Märchenstunden und „Fliegmodus“ in der Nachmittagsbetreuung

„LokalPlus hilft“: Zu Besuch im Herrnscheider Kindernest


  • Drolshagen, 23.12.2017
  • Von Sven Prillwitz
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90 Minuten mittendrin: LokalPlus-redakteur Sven Prillwitz mit den beiden Erzieherinnen Antje Schneider (links) und Regine Bieker und natürlich mit den "Purzelbaum"-Kindern. von Sven Prillwitz
90 Minuten mittendrin: LokalPlus-redakteur Sven Prillwitz mit den beiden Erzieherinnen Antje Schneider (links) und Regine Bieker und natürlich mit den "Purzelbaum"-Kindern. © Sven Prillwitz

Drolshagen. Zur Vorweihnachtszeit gehört der Adventskalender: jeden Tag ein Türchen öffnen zur Einstimmung auf das frohe Fest. Eine liebgewordene Tradition, die wir in diesem Jahr zum Anlass nehmen, ebenfalls Türen zu öffnen und hinter die Kulissen zu schauen. Wir besuchen Einrichtungen und Vereine im Kreis Olpe, die sich um Menschen kümmern, sich sozial engagieren und vielleicht nicht immer so im Fokus stehen, wie sie es verdient hätten. Wir sprechen mit Menschen, lassen uns herumführen und helfen für ein paar Stunden mit. Hier lest ihr, was Sven Prillwitz im Kindergarten Herrnscheider Kindernest bei der Nachmittagsbetreuung erlebt hat.


Der Schwarze Mann hat´s nicht leicht: Er hat keine Arme. Und das, erklärt mir der blonde Matthes mit großen Augen, mache ihn zum Räuber. Alle anderen Holzfiguren haben nämlich Arme und dürfen auf der Drehscheibe bewegt werden. Häuser werden aufgebaut, hin und wieder wird gewürfelt. So viel ist klar. Ansonsten sind die Regeln für „Die Kinder von Catan“ erstmal völlig nebensächlich. „Das Spiel ist auch neulich erst bei uns in der Gruppe aufgetaucht“, verrät mir Erzieherin Antje Schneider und grinst. Ihre Spielpartner werden in den nächsten 90 Minuten immer wieder wechseln.
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125 Kinder sind im Kindergarten Herrnscheider Kindernest in Drolshagen aktuell untergebracht, die sich auf sechs Gruppen mit eigenen Räumen verteilen. Die Namen: „Zwergenstube“, „Li-La-Laune-Ecke“, „Mäusetreff“, „Purzelbaum“, „Bärenhöhle“ und „Igelnest“. Letzteres bezeichnet die U3-Betreuung, die es hier seit vier Jahren gibt; die „Bärenhöhle“ gibt es seit 2010. Und die vier erstgenannten Gruppen haben ihre Namen seit der Gründung des Kindergartens im Jahre 1996. Von der reinen U3-Betreuung abgesehen, handelt es sich jeweils um „altersgemischte“ Gruppen. Das Prinzip dahinter: „Die Großen helfen den Kleinen“, erklärt Schneider.
Die Geschichten-Erzählerinnen aus der Puppenstube
Alle Gruppen bieten auch eine Nachmittagsbetreuung an. Bedeutet: Eltern können ihre Kinder zwischen 14 und 16.30 Uhr abholen. Von den 24 Kindern in der „Purzelbaum“-Gruppe, die ich an diesem Tag besuche, sind in der Regel 17 auch nachmittags da.

