„Wir brauchen mehr weibliche Vorbilder“

Interview mit Juniorprofessorin Inka Müller aus Attendorn


  • Attendorn, 18.08.2018
  • Von Christine Schmidt
    Profilfoto Christine Schmidt

    Christine Schmidt

    Redaktion


    E-Mail schreiben
Topnews
Inka Müller aus Attendorn arbeitet als Juniorprofessorin an der Universität in Bochum von Christine Schmidt
Inka Müller aus Attendorn arbeitet als Juniorprofessorin an der Universität in Bochum © Christine Schmidt

Attendorn. Inka Müller ist 31 Jahre jung und schon Juniorprofessorin an der Ruhr-Universität Bochum. Ihr Fachbereich: Structural Health Monitoring. Was sich kompliziert anhört, ist eigentlich einfach erklärt: Die Attendornerin beschäftigt sich damit, dass so etwas wie aktuell im italienischen Genua in Zukunft nicht passieren kann. Dort war eine Brücke am Dienstagmittag, 14. August, eingestürzt. Viele Menschen kamen ums Leben.


Was machen Sie eigentlich in Ihrer Freizeit, wenn Sie tagsüber so hochkomplexe Themen behandeln?

Mein Beruf ist auch mein Hobby und nimmt viel Zeit in Anspruch, sodass häufig die Frage ist, ob man dann überhaupt noch so viel Freizeit hat. Aber wenn, dann ernte ich gerne unsere eigenen Johannis- und Stachelbeeren und mache Kuchen daraus. Außerdem spiele ich Tischtennis und versuche, wenn es geht, auch zum Training zu gehen – seit März war ich einmal beim Training. Und auch mit Freunden, Familie und meinem Mann verbringe ich natürlich gerne meine Zeit.

Ihre Doktorarbeit beschäftigt sich mit dem Thema „SHM“ (Structural Health Monitoring). Was ist das genau? 

Nehmen wir das Beispiel Windenergieanlage: Wenn sie an Land steht, ist es kein Problem, regelmäßig da hoch zu gehen, sich am Rotorblatt herunter zu angeln, mit dem Hammer die Anlage abzuklopfen und zu schauen, ob ein Schaden vorliegt. Wenn so ein Windrad dann aber in der Ostsee steht, wird es schon schwieriger: Da ist Wind, da sind Wellen, da haben Industriekletterer auch keine Lust, die Blätter rauf- und runterzuklettern. Und dafür ist es dann gut, Systeme zu haben, die automatisiert sind, die eine installierte Sensorik im Blatt haben und so dem Betreiber der Wartung Bescheid geben können, wenn irgendwas nicht in Ordnung ist oder auch erst in vier Wochen repariert werden muss.

Und wie lässt sich SHM bei Brücken anwenden?

Genauso ist es auch bei Brücken. Hong Kong zum Beispiel ist High End bei SHM. Die Brücken dort werden mit einer Sensorik überwacht, und nach einem Taifun können sie sich so wieder selbst freigeben, ohne dass man einen Mitarbeiter zur Kontrolle schicken muss. Deutschland ist, was diese Systeme betrifft, noch nicht so weit. Hier wird der Zustand der Brücken, wie bereits seit etlichen Jahren, durch Prüfingenieure in regelmäßigen Abständen „von Hand“ geprüft und darauf basierend werden Maßnahmen eingeleitet.

Und das führt dann zu Dingen wie der Rheinbrücke in Leverkusen (Die A1-Überführung wird teilweise als ungenügend einstuft. Fahrzeuge, die schwerer als 3,5 Tonnen oder breiter als 2,3 Meter sind, dürfen die Brücke nicht mehr befahren, Anm. d. Red.). Das verhindert aber hoffentlich ein deutsches Genua. 
Ergebnisse sollen auch angewandt werden
Was wollen Sie nun weiter erforschen? Und wie geht es jetzt an der Uni weiter?

