Reparaturinitiativen NRW: Miteinander gegen Abfallberge und Verschwendung

In Repair-Cafés von Experten-Wissen profitieren


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Vom kaputten Kopfhörer bis zur durchgescheuerten Handtasche lässt sich heute vieles auf offiziellem Weg nur sehr teuer reparieren. Repair-Cafés wollen das ändern. von stock.adobe.com © andranik123
Vom kaputten Kopfhörer bis zur durchgescheuerten Handtasche lässt sich heute vieles auf offiziellem Weg nur sehr teuer reparieren. Repair-Cafés wollen das ändern. © stock.adobe.com © andranik123

Nordrhein-Westfalen. Allein 220.302 Tonnen Elektroaltgeräte wurden im Jahr 2020 nur in Nordrhein-Westfalen entsorgt – ganze 71 Prozent mehr als noch 2016. Dabei landen nicht nur im Elektrobereich viele Stücke auf dem Müll, weil es zu teuer ist, sie zu reparieren. Reparaturinitiativen wollen das ändern – und wirklich jeder kann mitmachen.


Es gibt in Deutschland und Europa ein einheitliches Doppelsystem bei Produktproblemen: Jeder Käufer hat bei Mängeln ein zwei Jahre gültiges Recht auf Gewährleistung. Weiter obliegt es Hersteller oder Händler, zusätzliche Sicherheiten in Form einer irgendwie gearteten Garantie zu offerieren, die dann auch länger dauern kann, aber nicht muss.

Bei den meisten Gegenständen des Alltags kommt jedoch irgendwann der Punkt, an dem sie aus Altersgründen aus einem solchen Schutzschirm herausfallen. Dann geht jede Reparatur komplett zulasten des Besitzers. Reparaturinitiativen im ganzen Bundesland haben es sich auf die Fahnen geschrieben, den monetären Teil der Reparatur weitgehend zu eliminieren, und somit sowohl Müllberge zu reduzieren, als auch so manches wirklich alte Schätzchen in Schuss zu halten.

Teure Reparaturen, nicht beschaffbare Teile: Das Problem unserer Zeit

Es ist ein typisches Problem: Ein Fernseher gibt unversehens den Geist auf. Das Gerät ist gerade alt genug, um nicht mehr unter Garantie und Gewährleistung zu fallen. Dann besteht eine Situation, die hauptverantwortlich für die enormen Müllmengen unserer Zivilisation ist:

  • Insbesondere moderne Elektronik ist hochkomplex, besteht aus oftmals tausenden, teils mikroskopisch kleinen Bauteilen.
  • Es gibt insgesamt nur wenige Werkstätten und Handwerker, die sich noch wirklich auf eine Reparatur durch Fehlersuche verstehen – nicht bloß den Austausch ganzer Baugruppen, die oft ein Vielfaches des eigentlich fehlerverursachenden Teils kosten.
  • Durch die Komplexität vieler Geräte ist eine methodische Fehlersuche oft sehr aufwendig und dauert viele Stunden – und ist entsprechend teuer.
  • Selbst bei vergleichsweise jungen Geräten ist es oftmals überraschend schwierig, irgendwelche Ersatzteile zu bekommen, die nicht zu den echten Verschleißteilen gehören. Das liegt an der vielpraktizierten Herstellungspraxis von „Just-in-Time“ ohne große Lagerhaltung.

Selbst wenn Besitzer es schaffen, jemanden zu finden, der sich noch auf Fehlersuche und Reparatur versteht, übersteigen die Kosten meist problemlos den Zeitwert und nicht selten den Anschaffungspreis eines Neugeräts.

Und bei Altgeräten (ein sehr dehnbarer Begriff) wird sogar von solchen Fachleuten oftmals argumentiert, man solle doch lieber den bequemeren Weg eines Neukaufs gehen. Das bedeutet dementsprechend ebenso das Aus für viele eigentlich erhaltenswerte historische Stücke zwischen motorisiertem Fernsehsessel und klassischer Stereoanlage.