Die Spielküche mit Wohnbereich dient heute als Puppenstube. Pia und Melija, beide fünf Jahre alt, kümmern sich erst um eine, dann um drei Babypuppen. Die werden mit Babybrei gefüttert, erklären sie mir. Außerdem erfahre ich, dass die beiden nächstes Jahr in die Schule kommen sollen und sich natürlich schon auf Weihnachten freuen. Haustiere hätten sie auch: ein Pferd, einige Karnickel und einen Löwen. Letzteren kann ich als erfunden abhaken, bei dem Pferd und den Karnickeln bin ich mir nicht sicher. Die beiden sind einfach unglaublich einfallsreich. Fünfjährige Mädchen als charmante Märchentanten.
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Bei meinem zweiten Besuch ist aus der Puppenstube eine Art Telefonecke geworden. Pia und Melija führen Gespräche. Immer wieder wählen sie, sprechen in den Hörer des ausrangierten Festnetz-Apparats, legen auf und lachen laut. Und dann zählen sie mir eine Handvoll Telefonfreundinnen auf, die ich –  samt Telefonnummer – aufschreiben muss.

Jede hat eine Geschichte. Eine sei beispielsweise auf einem Einhorn geritten, eine andere rufe immer nachts an. Beide machen große Augen und grinsen, während sie mir wieder eine Geschichte nach der anderen erzählen. Eine Arbeitsanweisung haben sie dann auch noch: „Du musst jetzt auch mal mit den anderen Kindern sprechen und mal aus der Puppenecke gehen, okay?“, sagt Melija. Okay.
„Anstrengender, aber sehr schöner Beruf“
Ein weiteres wichtiges Prinzip neben dem „Die Großen helfen den Kleinen“: Die Individualität jedes Kindes soll hier berücksichtigt werden, sagt Antje Schneider, die seit 25 Jahren Erzieherin ist und in diesem Jahr ihr Dienstjubiläum gefeiert hat. „Es ist schon ein anstrengender Beruf, für den man viel Geduld braucht. Wir haben hier mitunter einen extremen Lärmpegel, und die Erwartungen der Eltern sind auch hoch.“ Sie lächelt, während sie das sagt. „Aber es ist ein sehr schöner Beruf“. Und ganz wichtig: „Wir haben ein sehr, sehr gutes und eingespieltes Team. Das macht auch sehr viel aus.“ Ebenfalls wichtig: die Sprachförderung der Kinder.
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Kurze Unterbrechung beim Brettspiel mit der Drehscheibe, das kurz verlassen auf dem kleinen Tisch mit den kleinen Stühlen liegt. David, Daniel und Georgios tauchen auf. Sie wuseln bereits seit einigen Minuten kreuz und quer durch den Raum, geben Zisch- und „Brrrrumm“-Laute von sich und tragen kleine, entfernt an Raketen erinnernde Steckspielzeuge durch den Raum. „Fliegmodus“ nennen die Vierjährigen das. Passagiere haben sie jetzt auch: Der Schwarze Mann und zwei weitere Holzfiguren des Brettspiels reisen für einen Moment in den „Raketen“ durch den Raum.
Die kurze Haltwertszeit der „Raketen“
Und die drei sind unglaublich flink: Ihre Flieger bauen sie aus dünnen Metallteilen, die drei-, vier- und fünfeckig und magnetisch sind, zusammen. Immer wieder. Und nach jedem Flug gibt es ein neues Modell. Ich sitze kurz darauf im Schneidersitz mit Daniel und David in der „Bauecke“. Den Wettkampf, den ich vorgeschlagen habe – wer baut am schnellsten die größte Rakete –, verliere ich. „Jetzt musst du ein cooles Foto machen“, fordert David. Also zücke ich das Smartphone und verspreche beiden, das Bild von den Raketen für meine Reportage zu verwenden. Und damit ist die Haltwertszeit der beiden Raketen auch schon beendet. „Jaaa, kaputtmachen!“, ruft Daniel. „Bamm!“, ruft David. Die Raketen sind nur noch Einzelteile. Eine kurze Ermahnung von Antje Schneider, und die beiden Jungs haben die Teile zusammengeräumt.

Mathias Kakuschki sitzt in seinem Büro, das gleich rechts hinter der Eingangstür liegt. Vor sich auf dem Schreibtisch den Computer und an der Wand den Schichtplan, hinter sich ein großes Sideboard mit Büchern und Aktenordnern. Der 31-Jährige leitet das Herrnscheider Kindernest zusammen mit Birgit Löcker (siehe Infokasten) seit eineinhalb Jahren – und ist der einzige männliche Angestellte. Immerhin: Einen männlichen Jahrespraktikanten gibt es noch. Im Kindergarten zu arbeiten, sei nach wie vor ein „Frauenberuf“, sagt Kakuschki.
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Der Chef ist freundlich, wirkt völlig entspannt und unaufgeregt inmitten des Trubels, der jetzt am Nachmittag überschaubar ist. „An Spaß mangelt es uns hier definitiv nicht“, sagt Kakuschki. Eigentlich hatte er nach dem Fachabitur Sozialpädagogik studieren wollen. Um die Wartesemester zu überbrücken, absolvierte er eine Ausbildung zum Erzieher. „Das hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich mir das Studium gespart habe“, sagt der 31-Jährige. 2010 fing er als Erzieher im „Kindernest“ an. Jetzt sitzt er auf dem Chefsessel – und ist bei seinen Mitarbeiterinnen sehr beliebt, wie ich schnell feststelle.
„Aufräumlied“ und „Abschiedslied“ zum Finale
Für die Kinder gehöre ich schnell zum Inventar. Kurz nach meinem ersten Besuch in der Puppenecke fragt mich Melija, ob ich ihr einen Knoten in einer Kochschürze lösen kann. Kann ich. Ein anderer Junge fragt mich, ob ich ihm bei seinem Bügelperlenbild helfen kann, weil sein Männchen ein Bein verloren hat. Und Jago, einer der Raketenbauer, zeigt mir zwischendurch stolz das Teelicht, das jetzt von einem verzierten Tannenbaum aus Pappe eingerahmt wird. In einem kleinen Nebenraum wird nämlich noch Weihnachtsschmuck gebastelt. Regine Bieker, seit 2003 Erzieherin und im November aus der Elternzeit zurückgekehrt, und die Kinder basteln hier mit Kleber, Schere und Pappe Weihnachtsschmuck.
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Das „Aufräumlied“ läutet das Ende des heutigen Kindergartentages ein. Für die Kinder ein Signal, das Spielzeug in Kisten und Sideboards zu verstauen. Dann ziehen sich alle, zum Teil mit Hilfe der beiden Erzieherinnen an, ehe sie das „Abschiedslied“ singen. Pia, Puppenspezialistin und Viel-Telefoniererin, wirft sich ihrer Mama freudestrahlend in die Arme, die den beiden Erzieherinnen zwei kleine Präsenttüten übergibt. Als Dankeschön und weil bald Weihnachten ist. Eine Umarmung gibt´s auch noch für beide. Und weil Antje Schneider sich in den Urlaub verabschiedet, wird sie von einigen Kindern noch feste gedrückt. Ich wünsche allen frohe Feiertage und werde mit einem lauten „Tschüss“ und Winken verabschiedet. Schön war´s.
Infokasten

Träger des Herrnscheider Kindernests ist die Gemeinnützige Gesellschaft der Franziskannerinnen zu Olpe (GFO). Die GFO mit Sitz in Olpe unterhält insgesamt 40 Einrichtungen aus den Bereichen Krankenhaus, Kinder- und Jugendhilfe und Altenhilfe. Neben dem „Kindernest“ in Drolshagen gehören im Kreis Olpe auch die Kindergärten „Löwenzahn“ und „Pusteblume“, beide unter Leitung von Birgit Löcker, zum GFO-Angebot.

28 Erzieherinnen arbeiten im „Kindernest“, einige in Teilzeit, andere in Vollbeschäftigung. Dazu kommen aktuell zwei Anerkennungspraktikanten und ein Jahrespraktikant.

Eltern können wählen, wie groß der wöchentliche Betreuungsbedarf für ihre Kinder sein soll. Zur Auswahl stehen 25, 35 und 45 Stunden pro Woche. Die gebuchten Stunden bilden die Grundlage für den „Betreuungsschlüssel“, aus dem der Gesamtpersonalbedarf ermittelt wird.
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