In Bochum gibt es einige Professoren, die „SHM“ gegenüber aufgeschlossen sind und auch in diese Richtung Projekte umgesetzt haben. Hier freue ich mich darauf, die Zusammenarbeit um SHM weiterzubringen. In meiner Doktorarbeit habe ich mich insbesondere mit der Sensorik, die für SHM-Systeme eingesetzt wird, beschäftigt. Jetzt geht es darum, die Zuverlässigkeit von SHM-Systemen zu bewerten.

Bei Messungen gibt es immer gewisse Abweichungen und Ungenauigkeiten, diese gilt es für unsere Systeme besser quantifizieren zu können. So will ich meinen Beitrag dazu leisten, dass unsere Forschungsergebnisse auch vom Labor in die Anwendung gebracht und nicht nur am Prototyp angewandt werden.

Sie halten jetzt Vorlesungen für Studenten. Wie ist das so?

Ich versuche, weniger einen Frontal-Vortrag zu halten, sondern die Studenten mehr einzubeziehen, im Sinne von „Wir machen gemeinsam Versuche“. Ich gebe ihnen Beispiele, was sie selber untersuchen können. Wir nennen das „Forschendes Lernen“. Ich habe natürlich auch Powerpoint-Folien, aber ich versuche, dass meine Studierenden selber aktiv werden können.

Vorlesungen zu halten, war für mich aber nicht ungewohnt. Als ich in Bochum zugesagt habe, wollte ich nicht nur wieder in die Forschung, sondern auch in die Lehre. Die Lehre macht mir unheimlich viel Spaß - das hätte ich als Student nie gedacht. Aber wenn man Leute für das Thema begeistern kann, das einem am Herzen liegt, ist das schon schön.
Wer nicht wagt, der nicht gewinnt

Sie haben den Studienpreis an der Uni Siegen verliehen bekommen. Heißt das dann automatisch, dass man als Juniorprofessorin eingestellt wird?

Nein, das hat tatsächlich gar nichts miteinander zu tun. Ich hatte das Glück, dass die Ausschreibung der RUB wie Arsch auf Eimer gepasst hat (lacht). Ich war fast fertig mit der Dissertation, und dann kam diese Ausschreibung raus. Eigentlich war es ein bisschen früh, sich für eine Juniorprofessur zu bewerben. Aber weil mich die Ausschreibung so angesprungen hat und es genau das war, was ich machen wollte und wo ich auch Erfahrung habe – da habe ich mir dann gedacht, Ok, ich probier’s jetzt einfach. Weil: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.

Wie sehen Ihre Zukunftsziele aus?

Ich hätte den Weg nicht einschlagen dürfen, wenn ich es mir nicht hätte vorstellen können, Professorin zu werden. Ob und wo das dann mal sein wird, weiß ich nicht. Dafür bin ich zu viel Realist. Aber letztendlich bin ich auch da relativ entspannt. Selbst wenn ich nach sechs Jahren nichts habe (Juniorprofessuren sind auf maximal sechs Jahre befristet, Anm. d. Red.), bin ich zuversichtlich, einen anderen Job zu finden. Ich fühle mich auch hier wohl und könnte mir vorstellen, für Attendorner Unternehmen zu arbeiten. Ich bin ja Ingenieurin – und wenn die nicht gesucht werden…
Erdbeben erst nicht realisiert
Wollten Sie das immer beruflich machen? Wie kommt es, dass man sich auf einmal für ein so hochkomplexes technisches Feld interessiert?

Juniorprofessorin ist ja kein Berufswunsch. Ich habe schon früh gewusst, dass ich - jetzt nicht falsch verstehen - sowas wie LKM (Literatur-Kultur-Media) nicht machen möchte. Generell sollte es für mich in die Naturwissenschaft/Technik gehen. Dann habe ich ein duales Studium gemacht. Von Anfang an habe ich nämlich die Gefahr gesehen, dass ich mein Studium super finde, aber den Berufsalltag nicht. Deswegen würde ich das auch immer wieder genauso machen.

Auch bei meiner damaligen Firma hat es mir in der Entwicklung schon mehr Spaß gemacht als in der Konstruktion. So bin ich dem Bereich Forschung und Entwicklung treu geblieben. Dass es jetzt dieser Bereich ist, war mit 16 natürlich noch nicht abzusehen. Aber schon in der Schule hatte ich Mathe und Physik als Leistungskurse.

