Aus der Sicht eines trockenen Alkoholikers

Bernd Goebel hat seine Alkoholsucht besiegt und ein Buch darüber geschrieben


  • Attendorn, 27.12.2015
  • Von Barbara Sander-Graetz
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Bernd Goebel.
Bernd Goebel.

Bernd Goebel ist gerade 50 Jahre alt geworden. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder. Seine Brötchen verdient er als kaufmännischer Angestellter in einem mittelständischen Bauunternehmen in Drolshagen. Bernd Goebel ist Alkoholiker. Seit zehn Jahren trocken, aber „Alkoholismus ist eine Krankheit, von der man nie geheilt wird. Sie kann nur zum Stillstand kommen“, weiß er heute.


Bernd Goebel war sicher nicht der Alkoholiker, wie man ihn sich auf Vorurteilen basierend vorstellt. Ein Alki, ein Suffkopp, einer, der Frau und Kinder geschlagen und Haus und Hof versoffen hat. Ein Penner, der sich womöglich auf Kosten des Staates ein schönes Leben gemacht hat, der mit anderen Zechkumpanen im Bushaltestellenhäuschen rumlungerte, Leute angepöbelt hat und bettelte – nein, das alles war Bernd Goebel nie. Er hat gearbeitet, ist Auto gefahren, hat irgendwie im Alltag funktioniert, aber auch gerne gefeiert. „Im Sauerland gibt es dazu genügend Gelegenheiten, und Alkohol gehört meistens dazu.“ Aufgefallen, dass er mit und später ohne Alkohol ein Problem hat, ist den wenigsten. Die, die es vielleicht gemerkt haben, haben nichts gesagt. Wer trinkt nicht schon mal einen zu viel? Doch die einen hören auf und kennen ihre Grenzen, andere schaffen das nicht, und der Alkohol gehört irgendwann zum Alltag.
Korn im Arbeitszimmer und der Aktentasche
So erging es auch Bernd Goebel. „Nach der Geburt meines Sohnes 1994 habe ich massiv angefangen zu trinken, zunächst heimlich. Irgendwann ging es nicht mehr nur um Bier, sondern um härtere Sachen. Zu der damaligen Zeit war das klarer Korn, den ich im Regal in meinem Arbeitszimmer oder in meinem Aktenkoffer versteckte.“ Nach der Geburt der Tochter zwei Jahre später ging die Sucht weiter. „Damals trank ich fast täglich Alkohol, aber nicht bis zum Filmriss, sondern bis ich eine gewisse Ruhe und Gelassenheit in mir spürte.“ Doch um dieses Gefühl zu erreichen, sei immer mehr Alkohol nötig gewesen. „Zum Schluss habe ich sechs bis sieben Flaschen Bier und zwei Flaschen Wodka pro Tag getrunken.“
„Ich habe eine zweite Miete versoffen“
Rund 550 Euro hat ihn die Sucht im Monat gekostet. „Ich habe eine zweite Miete versoffen und insgesamt ein schickes Auto“, so Bernd Goebel heute. Immer wieder appellierte auch seine Frau an ihn, sich Hilfe zu holen. Doch erst als er ganz unten ankommen war, schaffte er es selbst, das Ruder rumzureißen. Irgendwann war der Punkt da, da galt es zu leben oder zu sterben. „Ich bin zu meinem Hausarzt gegangen und hab ihm alles erzählt. Der hat sofort reagiert und mich in die Entgiftung geschickt.“ Seitdem ist Bernd Goebel ein trockener Alkoholiker. Und er macht kein Geheimnis aus seiner Krankheit, denn Alkoholabhängigkeit ist eine Krankheit. „Dabei ist es keine Schande krank zu sein, aber es ist eine Schande, nichts dagegen zu tun.“
Der Attendorner hat es sich zur Aufgabe gemacht, andere wachzurütteln und das Problem öffentlich zu machen, obwohl ihm das anfangs sehr schwer fiel. „Was werden die anderen sagen?“ Doch die Reaktionen haben ihn bestärkt. „Ich habe in der Therapie auch Tagebuch geschrieben. Als ich dann mit meiner Geschichte auch in Schulen und Unternehmen gegangen bin, um für die Problematik zu sensibilisieren, habe ich natürlich ein Konzept gebraucht. Also habe ich angefangen, alles aufzuschreiben.“
22 Verlage, 21 Absagen – und Krebs
Daraus wiederum ist die Idee entstanden, ein Buch zu schreiben. „Ich habe 21 Verlage angeschrieben und genau 21 Mal eine Absage bekommen.“ Doch er kämpfte weiter und stieß schließlich auf den Lüdenscheider Verlag „Blaukreuz“. Die wollten sein Buch veröffentlichen. Doch dann kam ein erneuter Schicksalsschlag hinzu. Bernd Goebel erkrankte an Krebs. Aber er hatte gelernt, zu kämpfen, und nachdem er im Herbst dieses Jahres auch diese Krankheit in den Griff bekommen hatte, schaffte er es, sein Buch mit seiner Geschichte zu veröffentlichen. In einem Kapitel kommen auch seine Frau Anja und die Kinder zu Wort. „Ich habe mich im Laufe meiner trockenen Zeit bei vielen Personen geoutet. Das schwierigste Outing war jedoch bei meinen eigenen Kindern. Ich habe mehr als ein halbes Jahr gebraucht, um den beiden die Wahrheit zu beichten. Nachdem ich trocken war, war es für mich eine sehr große Umstellung, wieder in das normale Leben und auch in das Eheleben zurück zu kehren. Es dauerte auch eine Zeit, bis ich meine Vaterrolle übernahm.“ Heute hat er es geschafft. Mit viel Hilfe seiner Familie, Freunde und einer großen, manchmal sehr schmerzhaften Ehrlichkeit gegenüber sich selber.
Größter Wunsch: Dass die Krankheit niemals mehr ausbricht
Seine Erlebnisse und Erfahrungen hat er in dem Buch „Unheimlich heimlich…habe ich getrunken“ niedergeschrieben. Das Buch richtet sich an alle Betroffenen, Angehörigen und Interessierten, die sich über die Krankheit Alkoholismus aus Sicht eines trockenen Alkoholikers informieren möchten. „Eine Autorenlesung in der Buchhandlung Frey wird es auch geben. Die Verhandlungen laufen“, freut sich Bernd Goebel, dessen größter Wunsch ist, dass die Krankheit niemals mehr ausbricht.
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