Gerade bei Elektronik ist die Fehlersuche oft deshalb untragbar teuer, weil sie durch die aufwändigen, miniaturisierten Bauteile extrem viel Zeit verschlingt. von stock.adobe.com © art24pro
Gerade bei Elektronik ist die Fehlersuche oft deshalb untragbar teuer, weil sie durch die aufwändigen, miniaturisierten Bauteile extrem viel Zeit verschlingt. © stock.adobe.com © art24pro

Repair-Cafés: Ein Erfolgsrezept nicht nur für hoffnungslose Schadfälle

Eine Zeit, in der es nicht mehr viele berufsmäßige Tüftler gibt, in der deren Arbeit rasch mehr als ein Neugerät kostet, und wo Ersatzteile oft schon nach wenigen Jahren kaum noch auf direktem Weg vom Hersteller zu bekommen sind.

Es braucht einen solchen Nährboden, um ein System aufkeimen zu lassen, das in schönster Manier „von Privatmenschen für Privatmenschen“ aufgebaut ist: Repair-Cafés.

Das Konzept ausgedacht hat sich die niederländische Journalistin Martine Postma. Bei uns in NRW gibt es aktuell deutlich über hundert Repair-Cafés – nicht nur in den größten Städten, wohlgemerkt.

Die meisten von ihnen sind im Netzwerk Reparatur-Initiativen organisiert. Dieses Netzwerk wurde von der Stiftung Anstiftung koordiniert und fungiert sozusagen als Leitzentrale derartiger technischer Selbsthilfegruppen. Die besagte Stiftung steht wiederum in engem Dialog mit dem Bundesministerium für Umwelt und dem Umweltbundesamt.

Selbsthilfe ist auch das Stichwort und der Wesenskern der Repair-Cafés:

  • Es handelt sich dabei nicht um kommerzielle Werkstätten. Alles wird hier auf einer reinen Freiwilligen- und Ehrenamtsbasis getragen.
  • In jedem Repair-Café bringen sich Menschen ein, die bestimmte Fähigkeiten haben. Dies können ebenso längst verrentete Handwerker sein, die ihr immenses Berufswissen weiterreichen möchten, wie es sehr fähige Hobbyisten sein können, die sich zu einem mitunter sehr nischenhaften Thema seit Jahren geschult haben.
  • Dadurch ergibt sich ein heterogener Charakter von Repair-Cafés: In praktisch jedem gibt es andere Experten.
  • Wer ein Problem mit einem Haushaltsgegenstand hat, der kann zu den jeweiligen Öffnungszeiten ohne Anmeldung im Café vorbeischauen. Immer wird er zumindest jemanden finden, der ihm sagt, wo er den bestmöglichen Ansprechpartner für seinen Schaden findet.
  • Es findet keine Reparatur allein durch die Experten statt. Man kann also nicht sein schadhaftes Gerät einfach abgeben und es nach einigen Tagen fix und fertig repariert abholen. Wohl aber gibt es jede Menge Hilfe zur Selbsthilfe. Die Fachleute helfen, erläutern, schauen über die Schulter und übernehmen den einen oder anderen komplizierten Handgriff. Ferner ist immer ein Grundstock an Werkzeugen und Materialien vorhanden.

Zwar gibt es keine Garantie, hier eine Antwort auf seine Probleme zu finden. Allerdings sprechen die binnen weniger Jahre stark gestiegenen Zahlen von Cafés in unserem Bundesland und weltweit eine sehr deutliche Sprache.

Und das Beste an der Sache für die Besitzer: Jede Reparatur, egal wie viel Zeit sie für Fehlersuche und Behebung verschlingt, ist absolut kostenlos. Einzig der Kauf von Ersatzteilen muss durch den Besitzer getragen werden – viele der Experten haben dafür jedoch sehr gute Kontakte. Dadurch lassen sich manchmal sogar Ersatzteile finden, die sich auf offiziellem Weg nicht einmal mehr für gutes Geld beschaffen lassen.

Eine Lösung auf mehreren Ebenen

Warum Repair-Café? Der offensichtlichste Grund besteht natürlich darin, mit etwas Glück sein schadhaftes Gerät gänzlich kostenlos oder wenigstens für deutlich geringere (Ersatzteil-)Kosten als beim Fachmann repariert zu bekommen – und bei manchen Problemen sogar überhaupt jemanden zu finden, der noch Rat weiß.