Sie waren während des Studiums eine Zeitlang in Japan gelebt. Was haben Sie dort erlebt?

Ganz, ganz viel und zu guter Letzt Fukushima. Dann bin ich zurückgekommen – eigentlich hatte ich dort zwei Auslandssemester geplant, so war es nur gut ein Semester. Dort, wo ich war, hat zwar die Erde gebebt, aber nichts Schlimmes. Was zu dem Zeitpunkt wirklich los war, wusste ich nicht. Das Wort Atomkraftwerk kannte ich bis dahin nicht auf Japanisch. Meine Familie hat dann gesagt, du kannst ja wieder hinfahren, komm´ doch erst mal wieder nach Hause.

Als ich im Flieger nach Deutschland saß, habe ich die Zeitung „Die Zeit“ bekommen und erst da verstanden, wie das Geschehen aus deutscher Sicht ist. Nichtsdestotrotz habe ich in meiner Zeit in Japan viel gelernt und viel mitgenommen. Die japanische Kultur ist ganz anders und sehr faszinierend. Und die Japaner sind ein interessantes Völkchen. So ein Auslandsaufenthalt ist generell sehr horizonterweiternd und ich kann es jedem nur empfehlen. In Japan habe ich übrigens auch einen Kurs zum Thema Structural Health Monitoring gemacht.
Mehr weibliche Vorbilder
Es ist wahrscheinlich bei Ihrem Beruf so, dass viele Männer vertreten sind. Haben Sie das Gefühl, dass Sie als Frau nicht für voll genommen werden?

Man wird natürlich viel damit konfrontiert, ich habe bislang recht wenig schlechte Erfahrungen gemacht. Aber ich kenne genug andere Beispiele, wo man sieht, dass es halt schon schwer ist, wenn die Anzahl an Frauen in einer Gruppe klein ist. Wir brauchen einfach mehr Vorbilder. Das Problem ist nicht, dass Leute, die mit einem Ingenieurstudium anfangen, das nicht durchziehen, sondern dass sich zu wenige dafür interessieren. Auch in Physikleistungskursen ist es so, dass dort mehr Jungs als Mädchen sind.

Was meine Sie, warum ist das so?

Ich denke nicht, dass wir alle schlechte Lehrer hatten, sondern dass wir als Gesellschaft bestimmte Bilder haben. Und wenn die mal durchbrochen werden würden, dann trauen sich auch mehr Frauen – bislang ist das nicht so anerkannt. Ein zweiter Punkt ist, dass von einem Mann einfach erwartet wird, dass er einen Beruf ausübt, mit dem er eine Familie ernähren kann, aber Frauen sollten genau das gleiche Ziel haben.

Ich würde mir wünschen, dass es mehr ausgeglichene Berufsgruppen gibt, aber ich bin auch strikt dagegen, Mädchen zu solchen Berufen zu zwingen, wenn sie keinen Bock darauf haben.
Streng heißt nichts Schlechtes
Es gibt ja immer noch das Klischee des zerstreuten bzw. in Jugendsprache verpeilten Professors. Erfüllen Sie dieses?

Manchmal sicher schon. (lacht) Aber ich glaube, inzwischen sind einige Professoren totale Business-Männer. So jemand bin ich überhaupt nicht. Nur zu managen wäre nichts für mich, dafür forsche ich zu gerne. Streng bin ich wahrscheinlich schon, aber das würde ich nicht unbedingt als schlecht bezeichnen.

Bochum oder Attendorn?

Beides (lacht). Man muss schon sagen, in Attendorn wohnt man da, wo andere Urlaub machen, das ist einfach so. Wenn ich auf dem Heimweg bin, halte ich eben an der Bigge, gehe zehn Minuten spazieren und habe einen viel klareren Kopf. Man ist dann einfach „resettet“. Aber sicherlich gibt es solche Plätze auch in Bochum.
Artikel teilen: