlich keine andere Wahl als die Republikaner und damit Donald Trump zu wählen – obwohl Sie vielleicht alles andere, wofür die Trump Administration steht, nicht befürworten können.
Wie war die Stimmung während der Auszählungen?
Als die ersten Ergebnisse eingingen war ich im Auto auf dem Weg vom Flughafen Atlanta zu dem neuen Gedia-Standort in Dalton, Georgia. Die ersten offiziellen Hochrechnungen gerade in den stark umkämpften Staaten (Battleground States) wie Ohio, Wisconsin und Pennsylvania zeigten, dass die Republikaner vorne lagen. Man fühlte sich gleich wieder zurückversetzt ins Jahr 2016 – Clinton gegen Trump. Für alle war da klar, es kann nur die Clinton gewinnen. Wie konnte es sein, dass alle vor der Wahl aufgestellten Prognosen wieder einmal falsch lagen? Die demokratische Seite wurde nervös, die Republikaner feierten. Selbst Trump hat sich in seiner unmissverständlichen Art – etwas voreilig, wie wir heute wissen – als Sieger ernannt. Warum das so gelaufen ist, hat folgende Erklärung: Herr Trump hat seiner Wählerschaft gesagt, sie sollen am Wahltag wie gewohnt zur Wahlurne gehen und die Stimme abgeben. Biden dagegen hat seine Wählerschaft gebeten, ihre Stimme aufgrund der Covid-19 Situation per Briefwahl abzugeben. Am Wahltag selber werden erst die Stimmen ausgezählt, die an dem Tag in den Wahllokalen eingegangen sind. Im zweiten Schritt werden dann die Briefwahlstimmen ausgezählt, bei denen Biden weit vorne lag.
Die Wahl war schon für die Deutschen ein Krimi – wie war es in Amerika selbst?
Wenn Sie schon einmal in den USA waren und die Gelegenheit hatten, an einem Baseball- oder Footballspiel teilzunehmen, dann wissen Sie – die Amis wissen, wie man eine Show aufzieht. Der Wahlabend und die folgenden Tage darauf waren sicherlich nichts für schwache Herzen.
Lest morgen den zweiten Teil des Interviews: Was wird sich jetzt in Amerika ändern?
Zur Person:
Michael Lehmann ist 44 Jahre alt, verheiratet und Vater eines Sohnes. Er zog 2006 von Rönkhausen nach Amerika, seit drei Jahren lebt er in Kanada und pendelt jeden Tag von dort zu seiner Arbeitsstelle in Detroit. Michael Lehmann ist seit April 2020 Präsident von Gedia USA. Derzeit baut die Firma neben dem Standort in Detroit ein zweites Werk in den USA, und zwar in Dalton, Georgia. „Die USA ist und bleibt für Gedia ein wichtiger Standort und wir erhoffen uns mit dem Ausbau in Georgia eine erfolgreiche Zukunft in Amerika“, erklärt Lehmann.