Unter der Lupe zeigt sich jedoch, wie sehr dies nur die berühmte Eisbergspitze ist. Darunter verbirgt sich ein ganzer Strauß weiterer Vorteile:

  1. Jedes hier reparierte Stück bedeutet ein Gerät weniger, das neu produziert werden muss – mit allen nur denkbaren positiven Auswirkungen auf Natur, Umwelt und Klima. Ein einzelnes neues Smartphone samt Netzteil verursacht beispielsweise 100 Kilogramm CO2 nur für die Herstellung.
  2. Je mehr Dinge hier repariert werden, desto deutlicher ist das Signal an die Hersteller: Längere Produktzyklen, vereinfachte Reparierbarkeit, mehr Lagerhaltung von Ersatzteilen, bitte! Daraus ergibt sich eine langfristig sogar noch größere Hebelwirkung für Natur, Umwelt und Klima.
  3. Es werden Gegenstände nutzbar gehalten, die einen echten historischen und/oder emotionalen Wert darstellen. Das mag zwar zunächst wie ein vernachlässigbarer Faktor wirken. Jedoch ist dieser nicht bloß bei Erbstücken kaum zu verachten.
  4. Repair-Cafés bedeuten durch ihr Arbeitsprinzip eine klassenlose Teilhabe, da hier Menschen aller Schichten Lösungen bekommen. Darunter nicht zuletzt solche Personen, die sich weder eine normale Reparatur noch einen Neukauf leisten könnten. Gerade bei elektronischen Geräten, ohne die sich ein zeitgenössisches Leben kaum gestalten lässt, wiegt dies besonders schwer.
  5. Menschen bekommen hier eine Möglichkeit, extrem kostbares und umfassendes Wissen, oft eines ganzen Lebens, weiterzugeben und sinnvoll anzuwenden. Das ist nicht zuletzt für Rentner bedeutend. Viele von ihnen fühlen sich nach dem Ende ihres Arbeitslebens plötzlich unnütz, geraten sogar in tiefe Depressionen.

Nicht zuletzt muss die gesamtgesellschaftliche Wirkung bedacht werden: Jeder, der hier hilft und Hilfe findet, erkennt rasch, dass es jedem Einzelnen möglich ist, aus diesem Karussell von Konsum und ständigem Neukauf auszusteigen – ohne Nachteile befürchten zu müssen.

Unter anderem der enorme Erfolg bei der Eröffnung des Repair-Cafés in Wenden zeigt überdeutlich, wie gut das funktionieren kann, wenn genügend Menschen umdenken und mitmachen.

Die Reparaturinitiativen im Land verstehen sich explizit als „free for all“. Das gilt sowohl für die Helfenden als auch die Hilfesuchenden. von stock.adobe.com © auremar
Die Reparaturinitiativen im Land verstehen sich explizit als „free for all“. Das gilt sowohl für die Helfenden als auch die Hilfesuchenden. © stock.adobe.com © auremar

Apropos:

Partizipieren ist ganz einfach

Was Besitzer eines schadhaften Geräts tun müssen, wurde bereits erläutert. Doch woher nehmen die Reparaturinitiativen ihre Fachleute? Dabei heißt es ebenfalls: Selbst sind die Experten.

Nach den offiziellen Angaben der Repair-Cafés werden speziell Menschen gesucht, die sich mit Kleidung und Textilien, elektrischen Geräten, Fahrrädern sowie Möbeln und anderen Gegenständen aus Holz auskennen – ungeachtet ihres Alters oder offiziellem Ausbildungsstatus.

Das alles verläuft ehrenamtlich ohne Druck oder gar Zwänge. Jeder Experte macht dann mit, wenn es ihm zeitlich am besten passt. Das gute Gefühl, mal wieder nicht nur dem Besitzer eines Gegenstandes, sondern obendrein dem Planeten messbar geholfen zu haben, gibt’s kostenlos dazu.

Quellenangaben/weiterführende Informationen:

Garantie & Gewährleistung: https://www.ersatzteile-24.com/Garantie_und_gewaehrleistung.html

Repair-Café finden: https://www.repaircafe.org/de/besuchen/

Stiftung Anstiftung: https://anstiftung.de/stiftung

Altersdepression: https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/psychiatrie-psychosomatik-psychotherapie/stoerungen-erkrankungen/altersdepression

Eröffnung Repair-Café Wenden: https://www.lokalplus.nrw/wenden/auftakt-des-repair-caf-s-wenden-ein-voller-erfolg-74370

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